»Weiter?« rief der König und ein Zug von Befremdung und Unmuth zeigte sich in seinen zusammengezogenen Augenbrauen, — »was kann man denn noch mehr verlangen?«
»Man verlangt ein Bündniß auf Grund der preußischen Reformvorschläge, wogegen man die Sonveränetät und den Besitz Eurer Majestät gewährleisten will!«
»Aber das ist ja ganz etwas Neues!« rief der König.
»Zu spät!« sagte der Geheime Kabinetsrath leise vor sich hin und senkte traurig den Kopf.
»Jene Reformvorschläge,« fuhr der König lebhaft fort, »welche mir den größten und wesentlichsten Theil meiner Souveränetät nehmen, — habe ich ein- für allemal zurückgewiesen und werde sie niemals annehmen. — Welche Souveränetät will man mir dann noch garantiren, nachdem ich die wesentlichsten Bedingungen der Souveränetät aufgegeben? — Sagen Sie dem Prinzen Ysenburg —«
»Wollen Eure Majestät die Gnade haben,« sagte Graf Platen, »die Note des Prinzen anzuhören? Die Situation ist ernst, — er verlangt Antwort bis heute Abend und wenn dieselbe nicht befriedigend ausfällt, d. h. wenn Eure Majestät das Bündniß nicht annehmen — so betrachtet sich Preußen als im Kriegszustand mit Hannover.«
Der König fuhr auf.
»So weit sind wir?« rief er, — »doch lesen Sie!«
Und er bedeckte das Gesicht mit der Hand, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte; Graf Platen entfaltete das Papier, welches er in der Hand hielt, und las die preußische Sommation, von demselben Tage datirt.
Der König sprach während der Vorlesung kein Wort und bewegte sich nicht.
Als Graf Platen geendet, erhob er den Kopf, — tiefer Ernst lag auf seinen Zügen.
»Und was ist Ihre Ansicht?« fragte er kalt und ruhig.
»Majestät,« sagte Graf Platen zögernd mit etwas unsicherer Stimme, — »ich glaube in der That noch nicht, daß die Dinge ganz so weit sind, wie diese Note sie erscheinen läßt, — man will eine starke Pression ausüben, und ich glaube, wenn man nur etwas Zeit gewinnt —«
»Aber es wird eine Antwort bis heute Abend verlangt!« warf der Kabinetsrath mit einem leisen Klang von Ungeduld in der Stimme ein.
»Gewiß,« sagte Graf Platen, »eine Antwort müssen Eure Majestät auch geben, aber es läßt sich da doch immer ein moyen terme finden, wenn man erwiederte, daß Eure Majestät zu einem Vertrage mit Preußen — das Wort Bündniß müßte vermieden werden — bereit seien und daß derselbe sogleich verhandelt werden sollte, — die Bedingungen aber müßten diskutirt werden, — damit lassen sich einige Tage gewinnen — inzwischen können Ereignisse eintreten — Graf Ingelheim erwartet stündlich die Nachricht vom Einrücken der österreichischen Armee in Sachsen, — und wir können dann nach den Ereignissen handeln —«
»Meine Ansicht steht fest!« sagte der König, indem ein unbeugsamer Entschluß aus seinen stolzen Zügen leuchtete und er das Haupt mit einer Bewegung voll Hoheit und Würde zurückwarf, — »die Reformbedingungen, auf Grund deren ich dieß Bündniß eingehen soll, greifen die Selbstständigkeit und die heiligsten Rechte der Krone an, welche ich von meinen Ahnen ererbt habe, welche von ganz Europa garantirt ist und welche ich meinem Sohne in voller Selbstständigkeit wieder zu hinterlassen verpflichtet bin. Sobald ich davon überzeugt bin, gibt es für mich nur Eine Antwort auf den preußischen Vorschlag — und diese Antwort ist: Nein! — Dann aber,« fuhr er fort, »keine Unklarheit, keine dilatorischen Negoziationen, ich will, daß man über diesen Punkt ganz klar sei in Berlin, — die Neutralität, die ich versprochen, werde ich halten und will sie völkerrechtlich abschließen, — diesen Vertrag niemals!«
Der Kabinetsrath schwieg.
Graf Platen faltete die Note des Prinzen Ysenburg und entfaltete sie wieder, — er schien nach einem Ausweg zu suchen, um dem so bestimmt ausgesprochenen Entschluß des Königs eine Modifikation zu geben.
Georg V. erhob sich.
