Der Kurier Duve hatte seinen Weg, ohne einem preußischen Soldaten zu begegnen, fortgesetzt, er hatte das kurhessische Hauptquartier nicht in Fulda, sondern in Hanau gefunden, dort hatte ihm der General von Loßberg erklärt, er könne keine Dispositionen treffen, da der Prinz Alexander von Hessen bereits das Kommando übernommen habe, — übrigens sei die kurhessische Armee immobil.
Der Kurier war weiter geeilt, hatte in Frankfurt dem österreichischen Bundespräsidialgesandten Baron Kübeck die Depesche des Grafen Ingelheim übergeben und von Herrn von Kübeck ein dringliches Schreiben an den Prinzen Alexander von Hessen erhalten, der sich in Darmstadt befand. Er hatte dem Prinzen mündlich alle Nachrichten über die Stellung der hannöverischen Armee gegeben, welche diesem völlig unbekannt war. Prinz Alexander sendete die Botschaft, daß er die Bayern, welche bei Schweinfurt standen, ersuchen wolle, schnell nach Norden vorzugehen; daß das achte Armeekorps über Fulda auf Eschwege schleunigst vorrücken solle, um der hannöverischen Armee die Hand zu reichen; daß endlich die kurhessische Brigade als Scheindemonstration von Hanau nach Gießen vorgeschoben werden solle.
Man erwartete also im Hauptquartier des Prinzen Alexander, daß die hannöverische Armee eiligst auf der Straße nach Fulda herabkommen, die kurhessische Brigade aufnehmen und sich mit dem achten Armeekorps vereinigen würde. Die Straße nach Fulda war frei und man hätte dort höchstens einzelnen Abtheilungen des zersplitterten Korps des Generals Beyer begegnen können, welche wahrscheinlich einen Kampf gar nicht aufgenommen hätten.
So rechnete man im Hauptquartier des Prinzen Alexander.
Anders aber beschloß der neue hannöverische Generalstab in der Aula der Georgia Augusta. Es waren Meldungen theils von Reisenden, theils von ausgeschickten Kundschaftern gekommen, daß sechzigtausend, achtzigtausend, ja hunderttausend Mann preußische Truppen auf der fuldaer Straße ständen, und so wurde denn beschlossen, diesen Weg nicht zu nehmen und mitten in das preußische Gebiet und zwischen die preußischen Armeen hineinzumarschiren, um über Heiligenstadt und Treffurt nach Eisenach zu kommen, dort die Bahn zu überschreiten und die Bayern zu erreichen, von welchen man keine Nachricht hatte, aber bestimmt annahm, daß sie dort stehen würden.
Vergebens schüttelte der alte General von Brandis wiederum den Kopf und bemerkte in seiner kurzen Weise, daß eine Armee, welche sich durchschlagen wolle, sich immer scharf an den Feind halten müsse, — wenn daher preußische Truppen auf der Straße nach Fulda ständen, so sei es nach den sehr praktischen Grundsätzen der Wellington'schen Kriegführung geboten, dorthin zu marschiren, — jedenfalls habe man mehr Chance, dort den Feind zu werfen und den Süden zu erreichen, als sich aus dem Kesseltreiben herauszuziehen, in welches man sich hineinbegeben wolle.
Der Generalstab beschloß einstimmig den Marsch nach Heiligenstadt und der König genehmigte diesen Marsch.
So brach denn endlich die Armee am 21. Juni Morgens um vier Uhr auf und ein einstimmiger Jubelruf durch alle Quartiere und Kantonirungen begrüßte den Marschbefehl.
In musterhafter Ordnung wie zur Parade zogen die tapfern Brigaden aus. Etwa um fünf Uhr verließ der König Göttingen, zum Abschied begrüßt von dem Senat der Universität und den Civilbehörden.
Es war ein glänzender und prachtvoller Zug, der da in das Morgenlicht hinauszog, in das preußische Gebiet hinein.
Eine halbe Schwadron des Cambridge-Dragoner-Regiments deckte als persönliche Schutzwache den königlichen Kriegsherrn.
Auf hohem, prachtvollem weißen Pferde, dem an kaum sichtbarem, feinem Leitseil der Major Schweppe von den Gardekürassieren die Richtung gab, ritt Georg V. in der stolzen, ritterlichen Haltung, welche zu Pferde seine Erscheinung so besonders königlich und imposant machte, ihm zur Seite der Kronprinz in der Gardehusarenuniform auf leichtem, kleinem Pferde. Ihn umgab das zahlreiche Gefolge vom Militär und Civil, — der alte einundsiebenzigjährige General Brandis hatte den Wagen zurückgewiesen, Graf Ingelheim ritt in grauem Anzug und hohen Ecuyerstiefeln neben dem König; — der glänzenden Kavalkade folgte des Königs sechsspänniger Reisewagen mit Stangenreitern und Piqueurs, sodann eine Reihe anderer Wagen für das Gefolge, Handpferde, Stallmeister und Lakaien.
