»Und sprach er über die jetzige politische Lage?« fragte der König.
»Es konnte nicht fehlen,« erwiederte der Geheime Hofrath, »daß das Gespräch auch hierauf kam, — ich erlaubte mir, die Hoffnung auszudrücken, daß bei diesen freundlichen Erinnerungen an den preußischen Hof der König auch in dem jetzt so scharf zugespitzten Konflikt zu Eurer Majestät stehe und das alte Band, welches Hannover und Preußen in der Vergangenheit verbunden, neu befestigen werde.«
»Und was antwortete Seine Majestät?« fragte König Wilhelm gespannt.
»Der König sprach sich sehr frei und offen aus,« erwiederte der Geheime Hofrath, »wie ich das stets an diesem ritterlichen Charakter gefunden habe, so oft ich die Ehre hatte, mit ihm in Berührung zu kommen, — er versicherte mich nochmals sehr ernst, daß er nicht die geringste Animosität gegen Preußen habe, — wie man ihm das so oft nach sage, — und daß er einen deutschen Krieg für das größte Unglück halte, das er nach den Gesetzen des Bundes so lange für eine Unmöglichkeit halten müsse, bis es wirklich da sei. An einem solchen Unglück und Unrecht werde er sich niemals betheiligen.«
»Warum hat er denn den Neutralitätsvertrag nicht geschlossen?« fragte der König.
»Aber Seine hannöverische Majestät glaubt vollständig neutral zu sein,« — erwiederte der Hofrath.
»Dann begreife ich nichts mehr!« rief König Wilhelm, — »Graf Platen verweigert ja fortwährend den Abschluß, an dem mir so viel gelegen war!«
»Ich weiß nichts, Majestät,« sagte Schneider, — »von der Politik und von dem, was Graf Platen thut oder nicht thut, — aber daß König Georg auf dem Boden der absolutesten Neutralität zu stehen glaubt, — darüber bin ich gewiß.«
»Sie glauben also nicht, daß er einen Vertrag mit Oesterreich geschlossen hat?« fragte der König.
»Nein, Majestät, das glaube ich nicht, denn der König sprach sich sehr bestimmt darüber aus, daß er sich auf keiner Seite an dem unheilvollen Kampfe betheiligen wolle, indessen —«
»Indessen?« fragte der König.
»Indessen sprach sich Seine Majestät eben so bestimmt und klar darüber aus,« — fuhr der Geheime Hofrath fort, — »daß er den preußischen Bestrebungen, den deutschen Staatenbund ganz oder theilweise in einen Bundesstaat umzuwandeln, niemals entgegenkommen werde, daß er vielmehr mit allen Mitteln die diesseitigen Bundesreformvorschläge bekämpfen und die volle Souveränetät und Unabhängigkeit seiner Krone mit allen Mitteln vertheidigen werde.«
König Wilhelm schüttelte den Kopf.
»Ich erlaubte mir die Bemerkung, daß ja gewiß Niemand und Eure Majestät am wenigsten daran dächte, die Souveränetät irgend eines Fürsten anzutasten, daß aber doch eine festere militärische Einigung Deutschlands nöthig sei und daß der mächtigste Staat die Führung zu Schutz und Trutz übernehmen müsse. Ich fügte hinzu, daß Seine Majestät als englischer Prinz erzogen, sei, — daß aber doch die Politik eines kleinen Landes wie Hannover nicht nach denselben Grundsätzen rücksichtslos vorgehen könne, wie diejenige einer Weltmacht, der große Flotten und Armeen zu Gebote ständen.«
»Nahm das Seine Majestät nicht übel?« fragte König Wilhelm.
»Durchaus nicht,« erwiederte der Geheime Hofrath; »er hörte mich mit der größten Freundlichkeit an, ohne mich zu unterbrechen, und sagte mir dann ohne alle Heftigkeit, doch mit der festesten Bestimmtheit: ›Mein lieber Schneider, mein königliches Recht ist keine Machtfrage, ich habe meine Krone von Gott so gut wie der Herrscher des größten Weltreiches — und nie werde ich ein Titelchen meiner souveränen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ausgeben, — folge daraus was da wolle!‹ — Ich bemerkte Seiner Majestät,« fuhr der Geheime Hofrath fort, »daß es durchaus nicht meine Sache sei, irgendwie mich in die Politik zu mischen, — diese bestimmte Erklärung Seiner Majestät sei aber von solchem Ernste und solcher Wichtigkeit im gegenwärtigen Augenblick, daß ich als treuer Diener meines Herrn mich verpflichtet fühlte, bei meiner Rückkehr hieher Eurer Majestät davon Mittheilung zu machen. Der König Georg billigte dieß vollständig und erklärte, daß seine Ansicht in dieser Beziehung durchaus kein Geheimniß sei, — er werde stets danach handeln. — Dann entließ er mich auf das Freundlichste und Gnädigste!«
»So sind sie denn Alle gegen mich!« rief König Wilhelm nach kurzem Nachdenken und tiefer Ernst legte sich auf sein Gesicht.
