Der Kandidat schwieg.
»Woraus besteht denn die Gesellschaft auf dem Schlosse?« fragte er nach einer Pause. — »Ich werde mich dort doch auch so bald als möglich vorstellen müssen.«
»Außer dem Oberamtmann, seiner Frau und Tochter ist da noch der Auditor von Bergfeld,« erwiederte Helene.
»Ist der schon lange hier?« fragte der Kandidat schnell, indem ein rascher Blick auf das Gesicht seiner Cousine herüberflog.
»Ein Jahr,« erwiederte diese mit vollster Unbefangenheit — »und er wird jetzt bald wieder fort gehen, — es ist immer ein junger Auditor auf dem Amte beschäftigt.«
»Aber Herr von Wendenstein hat auch Söhne?« fragte er.
»Die sind nicht mehr hier,« antwortete sie, »der eine ist im Ministerium in Hannover, der andere Offizier in Lüchow. — Doch, da kommt der Vater zurück!« rief sie und deutete auf den sich nach der großen Landstraße herabziehenden Weg, an dessen Einbiegung die Gestalt des Pfarrherrn sichtbar wurde, — »ich will ihm eine neue Tasse Kaffee machen. — Aber mein Gott!« entfuhr ihr fast unwillkürlich und dunkle Röthe übergoß ihr Gesicht.
Der Kandidat folgte der Richtung ihres Blickes und sah auf der Landstraße in schnellem Trabe einen Reiter in der blauen Uniform der Dragoner herannahen. Er mußte den Pfarrer angerufen haben, denn dieser blieb stehen, ging die wenigen Schritte bis zur Landstraße zurück und reichte dem Offizier, der sein Pferd schnell parirte, die Hand.
Nach einer kurzen Unterhaltung ritt der Offizier weiter, grüßte jedoch vorher mit der Hand nach dem Pfarrhause herauf, an dessen Fenster er Helene erblickt haben mußte.
Helene neigte das Haupt zur Erwiederung des Grußes.
»Wer ist der Offizier?« fragte der Kandidat.
»Der Lieutenant von Wendenstein,« antwortete sie und verließ das Fenster, um auf dem Tisch die Spirituslampe von Neuem anzuzünden und den unterbrochenen Nachmittags-Kaffee für ihren Vater neu zu bereiten.
Der Kandidat folgte ihren Bewegungen mit forschendem Blick.
Nach wenigen Augenblicken trat der Pastor in's Zimmer.
»Gott sei Dank!« rief er, »es war nicht schlimm, — eine sehr heftige Erkältung mit starkem Fieber, — aber es ist eine Eigentümlichkeit der Leute hier, welche in ihrem einfachen Leben und ihrer urkräftigen Konstitution so wenig mit der Krankheit bekannt sind, daß sie jede Krankheit für tödtlich halten.«
Er vertauschte sein Baret mit dem Käppchen, setzte sich wieder in den Lehnstuhl und blickte ernst vor sich hin.
»Der Lieutenant ist soeben gekommen,« sagte er.
»Ich habe ihn gesehen,« erwiederte Helene, indem sie die neue Tasse Kaffee dem Vater brachte, »was führt ihn so eilig und zu so ungewohnter Zeit her, — er pflegte doch sonst nur am Sonntage zu kommen?«
»Es sieht trübe aus,« sagte der Pastor, — »der Krieg scheint unvermeidlich, es soll für die nächste Zeit kein Urlaub mehr gegeben werden, und da hat denn der Lieutenant sich noch für heute Nachmittag frei gemacht, um zu Hause Abschied zu nehmen. — Er bittet, daß wir auch hinüber kommen, — er will früh wieder reiten, um in der Nacht noch zurück zu sein.«
Helenens Hände zitterten, während sie dem Vater die Pfeife von Neuem zurecht machte.
»Mein Gott,« fuhr der alte Herr fort, »wenn ich an den alten braven Oberamtmann denke und an seine liebe, stillsinnige Frau und mir vorstelle, daß dieser entsetzliche Krieg ihnen den Sohn rauben könnte, der da heute vor ihnen steht in der Blüte der Jugend!« — Und nachdenklich nahm er die Pfeife, auf welche Helene, sich tief bückend, den brennenden Fidibus hielt.
Dann eilte sie der Thüre zu.
»Wohin gehst Du, mein Kind?« fragte der Pastor.
»Wenn wir auf das Schloß gehen wollen,« erwiederte sie hastig und mit leise vibrirender Stimme, — »so habe ich noch nach der Wirthschaft zu sehen,« — und ohne sich umzublicken, verließ sie das Zimmer.
Der Kandidat sah ihr mit eigentümlich forschendem Blicke nach.
