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      So wogte die Stimmung hin und her, die Verzagten eilten zum Bürgermeister und den Bürgervorstehern, um sie zu einem Schritt beim Könige zu veranlassen, der Seine Majestät bewegen solle, die Stadt nicht zu verlassen, — Andere verlangten eine Konzentration der Truppen um die Residenz, noch Andere wollten die Eisenbahnen zerstören, kurz, man konnte auf den Straßen eine reiche Menge politischer und militärischer Rathschläge hören, von deren jedem Der, welcher ihn ertheilte, überzeugt war, daß seine Befolgung die Stadt und das Land retten würde.

      Dazwischen marschirten die Truppen der Garnison von Hannover nach dem Bahnhof und wurden eingeschifft, andere Bataillone und Schwadronen kamen an und wurden nach kurzem Aufenthalt weiter befördert, — Alles geschah im tiefen Geheimniß und das zahlreich den Bahnhof umstehende Publikum erfuhr nichts über die militärischen Dislokationen.

      Auf dem großen Platz vor dem Bahnhof stand eine Gruppe Bürger in eifrigem Gespräch, ein kleiner schwarzer Mann mit blassem Gesicht und funkelnden Augen schien die Umstehenden zu beruhigen, kräftige Gestalten aus jener alten mannhaften niedersächsischen Bourgeoisie, welche so unerschrocken ist im Handeln, klar gegebenen Verhältnissen gegenüber, aber welche so leicht Muth und Besonnenheit verliert, wenn unklare, außergewöhnliche und verworrene Zustände sie umgeben. Der norddeutsche und der niedersächsische Charakter insbesondere bedarf der Zeit, um sich zurechtzufinden in neuen und ungewohnten Verhältnissen, er bedarf einer gewissen Gewöhnung, um seine Eigenschaften zur Geltung zu bringen, das Plötzliche, Neue und Ungewohnte erstarrt ihn und lähmt seine Thätigkeit.

      So war es auch hier; jene kräftigen Männergestalten mit den groben charaktervollen Zügen standen völlig gebrochen und rathlos da, tiefe Unzufriedenheit und Mutlosigkeit lag auf ihren Gesichtern und diese Unzufriedenheit war völlig bereit, sich gegen die Regierung zu ergießen, denn man war eben gewohnt, die Regierung für Alles verantwortlich zu machen und mit ihr zu schmollen, wenn irgend etwas den langsamen, gewohnten Gang der Tagesstunden störte.

      »Aber so seid doch vernünftig!« rief der kleine blasse Mann, lebhaft gestikulirend, »ihr seid doch wahrhaftig keine Kinder mehr, und daß es in Deutschland zu etwas Anderem kommen würde, als zu Reden und Resolutionen beim Bierseidel, das konnte doch in der That jeder vernünftige Mensch voraussehen. — Ueberdem wißt ihr ja noch gar nichts Gewisses von dem, was vorgeht —«

      »Das ist eben unrecht!« sagte ein großer korpulenter Mann mit tiefer Baßstimme, »das ist eben unrecht, daß wir nichts wissen, — man könnte uns doch wenigstens bekannt machen, was geschieht, damit der Bürger sein Haus bestellen kann und sich einrichten auf die Zukunft —«

      »So wartet doch!« rief der kleine Mann heftig, — »ihr habt gehört, daß die Generale beim König in Herrenhausen sind und die Minister sind noch nicht lange zurück, wollt ihr die Sachen eher erfahren, als sie beschlossen sind? — Es thäte wirklich noth,« sagte er zornig lachend, »daß der König die ganze Stadt und ganz Calenberg in seinen Rath riefe!« —

      »Sonntag hat Recht!« sagte ein alter hagerer Mann in einfacher Bürgertracht, mit ausdrucksvollem, verwetterten Gesicht, in jenem kräftigen niedersächsischen Plattdeutsch, das in den mittleren und unteren Klassen der Städte und des Landes noch allgemein gesprochen wird, — »Sonntag hat Recht, — wir müssen abwarten, was geschieht, der König wird uns schon zur rechten Zeit mittheilen, was nöthig ist, — er wird uns so ohne Weiteres nicht verlassen, — es ist ja Ernst August's Sohn,« — sagte er wie beruhigend zu den andern Bürgern, welche ihm aufmerksamer und augenscheinlich mit größerem Vertrauen zuhörten, als dem kleinen, blassen, beweglichen Kaufmann Sonntag.

      »Doch,« rief dieser plötzlich, - »da steht der Wagen des Grafen Wedel vor dem Bahnhof!« — und er deutete auf eine offene elegante Equipage, welche vor dem großen Eingange des Bahnhofsgebäudes hielt und deren schöne Pferde das Pflaster scharrten, — »erwarten wir den Grafen, der muß wissen, was vergeht!«

      Und mit schnellem Schritt eilte er zu dem Wagen hin, die Andern folgten ihm.

