»Ah!« machte Herr von Keudell.
»Ich vermuthe, er wird einige Zeit hier bleiben,« sagte Beckmann, einen scharfen Seitenblick herüberwerfend, »um die Situation zu beobachten. Sie können durch ihn wirken: was Sie ihm mittheilen, wird an den rechten Ort gelangen und auch seinen Weg in die Presse finden.«
Herr von Keudell neigte leicht den Kopf.
»Doch nun,« sagte Beckmann, »glaube ich, daß ich so schnell als möglich nach Paris zurückkehren muß, — um die Campagne zu beginnen.«
Er stand auf.
Ein Bureaudiener trat ein.
»Seine Excellenz erwartet den Herrn Geheimen Legationsrath.«
»Ich komme,« erwiederte Herr von Keudell. — Er reichte Beckmann die Hand und sagte: »Lassen Sie bald von Ihrer Thätigkeit etwas hören, — Sie werden gerade zur Zeit durch Hannover kommen, um die Welfenflucht mit anzusehen,« fügte er lächelnd hinzu.
»Es thut mir leid, daß Hannover gegen Sie ist,« sagte Herr Beckmann, »es ist mein Vaterland und wenn ich auch lange fort bin, so habe ich doch eine natürliche und tiefe Anhänglichkeit dafür. — Doch das wird sich Alles ausgleichen, wenn erst die große Entscheidung gefallen ist. — Jetzt muß das Verhängniß seinen Weg gehen.«
Und er verabschiedete sich von Herrn von Keudell, welcher seinerseits die große Treppe zu den Zimmern des Ministerpräsidenten hinausstieg.
Elftes Kapitel.
König Georg von Hannover saß am Vormittag desselben 15. Juni in seinem Kabinet in Herrenhausen. Die frische Lust drang durch die geöffneten Fenster herein, die Blumen im Zimmer verbreiteten einen leichten milden Duft, die Springbrunnen plätscherten leise in dem vor den Zimmern des Königs befindlichen reservirten Garten. Alles athmete Ruhe und tiefen Frieden in dieser königlichen Residenz, welche fern vom geräuschvollen Treiben der Stadt in vornehmer Stille dalag.
Der Geheime Kabinetsrath Lex saß neben dem Könige am Tisch, beschäftigt, die eben eingegangenen Sachen vorzulesen.
So eben hatte der Kammerdiener dem Könige eine Cigarre in einer langen hölzernen Spitze gebracht und Georg V. lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück, die feinen, bläulichen Wolken des duftigen Havannahblattes langsam von sich blasend.
»Der Bericht aus Frankfurt über die gestrige Abstimmung ist da, Majestät,« sagte der Geheime Kabinetsrath.
»Nun?« fragte der König.
»Die Mobilmachung der Bundesarmee ist mit neun gegen sechs Stimmen beschlossen.«
»Das ist ein österreichischer Antrag, der nicht besonders klug erdacht ist,« sagte der König. »Wir sind dadurch in große Verlegenheit gebracht, — indeß mit der Modifikation, welche die hannöverische und hessische Abstimmung der Sache geben, wird wohl dem Antrag die Spitze abgebrochen sein.«
»Ich darf Eure Majestät untertänigst aufmerksam machen, daß diese Modifikation, welche die preußischen Armeekorps mit mobil macht und die österreichischen Motive zurückweist, nicht die Majorität erlangt hat — und außerdem scheint sie mir nach meiner bescheidenen Ansicht wenig bedeutungsvoll, — die Dinge sind auf einem Punkte angekommen, wo keine juristischen Subtilitäten mehr, sondern nur noch die Thatsachen in's Gewicht fallen.«
»Aber Graf Platen war der Ansicht,« sagte der König, »daß mit unserer Abstimmung nach Wien und Berlin hin gleich vorsichtige Rücksicht genommen sei —«
»Preußen scheint diese Auffassung nicht zu theilen,« sagte der Kabinetsrath, in die vor ihm liegende Depesche blickend, — »denn der preußische Gesandte hat die Bundesversammlung sofort nach der Abstimmung verlassen und die Erklärung abgegeben, daß seine Regierung den Bund als aufgelöst betrachte, dagegen auf der Basis ihres Reform-Entwurfs mit den einzelnen Regierungen einen neuen Bund zu schließen bereit sei.«
»So weit ist es?« rief der König betroffen und richtete sich empor. — »So ist also dieser deutsche Bund, dieses Bollwerk des deutschen und europäischen Friedens, gesprengt, — welchen Zeiten gehen wir entgegen! — Aber,« rief er nach augenblicklichem Nachdenken, — »wie kann Preußen den Bund als aufgelöst betrachten, — das ist gegen die Fundamentalgesetze und ganz Deutschland muß um so mehr an ihm festhalten!«
»Ich fürchte, daß der Bund, der, auf Oesterreich und Preußen gestützt, mächtig und sicher war, ohne Preußen keine Lebenskraft haben werde« — sagte der Kabinetsrath.
