»Lassen Sie Ihre Frau hören, was es auch sei, mein alter Freund,« sagte er ernst und ruhig, — »Ihr Sohn lebt, das ist das Erste und Wichtigste, — was noch kommen mag, kann so schlimm nicht sein, daß ein so frommes und treues Herz, wie das unserer Freundin, es nicht hören könnte.«
Dankbar sah Frau von Wendenstein zu dem Geistlichen empor.
Der alte Deyke zog langsam ein Papier hervor.
»Wenn der Herr Oberamtmann vielleicht den Brief meines Sohnes —«
»Gebt!« sagte der Pastor, — »es ziemt dem Diener des Herrn und dem alten Freunde des Hauses, diese Botschaft mitzutheilen.«
Und er nahm den Brief und trat an das Fenster, durch welches das letzte Licht des sinkenden Tages in den Saal fiel.
Frau von Wendenstein hing mit weit geöffneten Augen an seinen Lippen, — Helene saß, den Kopf in die Hand gestützt, ruhig und scheinbar theilnahmlos am Tische, ihr Auge erhob sich nicht und blickte starr vor sich hin, man hätte zweifeln können, ob sie von alledem etwas sah und hörte, was um sie her vorging.
Langsam las der Pastor:
»Lieber Vater!
Ich gebe Euch gleich Nachricht, wie es mir geht, und Gott sei Dank bin ich gesund und munter; ich habe die Armee in Langensalza getroffen und bin bei den Gardekürassieren eingestellt und habe die große Schlacht mitgemacht und bin im Feuer tüchtig gewesen, aber ich bin ganz gesund und wohl. Gesiegt haben wir und zwei Kanonen genommen und viele Gefangene, — aber heute sind wir umzingelt von großer Uebermacht und die Generale haben gesagt, wir könnten nicht marschiren. Da hat der König kapitulirt und Alle kehren in die Heimat zurück. Mir bricht fast das Herz, wenn ich alle die braven Soldaten mit dem weißen Stab in der Hand nach Hause gehen sehe, — und sie sehen gar nicht so elend und marode aus.
Nun, lieber Vater, muß ich Euch sagen von dem Herrn Lieutenant von Wendenstein, bei dem ich noch hier bleiben muß, denn er ist schwer verwundet und ich kann ihn nicht allein lassen. Ich habe ihn auf dem Schlachtfelde gefunden und dachte, er wäre todt, aber Gott sei Dank ist es nicht so schlimm, und der Doktor hat die Kugel herausgezogen und sagt, er würde leben bleiben, wenn er nur die Kraft hätte, das Fieber auszuhalten. Ich bin mit ihm bei dem Bierbrauer Lohmeier, einem braven Mann, obgleich es ein Preuße ist, und der Lieutenant wird gut gepflegt. Mein Wirth besorgt mir auch diesen Brief durch einen Bekannten bei der Feldpost. Geht nur gleich zum Herrn Oberamtmann und sagt es ihm und um mich sorgt Euch nicht, denn mir geht es ganz gut.
Euer Sohn
Fritz.
Geschrieben am 28. Juli 1866.«
Der Pastor schwieg.
Langsam trat der Oberamtmann zu seiner Frau, legte den Arm um ihre Schultern, küßte sie auf die grauen Locken und sagte:
»Er lebt! — mein Gott, ich danke Dir!«
»Doch nun darf ich hin zu ihm?« fragte Frau von Wendenstein.
»Und ich?« rief ihre Tochter.
»Ja!« sagte der alte Herr, — »und ich wollte, ich könnte euch begleiten, — aber ich wäre da doch nichts nütze!«
Helene war aufgestanden. Mit langsamem, festem Schritt trat sie zu Frau von Wendenstein und sprach, indem ihre Augen in wunderbarem Glanz leuchteten:
»Darf ich Sie begleiten? — wenn mein Vater es erlaubt?«
»Du, Helene?!« rief der Pastor.
»Unsere braven Soldaten bedürfen der Pflege,« — sagte das junge Mädchen, den Blick fest auf ihren Vater richtend, — »und Du hast mich gelehrt, den Leidenden zu helfen. Wolltest Du mir nicht erlauben, in dieser großen Zeit auch meine Pflicht zu thun?«
Der Pastor sah seine Tochter freundlich an. »So geh' mit Gott, mein Kind,« sagte er, und zu Frau von Wendenstein gewendet fügte er hinzu: »Sie werden meine Tochter unter Ihren Schutz nehmen?«
»Von ganzem Herzen!« rief die alte Dame und schloß die Tochter des Pfarrers in ihre Arme.
Schweigend hatte der Kandidat Behrmann die ganze Szene mit angesehen.
