Oberst von Döring grüßte militärisch und verließ mit den beiden Ministern das Zimmer des Königs.
Vor dem Hause ging Graf Ingelheim gedankenvoll auf und ab und blickte von Zeit zu Zeit mit gespanntem Ausdruck nach den Fenstern des Königs herauf. Gruppen von Offizieren standen umher und unterhielten sich lebhaft. Man wußte, daß ein preußischer Parlamentär beim Könige, und alle diese jungen kampfesmuthigen Offiziere fürchteten nichts mehr, als daß ohne zu schlagen kapitulirt werden könnte.
»Man könnte sich ja nicht mehr in der hannöverischen Uniform sehen lassen,« rief ein junger Offizier des Garderegiments mit kindlich frischem Gesicht, indem er mit dem Fuß auftrat, »wenn wir hier, ohne den Degen zu ziehen, eingefangen würden wie in einer Mäusefalle. Da marschiren wir seit vierzehn Tagen hin und her und warten bald auf Bayern, bald auf Hessen und kommen nicht vorwärts. Was erwartete man nicht Alles von diesem neuen Kommando — und nun?«
Auf raschem Pferde sprengte ein blutjunger Offizier in der Uniform der Gardejäger heran, den Stern der Kommandeure des Ernst-August-Ordens auf der Brust; er sprang vom Sattel, gab sein Pferd einem herbeieilenden Reitknecht und trat zu der Gruppe der Offiziere.
»Nun, Prinz,« rief der Lieutenant vom Garderegiment, »woher kommen Sie so eilig?«
»Ich bin etwas zu den Truppen hinausgeritten,« antwortete der Prinz Hermann von Solms-Braunfels, der jüngste der Neffen des Königs, indem er den Versuch machte, einen leicht auf der Oberlippe keimenden Flaum mit den Fingern zu fassen, — »ich bin in Verzweiflung, daß der König mich trotz meiner dringenden Bitten hier zum Hauptquartier kommandirt hat, und von Zeit zu Zeit muß ich einmal hinaus in das freie Lagerleben, um frische Luft zu schöpfen. Wo stehen Sie, Herr von Landesberg?« fragte er den Gardeoffizier.
»Vorläufig hier in Langensalza,« antwortete dieser, »und ärgere mich über das Stillsitzen, das uns der Generalstab auflegt. Der König sollte einmal uns hören, alle jungen Offiziere der Armee, — er würde sich bald überzeugen, daß die Armee marsch- und schlagfertig ist.«
»Das weiß Gott!« rief ein Offizier der Gardehusaren, indem er seinen langen Schnurrbart durch die Finger gleiten ließ, »ich begreife überhaupt nicht, wozu man einen Generalstab hat, denn solche Märsche, wie wir sie gemacht haben, die können wir auch allein zu Stande bringen. — Ich habe einmal eine alte Geschichte von Kreuzfahrern oder einem ähnlichen Korps gehört,« sagte der Gardehusar derb, — »die ließen eine Gans vor sich hergehen und folgten der Marschroute, die dieß Federvieh angab. — Das war noch viel einfacher und billiger, — jetzt ziehen sie dem armen Thier die Federn aus und schreiben damit Tag und Nacht, — und was Gescheidteres kommt auch nicht dabei heraus.«
»Doch, da kommt der Parlamentär zurück!« rief Herr von Landesberg und die Offiziere näherten sich dem Schützenhause, aus dessen Thür der Oberst Döring, vom General von Brandis und Graf Platen begleitet, heraustrat.
Während General von Brandis den Wagen des Obersten heranrief und eine Bedeckung von vier Dragonern kommandiren ließ, verabschiedete sich Graf Platen höflich von dem Obersten und eilte aus den Grafen Ingelheim zu, der ihm erwartungsvoll entgegentrat.
»Es war wieder die Sommation vom 15.,« rief der Minister dem Gesandten des Kaisers von Oesterreich zu.
»Und?« fragte Graf Ingelheim.
»Natürlich ist sie sofort abgewiesen!« rief Graf Platen.
»Nun ist also das Stadium dieser unglücklichen Verhandlungen definitiv zu Ende?« sagte Graf Ingelheim, indem er mit einer gewissen Erleichterung dem davonrollenden Wagen des Obersten von Döring nachsah.
»Es ist zu Ende,« sagte Graf Platen und ein leichter Seufzer entstieg seiner Brust.