»Die Lage aber,« sprach er, »in welcher ich, mein Haus und mein Königreich uns in diesem Augenblick befinden, ist so ernst und was jetzt geschieht, greift in unberechenbaren Konsequenzen so weit in die Zukunft, daß ich bei dem zu fassenden Entschluß mein Gesammtministerium hören will.«
Graf Platen seufzte erleichtert auf und nickte zustimmend mit dem Kopf.
»Fahren Sie, mein lieber Graf,« fuhr der König fort, »sofort zur Stadt zurück und rufen Sie meine sämmtlichen Minister auf der Stelle hieher!«
»Zu Befehl, Majestät!« sagte Graf Platen schnell.
»Zugleich aber,« sprach der König weiter, »müssen sofort Maßregeln getroffen werden, um die Armee, welche zerstreut im Lande sich befindet, zu konzentriren. Ich will alles unnütze Blutvergießen hier im Lande für alle Fälle vermeiden und mit der Armee nach Süddeutschland gehen, um dort im Verein mit meinen nunmehrigen Bundesgenossen zu handeln. So wird wenigstens mein Land von den Schrecken des Krieges verschont bleiben, wenn ich es auch vor feindlicher Okkupation nicht schützen kann.«
»Eure Majestät wollen selbst —« rief Graf Platen.
»Ich will thun, was meine Pflicht ist« — unterbrach ihn der König mit Hoheit, — »und wenn meine Armee im Felde steht, so ist mein Platz in ihrer Mitte. — Senden Sie reitende Ordonnanzen zu meinem Generaladjutanten, dem Chef des Generalstabs und dem Kommandeur des Ingenieurkorps,« sagte er dem Geheimen Kabinetsrath, »und Sie, mein lieber Graf, — eilen Sie und kommen Sie bald mit den übrigen Herren zurück!«
Graf Platen und der Geheime Kabinetsrath entfernten sich.
Der König blieb allein.
Er saß da vor seinem Tisch in tiefes Sinnen versunken. Das Haupt sank tief herab und von Zeit zu Zeit drang ein schwerer Athemzug aus der arbeitenden Brust — dann hob er den Kopf empor und das blicklose Auge richtete sich nach Oben wie in stummer Frage.
Der Kammerdiener öffnete schnell beide Flügel der Thüre und rief:
»Ihre Majestät die Königin!«
Georg V. fuhr aus seinem Sinnen empor und stand auf.
Die Königin trat eilig in das Kabinet und ging auf ihren Gemahl zu, der ihr die Hände entgegenstreckte und sie auf die Stirn küßte.
Die Königin Marie war damals etwa fünfundvierzig Jahre alt, groß und von jugendlich elastischer Gestalt, anmuthig in Haltung und Bewegung. Ihr Gesicht, von dunkelblondem reichem Haar umrahmt, hatte nicht mehr die frischen, rosigen Farben und die kindlichen Züge, welche das neben dem Schreibtisch des Königs hängende große Brustbild der eben vermählten Kronprinzessin zeigte, — aber ein jugendlicher Hauch lag noch immer auf diesem reinen, wohlwollenden und heitern Gesicht, und aus den Augen von dunklem Grau strahlte ein heller, klarer Blick voll Herzensgüte und Lebensfreudigkeit. Heute jedoch war dieser Blick voll Unruhe und Sorge, und mit aufgeregter Stimme rief die Königin, indem sie zu ihrem Gemahl emporblickte:
»Ich sah aus meinem Fenster Graf Platen eilig zu Dir gehen und in dieser Zeit der Angst und Aufregung fürchte ich immer, es könne eine schlimme Nachricht kommen ,« sagte sie mit ihrer wunderbar tiefen und biegsamen Altstimme. »Ist es etwas Ernstes?« fügte sie nach einigen Augenblicken hinzu, indem sie ängstlich forschend in das ernste, fast feierliche Gesicht des Königs sah.
Georg V. antwortete:
»Es wäre thöricht, Dir zu antworten, es sei Nichts — Du würdest die Wahrheit doch bald genug erfahren und — eine Königin muß auch die großen Krisen zu überwinden wissen.«
Er legte sanft die Hand auf ihr Haupt.
»Ja, es ist Ernst,« sagte er, — »heute Abend haben wir den Krieg mit Preußen.«
»O mein Gott!« rief die Königin bebend, — »wie ist das möglich — Du wolltest ja für alle Fälle neutral bleiben!« —
»Man stellt mir Bedingungen, die ich nicht