Rasch stand er auf und ging einige Male im Zimmer auf und ab.
Der Pfarrer erhob sich.
»Mein verehrter alter Freund,« sagte er, »in einem Augenblick, wie der jetzige, darf auch ein Mann wie Sie sich einer Thräne nicht schämen! — Es ist spät, suchen wir die Ruhe, — auch diese Tage werden vorübergehen!«
Der Oberamtmann blieb stehen, reichte dem geistlichen Herrn die Hand und blickte ihn an, indem ein blinkender Tropfen über seine Wange herabrann.
»Beten Sie zu Gott,« sagte er leise, »daß er mir den Sohn erhalte!«
Der Pastor war fortgegangen, still war es im Amtshause geworden und dunkel lag die Nacht darüber, aber noch lange schien das Licht aus dem Fenster des Oberamtmannes und die Domestiken hörten bis zum Morgengrauen den festen, gleichmäßigen Schritt des alten Herrn durch das stille Haus hallen.
Sechzehntes Kapitel.
Während im Norden Deutschlands sich die Katastrophe vollzog, welche dem welfischen Hause so verhängnißvoll werden sollte, erwartete man in Wien noch Alles von der Entscheidung der Waffen, die man in Böhmen von einem Tage zum andern voraussah. Die österreichischen Waffen waren in Italien, jenem Studienfelde der österreichischen Generalstabsoffiziere, siegreich gewesen, die Schlacht von Custozza war gewonnen und neue Zuversicht erfüllte die Wiener auf den Sieg in Deutschland.
Die Wiener hatten ihr Vertrauen auf den Feldzeugmeister Benedek, den Mann des Volkes, gesetzt und sie erwarteten in ihrer leichten, sanguinischen Art von ihm jeden Erfolg; — verschwunden waren bei den Meisten jene ängstlichen Zweifel, welche sie noch vor Kurzem in Unruhe versetzt hatten, — die Waffen Oesterreichs waren ja in Italien siegreich gewesen, — das Glück wendete seine Gunst dem Kaiserstaat zu — und mit Spannung, aber freudiger Zuversicht sah man den Nachrichten aus Böhmen entgegen; man erwartete mit Bestimmtheit einen großen Sieg.
Anders freilich und nicht so zuversichtlich sah es in der Staatskanzlei am Ballhausplatz und in der Hofburg aus.
Graf Mensdorff war trübe und niedergeschlagen; die Nachrichten aus Italien hatten seine düsteren Befürchtungen nicht beseitigen können und nur mit mattem Lächeln hatte er die Glückwünsche wegen des Sieges von Custozza beantwortet. Der Kaiser schwebte zwischen Furcht und freudiger Hoffnung: die Erfolge in Italien ließen in seinem Herzen die hohen und stolzen Erinnerungen von Novara wieder anklingen und eine weite, glänzende Aussicht öffnete sich vor seinem Blick. Aber wenn die Zweifel, die Mahnungen des Feldzeugmeisters Benedek an ihn herantraten, dieses einfachen Generals, der sich wenig mit strategischen Operationen abgegeben hatte, der es nur verstand, die Truppen gegen den Feind zu führen und zu schlagen, der aber fortwährend behauptete, mit diesen Truppen, in der Verfassung, in welcher er sie gefunden, den Feind nicht schlagen zu können, — dann trat eine tiefe Bangigkeit an sein Herz heran und in schwerer Sorge sah er der Zukunft entgegen.
Während so ganz Wien in fieberhafter Unruhe und Bewegung war, während Jeder wünschte, der Zeit Flügel zu verleihen, um die Entscheidung der Zukunft näher zu rücken, lag Frau Antonie Balzer in ihrem stillen Boudoir auf dem schwellenden Sopha. Die Vorhänge waren geschlossen trotz der großen Hitze und eine schwüle Dämmerung herrschte in dem von den verschiedenartigen geheimnißvollen Parfüms durchdufteten Raum, jenen Parfüms, welche die Wohnung einer eleganten und schönen Frau erfüllen und von denen man nicht weiß, was sie enthalten, welche aber wie ein unsichtbares Fluidum die Luft mit magnetischem, sympathischen Reiz durchströmen.
Die junge Frau lag da, schlaff ausgestreckt, und in ihren Zügen sah man weder die liebevolle Hingebung, mit welcher sie Herrn von Stielow empfangen hatte, noch jene eisige und stolze Kälte, welche sie ihrem Gatten entgegenzusetzen pflegte.
Düster starrten ihre großen Augen in's Leere und ein Ausdruck von abgespannter, trauriger Müdigkeit lag auf ihren Zügen.
