Sie schien dieß zu empfinden und ein kalter, fast feindlicher Blick traf ihren Besucher.
»Wie haben Sie geschlafen, meine schöne Freundin,« sagte der Graf lächelnd, »wahrhaftig, man sollte nicht glauben, daß die ganze Welt in Sorge und fieberhafter Unruhe zittert, wenn man in dieß dunkle und stille Asyl tritt!«
»Es sind viele Briefe und Depeschen angekommen!« sagte sie ruhig, indem sie auf den kleinen Tisch neben ihrem Ruhebett deutete.
»Sind Sie sicher,« fragte der Graf, »daß diese starke Korrespondenz keine Aufmerksamkeit erregt?«
Sie lächelte kalt.
»Man ist hier gewöhnt, daß ich viele Briefe erhalte, und ich glaube nicht, daß man bei mir die Fäden ernster Angelegenheiten sucht.«
Der Graf trat an das Fenster und schob einen der geschlossenen Vorhänge zurück, so daß das volle Licht in das Zimmer fiel. Dann zog er den Tisch mit den Briefen an das Fenster und begann sie einen nach dem andern zu öffnen, während die junge Frau sich schweigend in einen Lehnstuhl sinken ließ.
Der Graf zog ein Portefeuille aus der Tasche, nahm daraus einige kleine Hefte, welche verschiedene Chiffres enthielten, und begann mit Hülfe derselben die Briefe zu entziffern.
Der Inhalt mußte ihn in hohem Grade befriedigen, denn ein Ausdruck leuchtender Genugthuung strahlte von seinem Gesicht und mit stolzem Blicke erhob er sich, nachdem er seine Lektüre beendet.
»Ich sehe das Werk sich seiner Vollendung nahen,« sprach er halb zu sich, halb zu Frau Balzer, — »bald wird der Bau der Lüge und Bosheit zertrümmert daliegen und die Wahrheit und das Recht werden wieder triumphiren!«
»Und was wird aus mir?« fragte die junge Frau, den Kopf leicht nach dem Grafen hinwendend.
Dieser trat zu ihr, setzte sich neben ihr Ruhebett und sprach mit vornehmer Höflichkeit, ihre Hand küssend, die sie ihm regungslos überließ:
»Sie haben an einem großen und ernsten Werke mitgewirkt, meine schöne Freundin, und haben demselben sogar sehr wesentliche Dienste geleistet, indem Sie die geheime Korrespondenz vermittelten und mir es möglich machten, den Schein des einfachen Weltmanns und Touristen zu bewahren, — ich verspreche Ihnen eine unabhängige und glänzende Stellung. Das Wie überlassen Sie mir, — ich hoffe, Sie trauen meinem Worte?«
Sie sah ihn mit einem scharfen Blick an und sprach:
»Ich zweifle nicht, daß Sie Ihre Versprechungen halten wollen und halten können.«
»Außerdem,« fuhr er fort, — »bleibt noch viel, viel zu thun übrig, wenn auch das nächste und erste Ziel erreicht ist, und ich denke Ihrem Geiste und Ihrer Thatkraft noch größere und reichere Gebiete zu öffnen, — wenn Sie ferner meine Verbündete bleiben wollen?« — »Ich will es,« antwortete sie, — dann hob ein tiefer Athemzug ihre Brust, ein flüchtiges Roth überzog ihre Wangen und indem ein zitterndes Feuer in ihrem Auge aufblitzte, fügte sie hinzu: — »ich habe einen Wunsch —«
»Sprechen Sie!« sagte er mit dem galanten Ton des Weltmannes, — »wenn es in meiner Macht steht, ihn zu erfüllen —«
»Ich glaube, daß es in Ihrer Macht steht — denn ich habe so viel Proben dieser Macht gesehen, daß ich großes Zutrauen zu derselben habe —«
»Nun?« fragte er, den Blick forschend auf sie gerichtet.
Sie schlug die Augen vor diesem Blicke nieder, legte die Fingerspitzen ihrer beiden Hände aneinander und sprach leise mit fast schüchternem Ton:
»Geben Sie mir Stielow wieder!« —
Ein lebhaftes Erstaunen, mit einem Schatten von Unmuth gemischt, malte sich in seinen Zügen.