Dann blickte er zum Fenster hinaus und sein Blick ruhte lange auf dem Standbild des großen Friedrich.
»Auch er war allein!« sagte er halblaut, »— und allein am größten!«
Der Ausdruck seines Gesichts wurde heiterer. — Er warf einen Blick auf die Uhr, sah dann einen Augenblick den Geheimen Hofrath lächelnd an und sprach:
»Und nun, mein lieber Schneider— fft« — und er machte eine zischende Bewegung mit dem Munde — ähnlich als ob man etwas wegbläst, und deutete mit dem Finger nach der Thür.
»Ich verschwinde, Majestät,« rief der Geheime Hofrath lächelnd, indem er mit komischer Hast der Thür zueilte — und indem er dort noch einen Augenblick stehen blieb, fügte er hinzu: — »und ich wünsche, daß alle Feinde Eurer Majestät eben so schnell vor dem Hauche Ihres Mundes in Nichts verfliegen mögen!«
König Wilhelm blieb allein.
»So stehe ich denn vor der letzten Entscheidung!« — sprach er sinnend, »und die Zukunft meines Hauses und meines Staates liegt auf der Spitze des Degens! — Wie hätte ich gedacht, als ich in vorgerücktem Alter die Regierung antrat, daß ein so großer Kampf mir noch zu kämpfen beschieden sei und daß ich selbst diese neu organisirte Armee, das Werk meines langen Denkens und meiner eifrigen Arbeit, welches ich meinem Sohne als Vermächtniß, als eine Bürgschaft künftiger Macht und Größe zu hinterlassen dachte, — daß ich selbst diese Armee noch in's Feld führen würde, — um sie zu erproben auf denselben Schlachtfeldern, auf welchen mein großer Ahnherr mit unauslöschlichen Zügen seinen ruhmreichen Namen eingeschrieben hat! — Und doch,« — fuhr er fort, indem sein Blick sich wie träumend niedersenkte, »hat es in mir gelegen wie eine dunkle Ahnung. — Als ich vor dem Altar zu Königsberg stand und mich feierlich schmückte mit den Insignien meines königlichen Amtes, da durchfuhr es mich unfaßbar und unerklärlich wie eine Mahnung oder Verheißung von Oben in dem Augenblick, da ich das Reichsschwert ergriff, — übermächtig zwang es mich, das Schwert hinzustrecken über die Vertreter meines Reiches, die in weiter Versammlung mich umgaben, und aus meinem tiefen Herzen herauf stieg das Gelübde zu Gott empor, — das Schwert nicht zu ziehen ohne ernste Nothwendigkeit, — aber einmal gezogen, es zu führen mit Gott, bis die Feinde meines Volkes am Boden liegen! — So ist jene Ahnung in Erfüllung gegangen,« — sagte er leise, — »nun denn vorwärts — mit Gott!«
Und der König faltete die Hände und stand einige Zeit stumm mit gesenktem Haupte da. Dann trat er mit raschem Schritt zu seinem länglichen Schreibtisch, freudige Energie und Entschlossenheit leuchtete aus seinem Blick und mit fester Hand ließ er einen Hellen Glockenschlag ertönen.
»Der Ministerpräsident Graf Bismarck!« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.
Wenige Sekunden später trat der Ministerpräsident in das Kabinet.
Ein scharfer, forschender Blick seines grauen Auges richtete sich auf den König. — Er schien mit dem Ausdruck, den er in den Zügen seines Herrn fand, zufrieden und mit fast heiterer Miene sprach er, indem er einige Papiere aus seiner Uniform zog:
»Majestät, die Entscheidung naht! — ich hoffe, die trüben Nebel werden nun bald versinken und Preußens Waffenmacht wird sich glänzend entwickeln, um der Zukunft freie Bahn zu machen nach so langer Einengung und Hemmung!«
»Was bringen Sie?« fragte der König ruhig.
Graf Bismarck blätterte flüchtig in den Papieren. »Herr von Werther,« sagte er, »zeigt seine Abreise von Wien an. Zugleich meldet er, daß Benedek bei der Armee ist und nicht zufrieden mit dem Zustand