Dann setzte er sich neben den Pastor und sprach, indem er die Hände vor sich übereinander faltete:
»Mein lieber Oheim, ich möchte vom ersten. Augenblicke an, da ich Dein Haus betrete, um so Gott will, der helfende Gefährte Deines heiligen Amtes zu werden, meine Stellung hier nehmen auf dem Grunde der Wahrheit, welche die Richtschnur, im Leben jedes Menschen sein muß, vor Allem aber im Leben des Geistlichen.«
Der alte Herr blies einige starke Wolken aus seiner Pfeife und sah ihn an, als wisse er nicht so recht, was er aus dieser Anrede machen solle.
»Meine Mutter,« fuhr der Kandidat fort, »hat mir oft den Gedanken ausgesprochen, wie sehr es sie beglücken würde, wenn wir noch durch ein anderes Band als das der schon bestehenden Verwandtschaft verknüpft werden könnten, — sie hoffte in ihrem Herzen, daß die Fügung des Himmels mir geben möge, Deine Tochter Helene als mein christliches Eheweib dereinst heimzuführen.«
Der Pastor rauchte schweigend, — aber seine Mienen bewiesen, daß ein solcher Gedanke ihm weder fern lag, noch mißliebig war.
»Oft sagte sie zu mir,« fuhr der Kandidat fort, — »›wie würde ich mich freuen, wenn Du meinem Bruder in seinem Alter eine Stütze sein könntest und wenn es sich fügen wollte, daß Du, wenn Gott ihn einst abruft, seiner Tochter einen Halt im Leben bieten könntest. — Zwar,‹ sagte sie,« — fuhr er fort und sein scharfer Blick richtete sich durchdringend auf die Züge seines Oheims, — »›zwar wird die äußere Sorge des Lebens nicht an sie herantreten‹ —«
»Nein,« rief der alte Herr lebhaft, indem er mit zufriedenem Ausdruck eine, große Rauchwolke von sich blies, — »nein, Gott sei Dank! in dieser Beziehung kann ich ruhig heimgehen, wenn mein himmlischer Herr mich ruft, das kleine Vermögen, das mein verstorbener Oheim mir vermachte, hat sich mit Segen vermehrt, ich habe die reichen Einkünfte meiner Pfarre kaum zur Hälfte verzehrt, und so Gott mir nicht wieder nimmt, was er gegeben, so kann meine Tochter aller Sorge ledig durch's Leben gehen!«
»›Aber,‹« fuhr der Kandidat fort, indem ein fast unmerkliches Lächeln der Zufriedenheit seine dünnen Lippen umspielte, — »›aber immer bedarf sie des stützenden Armes und wenn Du ihr den bieten könntest, vielleicht dereinst in demselben Pfarrhaus, in welchem ihre Kindheit verfloß — so würde mich das hoch beglücken‹ — So sprach meine Mutter oft zu mir.«
»Ja, ja, meine gute Schwester,« — sagte der Pastor, indem er mit freundlichem Lächeln vor sich hin blickte, »das Schicksal hat uns weit auseinander geführt, — weit zwar nicht für die heutigen Verhältnisse, denn die Grenze von Braunschweig läßt sich ja in einem Tag erreichen, — aber in unserem Berufe reist man schwer — ein treues Herz aber hat sie immer für mich bewahrt.«
Der Kandidat fuhr fort:
»Mir schien der Gedanke meiner Mutter schön und gut, — aber ich habe ihn stets zurückgelegt als eine offene Frage, — denn ein Ehebündniß ist nach meiner Auffassung eine Sache, die nur aus der Zuneigung, aus dem Verständniß der Herzen entspringen kann, Und dazu muß man sich kennen. — Jetzt nun bin ich hieher gekommen, und die wenigen Tage, welche ich in Hannover in eurer Gesellschaft zubrachte, haben den Wunsch meiner Mutter zu meinem eigenen werden lassen. Ich finde an Helene alle Eigenschaften, welche ich erforderlich halte, um den Beruf als die christliche Ehefrau eines Geistlichen zu erfüllen und einen Mann glücklich zu machen, und deßhalb, um Alles klar und wahr zwischen uns zu machen, frage ich Dich, lieber Oheim, ob Du mir erlaubst, um die Neigung Deiner Tochter zu werben, und wenn sie mir dieselbe nach näherer Bekanntschaft schenkt, ob Du sie mir für's Leben anvertrauen willst?«
Der alte Herr nahm die Pfeife aus dem Munde und reichte seinem Neffen die Hand.
»Es ist brav und redlich von Dir,« sprach er, »daß Du so mit mir gesprochen, — aufrichtig und ehrlich, — und eben so aufrichtig und