      Nach kurzer Zeit trat der Schloßhauptmann Graf Alfred Wedel in der kleinen Dienstuniform aus dem Bahnhofsgebäude.

      Erstaunt blickte er auf die dichte Gruppe von Bürgern, welche seinen Wagen umstellt hatte und ihm den Weg versperren zu wollen schien.

      »Nun, was gibt es hier?« fragte er freundlich. — »Sie, Herr Sonntag? und sieh' da — auch Ihr, alter Konrades?« — und er trat auf den alten verwetterten Mann zu, der mit Sonntag die Gruppe verlassen und sich ihm genähert hatte, und reichte ihm die Hand.

      »Herr Graf,« sagte der alte Hofsattler Konrades, ein Veteran aus den großen Kriegen und besonderer Günstling des Königs Ernst August, der es besonders liebte, sich mit ihm zu unterhalten, und den seine oft äußerst unceremoniösen, ja groben, aber immer treffenden und den Geist des Volkes wiederspiegelnden Antworten stets sehr ergötzten, — »Herr Graf,« — und er drückte den Kaufmann Sonntag, welcher ebenfalls reden wollte, mit kräftiger Hand bei Seite, — »wir sind hier in großer Unruhe und Besorgniß über das, was da werden soll. Wir hören da, hier und dort, daß der Krieg losgehen wird und daß der König fortgeht, und — da sind denn die Bürger unruhig über das Schicksal der Stadt und möchten gern etwas Gewisses wissen.«

      »Ja,« rief der Kaufmann Sonntag, indem er sich von des alten Konrades zurückhaltender Hand befreite und hervortrat, »ja, Herr Graf, diese Herren hier sind alle unruhig, beängstigt und bereit, den Muth zu verlieren, ich habe mir alle Mühe gegeben, sie zu beruhigen, — aber es will nicht helfen, ich bitte Sie, Herr Graf, sagen Sie ihnen, was vorgeht und was sie thun sollen.«

      Mit gespanntem Ausdruck hingen alle Blicke an dem schönen, kräftigen jungen Mann, der einen Augenblick seinen klaren, ruhigen Blick über die Gruppe schweifen ließ.

      »Was vorgeht?« sagte er dann mit lauter, fester Stimme, — »das ist einfach, der Krieg steht vor der Thür und der König rückt mit der Armee in's Feld.«

      »Und läßt uns hier in der offenen Stadt zurück?!« murmelte es in der Gruppe.

      Ein leichtes Roth flog über die Stirn des Schloßhauptmanns, und ein zorniger Blitz flog aus seinem Auge über die Umstehenden hin.

      »Marschirt der hannöverische Soldat etwa nicht in's Feld und läßt seine Familie zu Haus?« rief er, — »die Königin und die Prinzessinnen bleiben hier unter euch — und ich bleibe bei Ihrer Majestät.« —

      »Ah!« ertönte es aus der Gruppe, — »wenn die Königin hier bleibt, dann kann es wohl nicht so schlimm um die Stadt aussehen.« —

      »Schlimm oder nicht schlimm, die Königin theilt euer Schicksal, wie der König das seiner Soldaten, ist das recht oder nicht? — Antwortet!« rief Graf Wedel.

      »Ja!« rief der alte Konrades laut und »ja, ja« tönte es leiser aus der Gruppe.

      »Aber,« fuhr Graf Wedel mit ernster und lauter Stimme fort, »ihr habt mich auch gefragt, was ihr zu thun habt!«

      Er trat einen Schritt näher an die Bürger heran, so daß er fast umringt von ihnen dastand, und ließ sein Auge blitzend von einem zum andern fliegen.

      »Was?« rief er, »hannöverische Bürger sollten nicht wissen, was sie thun sollen, wenn das Land in Kriegsgefahr ist und der König und die Armee in's Feld ziehen? Der alte Konrades hätte es euch sagen können, besser als ich, denn der hat die alten Zeiten gesehen, von denen ich nur erzählen gehört habe. — Die Armee ist auf dem Friedensfuß,« fuhr er lebhaft fort, — »da fehlt es überall, an Bespannung, an Hülfe und Handreichung, die Kanonen vom Zeughause müssen nach dem Bahnhofe geschasst werden — und hannöverische Bürger stehen hier still und zagen und klagen? — Schafft Pferde und Arbeiter, und wo die Pferde nicht ausreichen, da werden wir selbst angreifen, denn ich werde unter euch sein, sobald mein Dienst es erlaubt. — Die Armee soll in's Feld rücken,« fuhr er fort, »und die Verpflegung muß organisirt werden, — sollen die Soldaten hungern? Bildet Komites, schafft herbei, was ihr in Küche und Keller habt, hieher zum Bahnhof, damit es in die Magazine gesendet werde, den ersten Bedürfnissen abzuhelfen. — Und,« rief er weiter, »heute oder morgen können die Truppen auf den Feind