Und er hielt ruhig auf der Stelle.
Die Granaten flogen mit zischendem Schlag durch die Luft, das kleine Gewehrfeuer knatterte herauf aus dem Thal, die Pferde hoben die Köpfe, schnaubten und zitterten, — unbeweglich, einem Marmorbilde gleich, hielt der blinde König dort oben auf der Höhe, — damit seine Truppen ihn sähen — den Welfenfürsten, der sein Leben einsetzte für das, was er als Recht erkannt in seines Herzens stolzem Gefühl.
Und mit brausendem Hurrah begrüßten die hannöverischen Kolonnen den König, wenn sie an ihm vorbeizogen, und tief senkten sich die wehenden Fahnen vor dem königlichen Herrn der ruhig und kalt ihren Gruß erwiederte, sobald er ihm gemeldet wurde.
»Wenn wir noch lange hier stehen,« sagte Graf Ingelheim zum General von Brandis, »so wird doch endlich eine Kugel Gelegenheit finden, die hannöverische Frage auf sehr einfache Weise zu lösen —«
»Ja, in der That,« bemerkte Graf Platen, auf eine in der Nähe des Königs einschlagende Granate deutend, »sie kommen dem Ziel immer näher, — aber macht man Vorstellungen, so bleiben wir nur um so länger hier.«
»Majestät,« sagte General Brandis, zum König heranreitend, »das Gefecht macht eine Wendung und ich glaube, daß Eure Majestät sichtbarer auf dem Hügel sein werden, der ursprünglich für Eurer Majestät Stellung bestimmt war.«
»Ist das gewiß, Brandis?« fragte der König.
»Ich glaube gewiß, daß Eure Majestät dort besser stehen,« erwiederte der General.
»Dorthin also!« rief der König, seinem Pferde die Sporen eindrückend, daß es in mächtigem Satze empor fuhr und der Major Schweppe Mühe hatte, die Leitung zu behalten.
In raschem Ritt erreichte der Zug den Hügel, neben welchem die Reserve-Kavallerie aufgestellt war.
Der König ritt an den äußersten Abhang vor, sein Gefolge umgab ihn, stieg zum Theil vom Pferde und folgte den Bewegungen der kämpfenden Truppen mit Doppelgläsern und Fernröhren.
Die Equipagen hielten im weiten Halbkreis.
Der König stand unbeweglich. Kein Zug seines edlen, bleichen Gesichts veränderte sich. Der Generaladjutant theilte ihm mit, was man vom Gange des Gefechts sehen konnte, die Herren des Gefolges äußerten zuweilen in lauten Rufen das Resultat ihrer Beobachtungen, meist aber theilten sie in leisem Gespräch einander ihre Hoffnungen oder Befürchtungen mit. —
Während dieß im königlichen Hauptquartier vor sich ging, hatte das Regiment Herzog von Cambridge-Dragoner vom frühen Morgen an in der Gegend des Dorfes Hennigsleben auf der Straße von Langensalza nach Gotha auf Vorposten gestanden.
Vor diesem Dorfe liegt ein Chausseeeinnehmerhaus, dessen schwarz und weiß gestrichener Schlagbaum hoch aufgezogen war und neben welchem sich die am weitesten vorgeschobene Feldwache befand.
Der Lieutenant von Stolzenberg kommandirte dieselbe und bei ihm war sein etwas jüngerer Kamerad, der Lieutenant von Wendenstein.
Die Morgensonne schien hell und die beiden jungen Offiziere standen neben ihren Pferden, hinausblickend in die Ebene, welche sich weit vor ihnen ausdehnte, durchzogen von dem grauen Band der Chaussee. Etwas Stroh lag am Boden, aber von den Vorräthen, aus denen sich am Abend des Einmarsches in Göttingen die jungen Leute ihr Souper zusammengesetzt halten, war nichts mehr zu erblicken.
Mit müdem, halb schläfrigem Blick zog Herr von Wendenstein seine Feldflasche hervor, that einen kräftigen Zug und reichte sie seinem Kameraden. Dann zog er ein Stück schwarzes Brod aus der Tasche und begann langsam dasselbe zu zerbrechen und einen Brocken nach dem andern zu verzehren.
»Wißt Ihr, Stolzenberg,« sagte er, sich leicht schüttelnd, — »daß diese Art von Krieg auf die Dauer sehr ungemüthlich wird. — So haben wir uns den Feldzug nicht gedacht, als wir auszogen!« — Und er reichte seinem Pferde ein Stück Brod, das er mit Branntwein befeuchtet hatte.