Er biß sich auf die Lippen, als Helene ihren Entschluß aussprach, Frau von Wendenstein zu begleiten, ein bleicher Blitz zuckte aus seinem Blick, — dann aber nahm sein Gesicht gehorsam wieder die glatten, lächelnden Züge an, — er trat vor und sprach mit sanfter Stimme:
»Ich bitte die gnädige Frau um Erlaubniß, sie auf ihrer Reise begleiten zu dürfen, — es wird immerhin gut sein, einen männlichen Schutz zu haben und dann glaube ich, daß dort an der Stätte des blutigen Kampfes auch der geistliche Zuspruch erwünscht und willkommen sein wird. — Ich glaube, daß ich dort nützlicher sein kann, als hier, — wo so lange, bis ich wiederkehre, mein Oheim wie bisher die Geschäfte seines Amtes allein wird versehen können.«
Er blickte demüthig und bescheiden auf den Oberamtmann und seinen Oheim, eine Antwort auf seinen Vorschlag erwartend.
»Das ist ein guter und richtiger Gedanke, mein lieber Neffe,« sagte der Pastor, ihm die Hand reichend, — »dort ist ein Feld ernster und segensvoller Tätigkeit für Dich und ich will hier schon inzwischen allein fertig werden.« Der Oberamtmann war erfreut, für seine Damen eine schützende Begleitung gefunden zu haben, und Frau von Wendenstein dankte dem Kandidaten herzlich dafür, daß er ihr die Reise zu ihrem leidenden Sohne erleichtern wollte.
Helene hatte, als ihr Vetter seinen Wunsch aussprach, die Damen zu begleiten, wie erschrocken aufgeblickt, dann aber schweigend und mit niedergeschlagenen Augen das fernere Gespräch angehört, ohne mit einem Worte oder Blick die geringste Theilnahme daran zu verrathen.
Emsiges und bewegtes Leben kam nun plötzlich in das alte Amtshaus.
Frau von Wendenstein eilte ordnend und leitend durch die wohlbekannten Räume, hier ihrer Tochter die Sachen bezeichnend, welche in den Reisekoffer verpackt werden sollten, — dort Lebensmittel, Wein, Zucker und Erfrischungen aller Art auswählend, dann wieder den Dienstboten Anweisungen ertheilend, wie es während ihrer Abwesenheit gehalten werden sollte, — alle jene dumpfe Erstarrung, welche die letzten Tage über auf der alten Dame gelegen hatte, war verschwunden, rüstig und mit leuchtenden Augen eilte sie umher, und wer sie so gesehen hätte, der hätte glauben müssen, daß ein großes Fest sich im Hause vorbereite.
Helene war mit ihrem Vater und dem Kandidaten in das Pfarrhaus zurückgekehrt, um die kurzen Vorbereitungen zur Reise zu treffen, und noch nicht zwei Stunden nachdem die Abreise beschlossen war, stand der bequeme Wagen des Oberamtmanns mit den wohlgenährten, kräftigen Pferden vor dem großen Eingange des Amtshauses.
Frau von Wendenstein umarmte ihren Gatten lange und innig, — es war seit Jahren das erste Mal, daß Beide sich auf längere Zeit trennten. Er legte die Hand auf ihr Haupt und sprach: »Gott segne Dich und führe Dich mit unserem Sohne zurück.«
Der alte Deyke war da und eine Menge Bauern des Dorfes waren auch da mit ihren Frauen und Töchtern, denn blitzschnell hatte sich die Nachricht verbreitet, daß die Frau des Oberamtmanns mit ihrer Tochter hinreise, um den verwundeten Sohn zu pflegen, und daß die Pfarrerstochter und der neue Kandidat sie begleiten. Sie waren Alle gekommen, um Abschied zu nehmen, und Jedem reichte Frau von Wendenstein die Hand, Jedem versprach sie freundlich Nachricht einzuziehen über diesen oder jenen Angehörigen, der bei der Armee stand. Was der Wagen fassen konnte, wurde noch eingepackt von den Gaben der Liebe, welche Jeder nach seinem Vermögen herbeibrachte, und alle Häupter entblößten sich, als endlich der Wagen davon fuhr, kein Ruf aber erscholl, kein lautes Wort wurde hörbar und still gingen Alle zurück in ihre Häuser, in banger Sorge den Nachrichten entgegensetzend, welche die nächsten Tage über Tod oder Leben der Ihrigen bringen mußten.
Still kehrte der Oberamtmann mit dem Pfarrer in das Amtshaus zurück, und die beiden alten Herren
saßen noch lange einsam bei einander. Sie sprachen wenig und doch war ihre Gesellschaft ein gegenseitiger Trost für sie in der schweren Zeit. Der Oberamtmann ließ einen Blick durch den