»Unmöglich,« bemerkte der Generaladjutant, — »woher sollte das kommen? — der Generalstab erwartet keinen Angriff!«
Einige kurze, sehr entfernte dumpfe Detonationen ließen sich hören.
»Das sind doch in der That Schüsse!« rief Graf Wedel.
»Ich glaube wirklich, daß sie anfangen zu brummen,« sagte der General Brandis, indem er aufstand und mit zufriedener Miene den Rest seines Grogs austrank. — »Es wäre gut, zu Pferde zu steigen!«
»Soll Seine Majestät geweckt werden?« fragte Graf Wedel.
»Es würde eine Meldung da sein, wenn etwas Ernstes sich zeigte,« sagte der Oberst Dammers, — »ich werde auf den obersten Boden des Hauses steigen, von wo aus man die ganze Ebene übersehen kann.«
Und er ging in das Haus; der Prinz Hermann folgte ihm, während die übrige Gesellschaft in gespannter Erwartung den immer deutlicher hörbaren Detonationen lauschte.
»Ein Eierkuchen wird doch zu viel Schwierigkeiten machen,« sagte der Kronprinz, that seine Eier in das Gefäß, dessen Inhalt an heißem Wasser der General Brandis durch seinen Grog nur wenig vermindert hatte, und setzte dieß auf das Kohlenbecken. Dann blies er eifrig in die Kohlen und verfolgte aufmerksam den beginnenden Siedeprozeß des Wassers.
Nach kurzer Zeit kehrte der Oberst Dammers zurück.
»Es sind am äußersten Horizont starke Kolonnen sichtbar, man sieht die Waffen durch den Staub blitzen!« rief er, — »man muß Seine Majestät wecken!«
Graf Wedel eilte in das Haus.
Aus der Ebene drangen Signale herauf; man hörte den Generalmarsch in den verschiedenen Lagerplätzen.
Georg V. trat aus dem Pfarrhause.
Alle näherten sich dem Könige.
»Majestät,« rief der General Brandis, — »ich höre mit Freuden die alte wohlbekannte Stimme der Kanonen, — das macht mein altes Herz wieder jung!«
Des Königs Antlitz strahlte von hohem Muth und Entschlossenheit.
Er reichte dem General die Hand.
»Ich höre diese Stimme zum ersten Mal im ernsten Felde,« sagte er, »aber mein lieber General — auch mein Herz schlägt höher bei diesen Tönen, — jetzt ist keine Transaktion mehr möglich, — Gott sei mit uns!«
Und er faltete die Hände und richtete stumm sein Haupt zum Himmel.
Unwillkürlich fast folgten die Umstehenden seinem Beispiel.
Pferdegetrappel ertönte, ein Offizier der Garde du Corps sprengte heran, sprang vom Sattel und meldete dem Könige vom kommandirenden General, daß der Feind in starken Kolonnen auf der Straße von Gotha heranziehe und daß der General Seine Majestät bitten ließe, Thamsbrück sofort zu verlassen und sich nach der Höhe hinter Merxleben zu begeben.
Graf Wedel eilte fort, die Pferde wurden vorgeführt, die Wagen bespannt.
»Der Generallieutenant von Arentschildt läßt Eure Majestät ferner um Befehle und Instruktionen für eine im Laufe der Aktion etwa nöthig werdende Kapitulation bitten,« — sagte der Adjutant.
General Brandis biß in seinen Schnurrbart, — Graf Ingelheim stampfte auf den Boden.
»Was heißt das?« fragte der König ruhig.
»Der Generalstab,« fuhr der Offizier fort, »hat dem General vorgestellt, daß die erschöpften und schlecht genährten Truppen vielleicht das Gefecht nicht durchführen könnten, und er bittet deßhalb um Autorisation zu kapituliren, wenn dieß nach seiner Ueberzeugung nöthig sein sollte. Er hat eine Instruktion zu diesem Behuf aufgesetzt und bittet Eure Majestät, dieselbe allerhöchst vollzogen ihm zurücksenden zu wollen.«
Und er überreichte dem König ein Papier.
