Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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       Inhaltsverzeichnis

      Die Straßen Berlins lagen im Sonnenschein der achten Morgenstunde des 15. Juni 1866 ziemlich öde da. Das berliner Leben fängt nicht zu früh an und man sah um diese Stunde nur wenige den untersten Klassen angehörende Personen auf den Trottoirs unter den Linden dahin eilen, dazwischen mischten sich einzelne Beamte und Kaufleute, welche zu ihren Bureaux eilten.

      Auf allen Gesichtern aber lag eine trübe Stimmung, man eilte an einander vorüber; die Bekannten blieben wohl stehen und tauschten einen Gruß und die Neuigkeiten des Tages aus, — aber diese Neuigkeiten waren trüber und trauriger Natur — der österreichische Gesandte war abgereist, der Krieg war unvermeidlich, — dieser Krieg, den Niemand wollte, den man dem Ehrgeiz des Ministers zuschrieb, der, um sich der Kammer gegenüber zu halten, Deutschland, ja Europa in Brand steckte.

      So sprachen und dachten die guten Berliner, denn sie waren gewohnt, zu denken und zu sprechen am Morgen, wie Tante Voß und Onkel Spener es ihnen zu lesen gaben am Tage vorher, und diese beiden altbegründeten und allerhöchst privilegirten Organe der öffentlichen Meinung erzählten es ja täglich in spaltenlangen Artikeln, daß nur die ehrgeizige Unruhe und die waghalsige Tollheit dieses Herrn von Bismarck schuld sei an dem Lärm in Deutschland, und alle Müller, alle Schultze, alle Lehmann und alle Neumann, welche die königliche Spreestadt großgezogen, lebten der festen Überzeugung, daß zum absoluten Frieden Europas unter dem parlamentarischen Regiment nichts weiter nöthig sei, als daß Herr von Bismarck fortgeschickt werde, um in Schönhausen oder Kniephof seine uckermärkischen teltower Rüben und seinen hinterpommer'schen Kohl zu bauen.

      Wenn daher die einberufenen Landwehrmänner durch die Straßen marschirten, um an den Bahnhöfen eingeschifft und zu diesem oder jenem Armeekorps abgeschickt zu werden, so standen die Gruppen von berliner Kindern — alt und jung — mit sehr unzufriedenen Gesichtern an der Seite der Straße, und Alles schimpfte wacker auf diesen Junker Bismarck, der so viel Unglück in die Familien brachte und dem Staat so viel Geld kostete.

      Das hinderte sie denn freilich nicht, die guten Berliner, den Opfern der Bismarck'schen Politik, den »blauen Jungens«, der Gardelandwehr, welche da aufmarschirten zum thörichten Bruderkrieg, reichliche Liebesgaben an Bier und Cigarren, Würsten und Spirituosen aller Art zu spenden — und die »Opfer« selbst schienen auch gar nicht so unzufrieden, denn aus ihren Reihen klangen jene munteren altpreußischen Soldatenlieder, welche von Generation zu Generation unaufgeschrieben sich vererben und aus den Bivouaks sich in die Häuslichkeit verpflanzen, wo die Knaben sie lernen beim Soldatenspiel, um sie später wieder zu singen in den Bivouaks der Manöver oder des ernsten Kriegs, wohin ihres Königs und Kriegsherrn Befehl sie ruft.

      Wenn aber Abends alle die Schultze, Müller, Lehmann und Neumann in die Stammkneipe gingen und hinter der »Weißen« saßen, dann hörten sie von Neuem aus dem Munde der Wortführer ihres Kreises, welche ihrerseits wieder am selbigen Tage einen Journalisten oder gar einen Deputirten gesprochen hatten, die große Lehre verkünden, daß an aller Unruhe, an aller Stockung der Geschäfte, an allem Kummer in den Familien nur Einer schuld sei, Einer, der seinem Ehrgeiz und seinen thörichten Ideen das Glück der Unterthanen opfere, Einer, der die Krone und den Staat in Gefahr bringe — der Herr von Bismarck-Schönhausen, — der feudale Junker.

      Kein Wunder daher, daß alle die Leute, die am frühen Morgen unter den Linden dahin eilten, trübe in die Welt schauten, und wenn Bekannte stehen blieben und sich die Neuigkeiten des Tages mittheilten, daß in ihr Gespräch eine leise, aber grimmige Verwünschung dieses »Bismarck« sich einmischte, der die ganze Welt, die sonst so schön hätte sein können, in Unruhe und Sorgen versetzte.