Wo der königliche Zug vorbeikam an den marschirenden Truppen, da ertönte lautes, jubelndes Hurrah und alle diese frohen und muthigen Soldatenherzen schlugen höher, wenn sie ihren König in ihrer Mitte sahen.
Der heldenmüthige, aber strategisch etwas rätselhafte Zug der Hannoveraner, auf welchen damals die Augen nicht nur von Deutschland, sondern von Europa gerichtet waren, gehört der Geschichte an und ist in den Schriften über den Krieg von 1866 ausführlich erzählt. Späterer Zeit wird es vorbehalten bleiben, die verschiedenen unerklärlich erscheinenden Wendungen, welche die Armee machte, vielleicht zu erklären, welche in Heiligenstadt den Marsch auf Treffurt wieder aufgab und über Mühlhausen nach Langensalza ging, von dort fast unter den Kanonen von Erfurt vorbei auf Eisenach zog und dann plötzlich, nachdem dieser Ort schon so gut wie genommen war, anhielt, weil ein Parlamentär des Herzogs von Koburg-Gotha ohne Legitimation im hannöverischen Hauptquartier erschien. Um diese Mission aufzuklären, war der Major von Jacobi vom hannöverischen Generalstabe nach Gotha geschickt worden, hatte dort, getäuscht über die Zahl der bei Eisenach stehenden preußischen Truppen, den hannöverischen Obersten von Bülow telegraphisch zur Einstellung der Feindseligkeiten aufgefordert, und dieser hatte, der Aufforderung Folge leistend, seine Truppen vor Eisenach zurückgezogen und einen vorläufigen Waffenstillstand zwischen den sich gegenüberstehenden Truppen geschlossen.
Als daher — sagt der offizielle Bericht über diese Vorgänge — der kommandirende General von Arentschildt mit der Erwartung, Eisenach sei genommen, gegen acht Uhr Abends auf jenem Punkt erschien, sah er sich einer vollendeten Thatsache gegenüber, welche seinen Plan vereitelte, den Absichten Seiner Majestät des Königs widersprach, aber in welche noch einzugreifen sowohl der Abschluß des Waffenstillstandes, als auch die einbrechende Nacht ihn verhinderte.
Der Major von Jacobi wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, dessen regelrechte Durchführung durch die späteren Ereignisse unmöglich ward.
Die Annahme des Parlamentärs, die mit ihm und dem Herzog von Koburg mitten in der militärischen Aktion begonnenen Verhandlungen, der Rückzug vor Eisenach erzeugten in Berlin die Ansicht, daß der König unterhandeln wolle, und König Wilhelm von Preußen, stets von dem Wunsche beseelt, einen blutigen Zusammenstoß mit den Hannoveranern zu vermeiden, sendete seinen Generaladjutanten von Alvensleben in das hannöverische Hauptquartier, das sich am 25. Juni in Groß-Behringen auf der Straße nach Eisenach befand.
Inzwischen war während des durch die vorläufigen Negoziationen mit dem Herzog von Koburg veranlaßten Stillstandes der hannöverischen Armee Eisenach durch Zuzüge preußischer Truppen so stark besetzt worden, daß es schwer erschien, diesen Platz noch zu nehmen.
General von Alvensleben meldete sich in Groß-Behringen als Bevollmächtigter Seiner Majestät des Königs von Preußen, um »die Befehle Seiner Majestät des Königs von Hannover entgegen zu nehmen«. Die Unterhandlungen drehten sich um den von dem hannöverischen Kriegsrath gemachten Vorschlag, den hannöverischen Truppen ohne Kampf und Blutvergießen freien Durchzug nach dem Süden zu gestatten unter der Bedingung, eine bestimmte Zeit lang nicht gegen Preußen zu fechten. Preußischerseits wurde diese Zeit auf ein Jahr bestimmt und bestimmte Garantieen und Pfänder verlangt. Der König von Hannover nahm die so gestellte Bedingung nicht an, es wurden jedoch auch die Verhandlungen nicht abgebrochen, vielmehr ein Waffenstillstand geschlossen und der König versprach seine definitive Antwort bis zum 26. Morgens zu geben. Als am 26. früh der König den Oberstlieutenant Rudorff vom Generalstabe nach Berlin absendete, wurde dieser von dem General Vogel von Falckenstein, der sich in Eisenach bereits befand und dort fast zwei Divisionen vereinigt hatte, nicht weiter befördert und zugleich erklärte der General Vogel von Falckenstein, daß er von einem Waffenstillstand nichts wisse und angreifen werde.
Die hannöverische Armee war dadurch in eine sehr bedenkliche Lage gerathen. Der König, welcher die Nacht in Groß-Behringen zugebracht hatte, bezog am 26. früh wieder sein Hauptquartier im