»Diesen Wunsch hätte ich allerdings nicht erwartet,« sagte er, — »ich glaubte, Sie hätten diese Caprice vergessen! — Auch möchte die Erfüllung meine Kräfte übersteigen.«
»Das glaube ich nicht,« erwiederte sie und ihr Blick richtete sich wieder scharf und klar auf den Grafen, — »er ist ein Kind und Sie verstehen es, ernstere und reifere Menschen zu leiten —«
»Aber Sie vergessen,« sagte er, — »daß —«
»Daß er in einer schwärmerischen Anwandlung — im Verdruß — sich zu den Füßen einer jener faden, langweiligen Damen geworfen hat, welche im gothaischen Kalender den Platz suchen, wo sie ihr Herz unterbringen können!« rief sie, heftig aus ihrer liegenden Stellung emporfahrend, während ihr Auge Blitze schleuderte. — »Nein, das vergaß ich nicht, — aber gerade deßhalb will ich ihn wieder haben, — ich will Ihnen helfen in Allem,« fuhr sie langsamer fort, »ich will alle Kräfte meines Geistes und meines Willens aufbieten im Dienste Ihrer Pläne, — aber Etwas will ich auch für mich haben und deßhalb: geben Sie mir Stielow wieder!«
»Sie sollen ja,« sagte der Graf, »für sich haben, was Sie nur wünschen, — ich lege Ihnen keine Schranken auf für Ihre persönlichen kleinen Divertissements,« fügte er lächelnd hinzu, — »aber was wollen Sie mit diesem — Kinde — wie Sie selbst sagen? — steht Ihnen nicht Alles zu Gebote bei Ihrem Geist und — einem Blick dieser Augen?«
»Aber ich liebe ihn!« sagte sie leise.
Der Graf sah sie erstaunt an.
»Verzeihen Sie mir,« sagte er lächelnd, — »dieß Kind —«
»Weil er ein Kind ist,« rief sie lebhaft und ein Strom von Leidenschaft ergoß sich aus ihren großen, weit geöffneten Augen, — »weil er so rein ist, so gut — und so schön,« flüsterte sie, indem sich ihr Auge feucht verschleierte.
Der Graf blickte sie mit tiefem Ernst an.
»Wissen Sie aber,« sagte er, »daß eine Liebe, die über Sie herrscht — Ihnen die Fähigkeit nehmen wird, über Andere zu herrschen und — meine Alliirte zu sein?«
»Nein!« rief sie, »nein — sie wird mich stärken und erfrischen, — aber diese Sehnsucht im Herzen macht mich trübe und matt — o geben Sie ihn mir wieder — ich bekenne meine Schwäche, lassen Sie mich in diesem einen Punkt schwach sein, ich verspreche Ihnen, Sie sollen mich überall sonst stark und unerschütterlich finden!«
»Hätten Sie mir früher gesagt, was Sie mir jetzt sagen,« sprach er nachdenklich — »es wäre vielleicht möglich gewesen, — vielleicht, — jetzt aber — meine Macht reicht nicht so weit und — ich darf sie hier nicht gebrauchen — jener junge Mann soll kein Spiel Ihrer Laune sein,« sagte er ernst und bestimmt, — »streifen Sie diese Schwäche ab — seien Sie stark — und vergessen Sie diese Phantasie!«
Sie erhob sich kalt und ruhig.
»Sprechen wir nicht mehr davon!« sagte sie in gewöhnlichem Ton.
Der Graf sah sie mit forschendem Blick an.
»Also geben Sie mir Recht?« fragte er.
»Ich will diese Phantasie vergessen,« sagte sie, ohne daß irgend ein Zug ihres Gesichts sich bewegte.
Abermals ertönte die Glocke im Vorzimmer.
»Das ist Galotti!« rief der Graf und öffnete die Thüre des Boudoirs.
Ein mittelgroßer starker Mann mit vollem Gesicht trat ein. Sein dünnes Haar ließ eine hohe gewölbte Stirn vollständig frei, die hellen Augen blickten scharf und beobachtend umher und die vollen Lippen ließen auf lebhaftes Temperament und lebendige Beredsamkeit schließen.
»Es geht vortrefflich!« rief ihm der Graf entgegen, — »Alles ist bereit, um den großen Schlag zu wagen. Die sardinische Partei ist muthlos, desorganisirt unter dem Eindruck der österreichischen Siege und mit einem Schlage werden wir diese lächerliche Regierung zertrümmern, welche sich die italienische nennt.«
»Herrlich, herrlich!« rief der Eintretende, indem er dem Grafen Rivero leicht die Hand drückte