      Durch alle diese eiligen und geschäftigen Menschen hin, an den unzufriedenen Gruppen vorbei schritt Herr von Bismarck von der Wilhelmsstraße her die Linden herauf. Er ging so fest und sicher in seiner weißen Kürassieruniform mit dem hellgelben Kragen, dem einfachen Stahlhelm und den Majorsepauletts einher, als wäre er von dem Hauch der größten Popularität umweht. — Niemand grüßte ihn, — er achtete nicht darauf, in raschem Schritt und militärischer Haltung schritt er vorwärts, — an der Ecke, an welcher die große Friedrichsstraße die Linden durchschneidet und die bekannte Konditorei von Kranzler liegt, trat er an einen der sogenannten fliegenden Buchhändler und kaufte sich die Morgennummer der Vossischen Zeitung, — was sofort einige Neugierige stehen bleiben ließ, — denn Jedermann kannte den Ministerpräsidenten, — die ihn schweigend mit keineswegs freundlichen Blicken musterten.

      Flüchtig die Zeitung durchblätternd setzte er seinen Weg fort bis zu dem einfachen viereckigen Palais des Königs, dem mächtigen Standbild Friedrichs des Großen gegenüber, — auf welchem die purpurne, mit schwarzen Adlern besäete Königsstandarte in der Morgenluft wehte.

      An den präsentirenden Schildwachen vorüber trat der Ministerpräsident in das Palais ein und wendete sich links zu den im hohen Parterre liegenden Gemächern des Königs.

      Hier fand er den dienstthuenden Flügeladjutanten. Major Freiherrn von Loën begrüßte denselben und erwartete in leichtem Gespräch mit ihm die Stunde der Audienz, welche der König stets mit gewissenhafter Pünktlichkeit innehielt.

      In dem großen einfach möblirten Arbeits- und Empfangszimmer des Königs Wilhelm stand der greise Herr in jugendlicher, kräftiger Haltung in der Nähe des letzten Fensters, aus welchem er während der Unterhaltung oder des Vortrags über den Platz hinauszublicken pflegte, und durch welches ihn das berliner Publikum in den Vormittagsstunden zu erblicken gewohnt war.

      König Wilhelm trug den schwarzen Interimsüberrock mit den weißen Knöpfen des ersten Garderegiments zu Fuß; sein frisches Gesicht mit den kräftigen, wohlwollenden Zügen, umrahmt von dem weißen Haar und dem weißen, sorgfältig geordneten Bart, war ernst und fast traurig, und aufmerksam hörte er einem Manne zu, der, im Begriff, verschiedene Papiere in eine große schwarze Mappe zu verschließen, zu ihm sprach.

      Dieser Mann — über einen Kopf kleiner als der König — trug einen einfachen schwarzen Anzug mit weißer Kravatte. Sein fast weißes Haar fiel glatt gescheitelt zu beiden Seiten des Kopfes herab, sein Gesicht bewegte sich in lebhaftem Mienenspiel und sein kluges offenes Auge, aus welchem ein jugendliches Feuer und ein gutmüthiger Humor hervorblitzte, blickte frei zum Könige empor.

      Es war der geheime Hofrath Louis Schneider, als Bühnenschriftsteller, Regisseur und Schauspieler eben so bekannt wie als Militärschriftsteller, — der Vorleser Friedrich Wilhelm's IV. und Wilhelm's I., der langjährige treue Diener und Vertraute des königlichen Hauses.

      »Sie haben also den König gesprochen?« fragte der Monarch.

      »Zu Befehl, Majestät,« erwiederte der Geheime Hofrath Schneider, — »ich mußte auf der Rückreise von Düsseldorf, wo ich einige Notizen für eine historische Arbeit suchte, in Hannover bleiben, — und da Seine Majestät der König Georg mir stets besondere Gnade bewiesen, wie Eure Majestät wissen, wie ich für diesen hohen Herrn immer große Sympathie und Verehrung gehegt habe, so fuhr ich nach Herrenhausen und meldete mich mit der Bitte um Audienz. — Der König empfing mich in seinem Arbeitszimmer und war so gnädig, mich, da man ihm gerade sein Frühstück brachte, ebenfalls zum Frühstück einzuladen. — Seine Majestät war von der größten Liebenswürdigkeit und ich empfand von Neuem den wahrhaft hinreißenden Zauber seiner Persönlichkeit.«

      »Ja,« sagte der König Wilhelm, — »es ist eine edle und liebenswürdige Natur, mein Vetter Georg, — wie sehr hätte ich gewünscht, daß wir uns näher geblieben wären — Vieles stände vielleicht besser in Deutschland — leider ist er immer feindlich gegen Preußen.«

      »Ich begreife das nicht recht,« sagte der Hofrath Schneider, — »persönliche Abneigung kann dabei gar nicht zum Grunde liegen, denn ich versichere Eure Majestät, der König lebt und webt in berliner Jugenderinnerungen — er hegt eine tiefe, pietätvolle Verehrung für Seine hochselige Majestät Friedrich Wilhelm III. und er hat mit seinem bewundernswerten Gedächtniß mir eine Menge kleiner Züge und Anekdoten aus der alten Zeit erzählt, — vom Grafen Neale — vom alten Fürsten Wittgenstein —«

      »Vor