Der König schwieg.
»Ich bin in großer Besorgniß wegen der Zukunft,« sprach der Geheime Kabinetsrath weiter, — »und« — fügte er seufzend hinzu — »würde unendlich mehr befriedigt sein, wenn Eure Majestät den Neutralitätsvertrag in Händen hätten.«
»Aber mein Gott!« rief der König, »ich habe ja meinen Entschluß, neutral zu bleiben, fortwährend ausgesprochen — «
»Aber der Vertrag ist nicht geschlossen,« sagte der Kabinetsrath.
»Der Kurfürst von Hessen wollte sich auch nicht fest binden« — sagte der König, »man hat Wimpffen von Wien aus zu ihm geschickt, wie meinen Bruder Karl zu mir, — Sie wissen, daß er mir durch Meding geantwortet hat, er glaube definitive Entschlüsse erst fassen und Verträge erst schließen zu können, wenn wirklich das beklagenswerthe Faktum der Sprengung des deutschen Bundes eingetreten sei. Uebrigens ist er eben so entschlossen, wie ich, neutral zu bleiben. — Sollte ich da mit einem Vertrag vorangehen, von dem mir Graf Platen sagte, er würde die ganze Bundesversammlung allarmiren und in Wien tief verletzen?«
»Ich würde der bescheidenen Ansicht sein, daß Eure Majestät den Neutralitätsvertrag unbekümmert um allen Allarm in Frankfurt hätten abschließen können — und, wenn es noch möglich ist, daß Sie ihn so schnell als möglich jetzt abschließen und keine ausweichenden Bedenken des Grafen Platen mehr anhören. Es ist besser, auf einem Stuhl zu sitzen, als zwischen zweien.«
»Sie haben Recht,« rief der König, — »es muß ein Ende gemacht werden, die Neutralität entspricht ganz meiner Auffassung und selbst der traurige und beklagenswerte Vorgang in Frankfurt kann nichts in meiner Ueberzeugung ändern, welche mir verbietet, an einem Kriege zwischen zwei Gliedern des deutschen Bundes mich irgendwie zu betheiligen. Ich will Platen kommen lassen und ihm die sofortige Aufnahme der Verhandlungen behufs des Neutralitätsabschlusses befehlen.«
»Ich bin überzeugt,« sagte der Kabinetsrath mit Befriedigung, — »daß Eure Majestät sehr wohl daran thun, und werde erst ruhig sein, wenn der Vertrag in unserem Archiv liegt.«
Der Kammerdiener trat ein.
»Staatsminister Graf Platen bittet in dringenden Angelegenheiten um Audienz!«
»Er soll kommen!« rief der König verwundert.
Das Gesicht des Geheimen Kabinetsraths legte sich in bedenkliche Falten.
Graf Platen trat ein. Die gleichmäßige, selbstbefriedigte Ruhe, welche sonst den Ausdruck seines Gesichts bildete, hatte einem Anflug von nachdenklichem Ernst Platz gemacht.
Der Kabinetsrath sah ihn forschend und unruhig an.
»Was bringen Sie so eilig, Graf Platen?« rief der König.
»Majestät,« erwiederte der Minister, an den Schreibtisch des Königs tretend, — »eine Note, die mir Prinz Ysenburg so eben übergeben, zwingt mich, sofort Eurer Majestät allergnädigste Entscheidung zu erbitten.«
»Nun?« rief der König gespannt, — »was will man in Berlin? — So eben,« fuhr er fort, »sprach ich mit dem Geheimen Kabinetsrath über die Neutralität und es scheint mir, daß jetzt, nachdem