»Wissen Sie, lieber Graf,« fuhr der Gesandte fort, »daß die Lage nach meiner Ansicht eine sehr ernste ist? Sie sind hier in einen Winkel zwischen die preußischen Armeen gedrängt und ich sehe in der That nur einen Ausweg, das ist der schleunigste Marsch auf Gotha.«
»Ja — der König ist ja so bereit als möglich, vorwärts zu gehen, — aber der Generalstab —«
»Um's Himmels willen!« rief Graf Ingelheim lebhaft, — »wenn nur Seine Majestät seine alten Offiziere behalten hätte, ich glaube gewiß, daß Tschirschnitz nicht fortwährend rückwärts gegangen wäre.«
»Ja,« sagte Graf Platen achselzuckend, »in militärischen Dingen ist es schwer für mich, etwas zu thun, in Göttingen war der Wunsch allgemein —«
»Allgemein ist der Wunsch, zu handeln und zu marschiren, — sehen Sie dort jene Gruppe von Offizieren, die werden gewiß meiner Meinung sein,« und er deutete auf den Kreis, in welchem der Lieutenant von Landesberg soeben seine Freude über die Abreise des Parlamentärs und die Hoffnung auf eine baldige Aktion aussprach.
Prinz Hermann verließ die Offiziere und trat zu den Grafen Platen und Ingelheim.
»Kommt jetzt kein Parlamentär wieder?« fragte er.
»Nein, mein Prinz,« rief Graf Ingelheim, — »ich hoffe, es war der letzte —«
Ein Extrapostsignal schmetterte lebhaft die Straße herauf und in raschem Trabe fuhr ein geschlossener Wagen mit einem Diener in Reiselivrée auf dem Bock heran.
»Was ist das?« rief Graf Platen erstaunt und alle Blicke richteten sich auf den Wagen, der vor dem Hause hielt. Der Diener sprang herab und öffnete den Schlag.
Ein alter Herr im Reisekostüm, in einen weiten Havelock gehüllt, das weiße Haupt mit einer schwarzen Mütze bedeckt, stieg langsam aus dem Wagen und blickte sich suchend nach allen Seiten um.
»Persiany!« rief Prinz Hermann.
»Mein Gott, Persiany!« rief Graf Platen erstaunt, aber mit freudigem Ausdruck und eilte schnellen Schrittes dem Gesandten des Kaisers von Rußland am hannöverischen Hofe entgegen.
»Was will er hier?« fragte Graf Ingelheim und eine finstere Wolke flog über sein Gesicht.
»Es ist jedenfalls ein gutes Zeichen für die Stellung Rußlands,« sagte der Prinz, »und,« fügte er lächelnd hinzu, — »jedenfalls ist es kein Parlamentär!«
»Wer weiß,« murmelte Graf Ingelheim.
Und sein Blick folgte forschend dem Grafen Platen, welcher Herrn von Persiany entgegengetreten war.
»Endlich finde ich Sie, mein lieber Graf!« rief der Gesandte des Kaiser Alexander, ein alter Herr mit scharf markirten Zügen und lebhaften dunkeln Augen, welche aber jetzt den Ausdruck der höchsten Abspannung trugen, — »Gott sei Dank, daß diese entsetzliche Reise zu Ende ist.« —
Und er reichte seine vor Ermattung zitternde Hand dem Minister.
»Sie glauben nicht, was ich ausgestanden habe,« fuhr er fort, indem er den Mantel abnahm, — »in diesen schrecklichen Wagen, immerfort aufgehalten durch die Truppenbewegungen, ohne Schlaf, ohne vernünftige Nahrung — in meinen Jahren —«
»Nun,« sagte Graf Platen, — »jetzt sollen Sie etwas Ruhe haben, — »viel können wir Ihnen auch nicht bieten, denn an Bequemlichkeit ist unser Hauptquartier nicht reich —«
»Doch vor Allem,« — unterbrach ihn Herr von Persiany, — »wo ist Seine Majestät, ich bitte sogleich um eine Audienz, — ich komme auf Befehl meines allergnädigsten Herrn und Kaisers —«
Graf Platen blickte erstaunt und gespannt auf und erwiederte:
»Kommen Sie mit mir, ich werde Sie sogleich Seiner Majestät melden!«
Er reichte dem vor Erschöpfung zitternden alten Herrn den Arm und stieg mit ihm die innere Treppe des Schützenhauses herauf.
Im Vorzimmer des Königs sank Herr von Persiany matt auf einen Stuhl.
Graf Platen trat in das Zimmer des Königs, der auf dem Kanape ruhte.
Der Geheime Kabinetsrath saß bei ihm und las einige eingegangene Meldungen vor.
»Verzeihen