Der König hatte die Zähne über einander gebissen. Ein scharfer, zischender Athemzug fuhr aus seinem Munde.
Ohne irgend eine hastige Bewegung nahm er das Papier und riß es durch.
»Reiten Sie zum Generallieutenant von Arentschildt zurück « sprach er mit kalter, ruhiger, metallisch tönender Stimme, »und bringen Sie ihm meinen Befehl, sich zu vertheidigen bis auf den letzten Mann!«
Das Gesicht des Offiziers leuchtete.
Mit militärischem Gruß wendete er sich scharf um, saß im Nu im Sattel und sprengte wie der Sturmwind davon.
»Und nun vorwärts, meine Herren!« rief der König.
»Papa, ein frisch gesottenes Ei!« und der Kronprinz eilte herbei und bot dem Könige einen Teller mit den Proben seiner Kochkunst.
»Nehmen es Eure Majestät!« sagte der General Brandis, »man kann nicht wissen, wann und wo es wieder etwas gibt,« und er reichte dem Könige ein Ei, nachdem er die Schale an seinem Säbelgriff zerschlagen.
Der König aß es und wendete sich zu den Pferden.
Man stieg auf und der Zug setzte sich in Bewegung, die Dragoner führten und schlossen als Deckung, — die Equipagen und Handpferde folgten.
Als der König aus dem Dorfe Thamsbrück herausritt, war der Geschützkampf bereits in vollem Gange.
Von der Höhe herab sah man die feindlichen Tirailleurlinien vor der Stadt Langensalza, — die feindlichen Batterieen waren jenseits der Unstrut aufgefahren und unterhielten ein lebhaftes Feuer, die hannöverischen Batterieen von der andern Seite antworteten. Vor der Stadt war die Infanterie engagirt, hannöverische Kavallerie war zur Seite sichtbar und zog sich langsam zurück.
»Wohin reiten wir?« fragte der König.
»Nach einer Höhe bei Merxleben, von wo man das ganze Gefechtsfeld übersehen kann, Majestät,« erwiederte der Generaladjutant.
»Wir entfernen uns von dem Kanonendonner!« sagte der König.
»Der Weg macht eine Biegung und zieht sich links herum nach jener Höhe,« antwortete der Oberst Dammers.
»Dann müssen wir rechts reiten, um uns dem Gefecht zu nähern,« sagte der König ruhig und wendete den Kopf seines Pferdes nach der Richtung, woher der Geschützdonner erklang. — »Schweppe,« sagte er zu dem Major der Gardekürassiere und Regimentsbereiter, welcher sein Pferd am Leitseil führte, — »ich befehle Ihnen, in jener Richtung zu reiten.«
»Es führt kein Weg da, Majestät,« erwiederte dieser.
»Dann reiten wir durch das Feld!« Und der königliche Zug bewegte sich in der That in der vom Könige angegebenen Richtung vorwärts.
Näher und näher hörte man die Detonationen der Geschütze und das Prasseln des kleinen Gewehrfeuers.
Der Zug des Königs und seines Gefolges bewegte sich auf der Höhe der die Ebene begrenzenden Hügelkette durch das Feld hin nach dem von dem Generaladjutanten bezeichneten Punkte, scharf hervortretend durch die bedeckenden Dragoner und die glänzenden Uniformen der Suite.
Einzelne Kugeln flogen über diesen Zug hin, die Pferde begannen zu schnauben.
Da schien plötzlich die feindliche Artillerie den Zug des Königs zum Zielpunkt zu wählen und die Granaten flogen dichter und dichter darüber hin, bald hinten, bald vorn in den Boden schlagend.
Der Generaladjutant sprengte an den König heran.
»Majestät,« rief er, »wir sind im lebhaftesten Feuer, ich beschwöre Eure Majestät —«
Graf Platen und General von Brandis baten den König ebenfalls dringend, sich aus der augenscheinlichen Gefahr zurückzuziehen.
Der König hielt sein Pferd an.
Die ganze Eskorte stand still.
»Können die Truppen mich hier sehen?«