Eine Menge verschlossener Briefe und Telegramme lag auf einem kleinen Tische neben ihr.
Ihre perlmutterweißen Hände spielten nachlässig mit einem kleinen Bologneserhündchen, welches zusammengekauert in ihrem Schooße lag.
»Ich habe mich für stark gehalten,« flüsterte sie vor sich hin, — »und doch — kann ich ihn nicht vergessen!« —
Sie sprang auf, legte den kleinen Hund auf ein Kissen und ging langsam im Zimmer auf und ab.
»Welch' eine wunderbare Organisation ist doch die menschliche Natur!« rief sie leidenschaftlich und zornig. »Ich habe geglaubt stark zu sein, — ich habe mir vorgenommen zu herrschen, hinaufzusteigen auf dieser bunten Leiter des Lebens, ohne mich aufhalten zu lassen durch die Rücksichten und Gefühle der gewöhnlichen Welt, — und nun, da die erste Sprosse der Leiter sich meinem Fuße bietet, blicke ich rückwärts, — mein Herz weint, ich bin krank vor Liebe und Sehnsucht, — wie eine kleine Nähmamsell,« stieß sie mit zornigem Ausdruck hervor, indem ihr niedlicher Fuß heftig auf den weichen Teppich trat.
Sie starrte vor sich hin.
»Und warum?« sprach sie sinnend, — »warum kann mein Herz den nicht vergessen, der sich so schnöde von mir gewendet, der mich so verächtlich aufgegeben? — Dieser Graf Rivero, — er bietet mir, was ich ersehnte, er ist ein Mann, der auf den Höhen der Welt steht und der mit mächtiger Hand in die Fäden greift, welche das Schicksal der Menschen lenken, — warum liebe ich ihn nicht? — ich könnte glücklich sein! — Und Jener,« fuhr sie fort, indem ihr Auge sich mit feuchtem Schimmer überzog und ihre Arme sich leicht erhoben, — »Jener, nach dem alle Schläge meines Herzens verlangen, den ich zurückrufe in den einsamen Stunden der Nacht, den meine Arme suchen in der leeren Luft, — wer ist er? — ein Kind, — ein Geist, der weit unter mir steht, — und doch — o er ist so schön, — so rein!« rief sie — die Hände wie nach einem Bilde ausstreckend, das sich ihrem innern Blick zeigte, — »ich liebe ihn, — ich bin Sklavin meiner Liebe!«
Und sie sank ermattet in einen weiten Fauteuil, das Gesicht mit den Händen bedeckend.
Längere Zeit saß sie so da, unbeweglich, und nur die heftigen Athemzüge, welche aus ihrer wogenden Brust hervordrangen, unterbrachen die tiefe Stille in dem halbdunkeln Gemach.
Dann sprang sie wieder auf. Blitzendes Feuer loderte in ihren Augen — der Medea gleich stand sie da mit zuckenden Lippen und mit heiserer Stimme rief sie:
»Sie aber, die ihn mir entrissen — könnte ich den Blitz der Vernichtung auf sie schleudern, — jene vornehme Dame, die von der Wiege an alles Glück des Lebens genossen, die im goldenen Schimmer die freundliche Welt um sich gesehen, — die Alles — Alles gehabt hat, was mir versagt war, — soll sie schwelgen in dieser Liebe, — die ich verloren?« —
Sie öffnete hastig ein kleines Kästchen von inkrustirtem Ebenholz und nahm daraus eine Photographie im Visitenkartenformat.
Lange betrachtete sie dieselbe mit glühenden Blicken.
»Welche einfachen, nichtssagenden Züge!« — rief sie, — »wie lauwarm, wie langweilig muß diese Liebe sein — kann sie ihn glücklich machen, ihn, der den glühenden Schlag meines Herzens gefühlt, — der in meinen Armen empfunden hat, was Liebe heißt?!«
Und mit krampfhaftem Griff drückte sie das Bild zusammen.
Die Glocke des Vorzimmers ließ sie aus ihrer starren Träumerei emporfahren, — rasch warf sie das zerknitterte Bild in das Kästchen zurück und zwang ihr Gesicht zu seinem gewöhnlichen kalten und ruhigen Ausdruck.
Unmittelbar hinter der meldenden Kammerjungfer trat der Graf Rivero in das Zimmer — in untadelhafter Eleganz wie immer, kalt, ruhig und freundlich, das Lächeln des Weltmannes auf den Lippen.
Mit leichtem, elastischem Schritt näherte er sich der jungen