»Nein, das weiß Gott,« sagte Herr von Stolzenberg seufzend, indem er einen Schluck aus der Feldflasche nahm, — »wo zum Teufel habt Ihr denn diesen Fusel aufgetrieben?«
»Ich fand ihn im Wirthshause vor dem Dorfe, — was wollt Ihr, wenn der Cognac zu Ende ist, muß man Kartoffelspiritus trinken. — Es ist übrigens ein Skandal,« fuhr er fort, »daß wir nichts zu essen und zu trinken haben, — es ist genug da, aber die Proviantkolonnen kommen niemals heran, und wenn man einmal glaubt, etwas zu bekommen, so wird allarmirt und man muß wieder vorwärts.«
»Vorwärts?« rief Herr von Stolzenberg, — »nun, ich dächte, vorwärts gehen wir schon lange nicht mehr! — Und die schönen Hammelheerden, denen wir auf beiden Seilen des Weges begegneten, die wir aber bei Leib und Leben nicht anrühren durften! — Donnerwetter!« fuhr er mit dem Fuße stampfend fort, — »in Feindes Land sein und nicht einmal die nothwendigen Lebensbedürfnisse requiriren zu dürfen, das ist denn doch wirklich zu stark!«
»Wißt Ihr,« sagte Herr von Wendenstein lachend, »der Generalstab hat so viel zu thun, um dem Feinde aus dem Wege zu gehen, daß er nicht daran denken kann, die Leute zu verpflegen, — übrigens wäre es für die Proviantkolonnen auch schwer, unsern höchst eigentümlichen Märschen zu folgen!«
»Ich begreife nur nicht, wie der König sich eine solche Kriegführung gefallen läßt,« sagte Herr von Stolzenberg, — »er will doch gewiß vorwärts und dieß Hinundherzittern entspricht doch gewiß nicht seinem Charakter !«
»Der arme Herr,« sagte Herr von Wendenstein seufzend, — »was soll er machen? — Ja, wenn er sehen könnte, — aber so —! Es ist schon wahrhaftig alles Mögliche, daß er den Feldzug mitmacht und Alles mit uns theilt.«
»Was ist das?« rief Herr von Stolzenberg, indem er sein Glas an's Auge hob und aufmerksam in die Ebene hinausblickte. — »Seht einmal dorthin, Wendenstein,« sagte er, »dort ganz hinten an der Biegung der Chaussee, — seht Ihr nicht eine lange Staubwolke?«
Herr von Wendenstein blickte ebenfalls durch sein Glas nach der angegebenen Richtung.
»Ich sehe Bajonnette durch den Staub blitzen!« rief er lebhaft, »Stolzenberg, alter Freund, — ich glaube, das ist der Feind!«
»Ich glaube es auch!« sagte dieser, immer die fernen Staubsäulen verfolgend. — »Es ist kein Zweifel!« rief er, — »eine Kolonne Infanterie, — da, dort auch Artillerie! Wendenstein, reitet sofort zur Schwadron und meldet: eine Kolonne Infanterie und Artillerie im Vorrücken auf der Chaussee von Gotha!«
»Hurrah!« rief Herr von Wendenstein, sprang in den Sattel und galoppirte rückwärts dem Dorfe zu.
Herr von Stolzenberg und seine Dragoner waren im Nu zu Pferde. In dienstlicher Haltung hielten sie auf der Chaussee und blickten gespannt in die Ebene.
Langsam zog die Staubwolke näher, deutlicher zeigten sich in derselben blitzende Punkte.
Nach kurzer Zeit sprengten mehrere Reiter vom Dorfe her der Feldwache zu. Der Regimentskommandeur Oberstlieutenant Graf Kielmannsegge mit seinem Adjutanten begleitete den Lieutenant von Wendenstein.
»Dort, Herr Oberstlieutenant!« rief Herr von Stolzenberg und deutete mit der Hand auf die nahenden feindlichen Kolonnen.
Der Oberstlieutenant sah einen Augenblick scharf durch sein Glas hin.
»Das ist wirklich der Feind!« rief er, »und sehen Sie, da auf jener Höhe fährt eine Batterie auf! — Alle Feldwachen sollen sich auf die Schwadronen zurückziehen!« rief er seinem Adjutanten zu, welcher eilig davonsprengte.
Herr von Stolzenberg rangirte seine Wache.
»Und was wird das Regiment thun, — wenn es erlaubt ist, zu fragen?« sagte er, sich zu seinem Kommandeur wendend.
»Sich langsam mit Plänklern am Feinde zurückziehen, so lautet die Ordre!« antwortete dieser seufzend und achselzuckend und sprengte rückwärts dem Dorfe zu, wohin sich bereits die andern Feldwachen zurückzogen.
»Zurückziehen und immer zurückziehen!«