Die beiden Herren traten ab; sie begegneten in der Thür die eintretenden Offiziere.
Der General von Arentschildt, eine nicht große, überaus magere Gestalt mit scharf markirten, etwas verwitterten Zügen und einem mächtigen grauen Schnurrbart, der lang über die Lippen herabhing, trat zuerst ein. Ihm folgte der Oberst Dammers, ein noch junger Mann, hochblond, von rothen, frischen Farben und raschen, energischen Bewegungen. Sein helles, blaugraues Auge fuhr mit sicherem, scharfen Blick über die Anwesenden und blieb dann erwartungsvoll auf dem Könige haften.
Ihnen folgte der General von Brandis.
»Meine Herren,« sagte Georg V. ernst und mit einer gewissen stolzen Kälte, »ich habe Sie, wie Ihnen mein Kriegsminister mitgetheilt hat, zu den in diesem Augenblick für mich und das Vaterland wichtigsten Stellungen berufen — ich bin überzeugt, daß Sie das Vertrauen, welches man Ihnen allgemein entgegenträgt — und das ich Ihnen beweise,« — fügte er hinzu, »vollständig rechtfertigen werden. Ich bitte Sie nun, schleunig Ihre Geschäfte zu übernehmen, und Sie, mein General von Arentschildt, werden mir, sobald als irgend thunlich, über die Richtung unseres Vormarsches Ihre Meinung sagen!«
»Majestät!« rief der General und schlug sich schallend auf die Brust, »Majestät, dieß Vertrauen ehrt mich hoch, und was ein alter Soldat thun kann, um es zu rechtfertigen, wird geschehen. — Ich bitte Eure Majestät —«
»Was?« fragte der König.
»Mir den Oberst Cordemann zum Chef des Generalstabs zu geben.«
Der König schwieg einen Augenblick.
»Also auch ein neuer Generalstabschef,« sagte er halblaut. — »Es ist in der Ordnung,« fuhr er fort, »daß Sie einen Generalstabschef nach Ihrer Wahl haben, — Oberst Dammers, fertigen Sie das Nöthige aus, und Sie, General Brandis, verständigen Sie den General von Sichart auf die schonendste Weise davon.«
»Der General hat mich bereits ersucht, Eurer Majestät sein Abschiedsgesuch zu unterbreiten,« antwortete Herr von Brandis.
»Der brave Mann!« rief der König, — »ich will ihn nachher noch sehen und persönlich von ihm Abschied nehmen.«
»Jetzt, meine Herren, an die Arbeit, — Ernst, ich bitte Dich, mir den Geheimen Kabinetsrath zu schicken.«
Der Kronprinz und die Offiziere verließen das Zimmer.
Mit tiefem Athemzug lehnte sich der König in seinen Sessel zurück. Gedankenvoll lauschte er dem von unten heraufdringenden brausenden Geräusch von Stimmen und Schritten, in welches sich hie und da militärische Signale, Pferdegetrappel und Trommelschlag mischte, und leise sprach er vor sich hin:
»Nec aspera terrent!«
Der neu organisirte Generalstab installirte sich in der Aula der Universität und in rastloser Arbeit wurde dort die Mobilmachung und Marschfertigkeit der Armee vorbereitet.
Während so die ganze Stadt in fieberhafter Bewegung und Thätigkeit war, fuhr ein Wagen schnell dem Bahnhofe zu.
In demselben saß der alte General von Tschirschnitz mit untergeschlagenen Armen, finster vor sich hinblickend.
»Das also ist das Ende so langer Dienstzeit, begonnen auf den Schlachtfeldern von 1813, durchgeführt durch lange Jahre voll Mühe und Arbeit, — und jetzt fortgeschickt vor dem Feinde, — warum? — weil einige junge Offiziere, einige ehrgeizige Kletterer, die Bahn frei haben wollten und die Gelegenheit benützten, sich von der strengen und festen Zucht des alten Tschirschnitz los zu machen.«
Er schnallte seinen Säbel ab und legte ihn auf den Rücksitz des Wagens.
»Da liege,« sagte er finster, »du alte ehrliche Waffe, — du bist zu derb und zu gerade für diese Zeit und diese Generation, — schreiben werden sie viel, auch viel hin und her laufen, — Pläne machen, Ordres und vorzüglich Contreordres erlassen, — um den Soldaten aber werden sie sich nicht kümmern, marschiren werden sie nicht und schlagen, wenn es sein muß. — Nun,« sagte er aufathmend, — »die Armee wird schlagen, die Truppen werden den Feind fassen, wenn sie ihn sehen, trotz aller Instruktionen und Theorieen, — das bin ich gewiß.«
Er war am Bahnhof angekommen, und während er, den Säbel in der Hand, in einen der leeren Züge einstieg, die nach Hannover zurückkehrten, um neue Truppen zu holen, rangirte sich am Bahnhof klirrend und rasselnd das Cambridge-Dragoner-Regiment, unter dem Befehl des Oberstlieutenants Grafen Kielmannsegge, der auf schnaubendem Pferde an der Spitze hielt, um das Regiment durch die Stadt in seine Quartiere in den vor Göttingen liegenden Dörfern Harste und Gladebeck zu führen.
Freundlich schaute der alte General von seinem Coupé hinüber nach den prächtigen, waffenschimmernden, muthstrahlenden Reitern.
Dann lehnte er sich mit wehmüthigem Lächeln zurück, — die Lokomotive pfiff und dahin brauste der Zug nach Hannover.
In demselben Augenblick schmetterten die Trompeten der Regimentsmusik durch die Lüfte, die Pferde hoben die Köpfe, die Reiter setzten sich fester in den Sattel, die Reihen schlossen sich und dahin zog das herrliche Regiment in die Stadt der Georgia Augusta.
Vor der vierten Schwadron ritt auf courbettirendem Pferde ein großer, schöner Mann, der Rittmeister von Einem, und neben seinem Zug sah man den Lieutenant von Wendenstein, frisch und strahlend im kriegerischen Waffenschmuck. Sein Auge leuchtete und man konnte ihm ansehen, daß nur die Gewohnheit des Dienstes ihn bewog, sein vorwärts strebendes Pferd in der Linie zu halten, — lieber wäre er dahingejagt in sausendem Ritt dem Feinde entgegen. Wohl klang in seinem Herzen ein leiser, wehmüthiger Ton nach, wenn er des alten Hauses in Blechow gedachte, — des letzten Abends im Kreise der Seinen und des Liedes, das ihm so wunderbar in die Seele gegriffen hatte, — aber dieser Ton mischte sich harmonisch in die fröhlichen kriegerischen Fanfaren der Trompeten, in das Wiehern der Pferde und das Klirren der Waffen, — sein Auge blitzte dem Sonnenlicht entgegen und lächelnd flüsterten seine Lippen das hoffnungsvolle Wort: »Auf Wiedersehen!«
Das Regiment zog am Gasthofe zur Krone vorbei; mit schallendem Hurrah begrüßten die Schwadronen den König am Fenster — und dann zogen sie hinaus zum andern Thor den Dörfern zu, in denen sie bei den Bauern die herzlichste Aufnahme fanden, denn der hannöverische Kavallerist war zu allen Zeiten ein willkommener Gast bei dem hannöverischen Bauer, um wie viel mehr jetzt, wo die braven Reiter mit dem Könige in's Feld zogen!
Bei dem Dorfe Gladebeck stand die vierte Schwadron auf Vorposten.
Die Pferde waren gefüttert und mit Streu versorgt, — regelrecht nach allen Vorschriften des Dienstes und nach dem Herzen der Kavalleristen, die erst für die Pferde und dann für sich sorgen.
Ein lustiges Feuer brannte neben der Straße vom Dorfe her am Fuße eines Hügels, von welchem aus man eine weite Ebene von Wiesen und Fruchtfeldern überblicken konnte. Von unten herauf leuchteten die Fenster der Bauernhäuser durch die laue Nacht herüber und von ferne schallten Stimmen, einzelne Signale und Pferdegewieher. Vom dunklen Himmel schimmerten die Sterne herab und der weiche, milde Nachtwind zog erfrischend nach der Hitze des Tages über die Felder hin.
Auf dem Hügel stand ein Reiterposten unbeweglich, den Karabiner am Schenkel.
Vor dem Feuer aber lagen auf reinem, hoch aufgeschüttetem Stroh zwei junge Offiziere, — die Lieutenante von Wendenstein und von Stolzenberg. In einem Feldkessel kochte brodelnd und prasselnd das Wasser; Cognac, Citronen und große Stücke Zucker waren reichlich vorhanden, und der Lieutenant von Stolzenberg, ein blühender, frischer junger Mann, bereitete in zwei silbernen Feldbechern das duftige, herzstärkende Getränk, welches Schiller zu seinem unsterblichen Liede begeisterte. Schinken, Brod und Würste lagen daneben und bewiesen , daß die Bauern von Gladebeck ihren Gästen geliefert hatten, was ihre Vorratskammern vermochten.
Herr von Stolzenberg hatte das Getränk gemischt, gekostet und reichte seinem Kameraden den Becher, den er mit einem Stückchen Holz umrührte.
»Glaubt Ihr an Ahnungen, Wendenstein?« fragte er.
»Das weiß ich wirklich nicht,« antwortete