Der alte Mann schwieg einen Augenblick und Thränen traten in seine Augen.
Ueber die Züge des Kandidaten flog der Ausdruck innerer Befriedigung.
»Von ganzem Herzen, mein lieber Neffe,« sprach der Pastor weiter, — »erlaube ich Dir daher, um Helene zu werben, — und wenn eure Herzen sich finden, so werde ich mit Freuden den priesterlichen und väterlichen Segen zu eurem Bunde geben. — Aber,« fuhr er fort, — »übereile, nichts, — laß ihr Zeit, — sie ist eine eigene, sinnige Natur und sie schreckt vor allem Neuen, Plötzlichen zurück. Lernt euch kennen, — ihr habt Zeit!«
Der Kandidat drückte die Hand seines Oheims.
»Ich danke Dir innig und aufrichtig,« sprach er, »für Deine Erlaubniß — gewiß werde ich ihr Herz nicht bestürmen — für eine christliche Ehe taugt das plötzlich auflodernde Feuer nicht, in ruhiger, reiner Flamme müssen sich die Herzen finden.«
Helene trat ein. Sie hatte ein leichtes Tuch um, ein Strohhut mit kleinen Blumen bedeckte ihr Haupt. Ihre Wangen strahlten in frischem, rosigem Schimmer und in ihren Augen lag ein feuchter, schwärmerischer Glanz wie Thränenduft, aber ihr Mund lächelte.
Sie war wunderschön so und freundlich nickte ihr der alte Herr zu, während der Kandidat ihre Gestalt mit einem Blicke umfaßte, vor dem sie das Auge senkte.
»Ich bin fertig, Papa« sagte sie.
»Gut, mein Kind, dann können wir gehen.« — Und er stand auf und nahm sein Käppchen ab.
»Du kannst uns begleiten,« sagte er zu seinem Neffen, — »ich werde Dich dem Oberamtmann vorstellen!«
»Müßte ich aber nicht erst meinen Besuch im Schlosse machen?« fragte der Kandidat.
»Den machst Du jetzt mit mir!« erwiederte der Pfarrer, »wir sind hier nicht so förmliche Leute, ich stehe Dir dafür, daß Du bei unsern Freunden zu jeder Zeit gut ausgenommen wirst!«
Er setzte sein Baret auf, der Kandidat nahm seinen glatt gebürsteten schwarzen Hut — und alle Drei verließen das Pfarrhaus. —
Auf dem alten Amtshause zu Blechow war die Familie des Oberamtmanns von Wendenstein in dem großen Gartensalon versammelt.
Frau von Wendenstein saß in ihrer schneeigen Spitzenhaube und ihrem faltigen, dunklen Seidenkleid auf dem großen Sopha, — ihre Tochter bereitete den Theetisch zu früherer Stunde als gewöhnlich. Der Lieutenant hatte einen niedrigen Lehnstuhl neben seine Mutter gezogen und versuchte durch heiteres Geplauder die alte Dame zu zerstreuen, welche auf seine Bemerkungen zuweilen mit einem trüben Lächeln antwortete, ohne verhindern zu können, daß hie und da eine Thräne auf die feinen weißen Finger fiel, welche mechanisch die Nadel an ihrer Arbeit führten. Der Oberamtmann ging schweigend im Zimmer auf und ab, — zuweilen blieb er an der weit geöffneten Thür stehen und blickte über die Terrasse auf die im sommerlichen Abendlicht vor ihm ausgebreitete Landschaft.
»Verdirb dem Jungen nicht den Humor!« sagte er, vor seiner Frau stehen bleibend, mit einem forcirt barschen Ton, »ein guter Soldat muß frisch und fröhlich in den Krieg ziehen, wenn es denn einmal zum Kriege kommen soll, es ist ja sein Metier — und er muß sich ja eigentlich freuen — wenn er dazu kommt, seinen Beruf und seine Pflicht im Ernst zu erfüllen. — Uebrigens ist's ja auch noch nicht ganz sicher,« fügte er in einem Tone hinzu, dem man nicht recht anhören konnte, ob er zum Troste für seine Frau oder zu seiner eigenen Beruhigung dienen sollte, — »es ist ja nur eine Vorbereitung für alle Fälle und das Wetter kann noch vorüberziehen.«
»Ich will ihm gewiß nicht den freudigen Muth zur Erfüllung seiner Pflicht nehmen,« sagte Frau von Wendenstein mit ihrer sanften Stimme, — »aber die Wehmuth ist doch nicht zu unterdrücken in solchen schweren und ernsten Stunden. Wir müssen ja hier zu Hause sitzen, — allein mit unsern Gedanken und Sorgen, während er draußen in der freien Luft und im bunten Wechsel der Ereignisse sich herumtummelt. Er wird den fröhlichen Muth schon wieder finden. — Wie steht es mit Deiner Wäsche?« fragte sie abbrechend ihren Sohn, gleichsam als wollte sie die Bangigkeit ihres Herzens verscheuchen durch die materielle Sorge für das Kind, das so großen Gefahren entgegen gehen sollte.
»Meine Wäsche ist im vortrefflichsten Zustande, Mama,« erwiederte der Lieutenant heiter, »übrigens, wenn wir wirklich ausrücken, kann ich nicht zu viel davon mitnehmen, unser Gepäck darf nicht groß sein. — Aber wo bleibt der Pastor?« unterbrach er sich, »er hatte mir versprochen, bald zu kommen und die letzten Stunden bei uns zu bleiben. — Apropos,« fuhr er fort, »ist Besuch im Pfarrhause? Ich sah einen Herrn in geistlicher Tracht neben Helene am Fenster stehen.«
»Es ist sein Neffe, der ihm auf seinen Wunsch zum Adjunkten bestellt ist,« sagte der Oberamtmann, — »und dem er später die Pfarre übergeben mochte; ich freue mich für den guten Berger, daß der König ihm sogleich so gnädig seine Bitte gewährt — übrigens glaube ich auch, daß das Konsistorium sie ihm nicht abgeschlagen hätte. — Vielleicht macht sich da eine Partie für die gute Helene.«
Der Lieutenant warf einen schnellen Blick zu seinem Vater hinüber, stand auf und blickte stumm auf die Terrasse hinaus.
Ein Geräusch im Vorzimmer ließ sich hören.
Der alte Diener trat herein und sagte:
»Fritz Deyke ist da und wünscht den Herrn Lieutenant zu sprechen.«
Der junge Mann wandte sich rasch um und rief:
»Er soll kommen, er soll kommen, der gute Fritz, — was bringst Du, mein Junge?« sagte er, freundlich dem Eintretenden sich nähernd, der die Mütze in der Hand in strammer Haltung neben der Thür stehen blieb.
»Der Herr Lieutenant werden verzeihen,« sagte er, »ich möchte eine Bitte aussprechen!«
»Bitte frisch von der Leber weg!« rief der Lieutenant fröhlich, — »es ist schon im Voraus gewährt.«
»Ich höre im Dorf,« — sagte der junge Bauer, »daß der Krieg nun ausbrechen soll, und daß der König in's Feld ziehen wird. Da muß ich denn auch mit — und da wollte ich den Herrn Lieutenant bitten, da wir nun doch uns von Jugend auf kennen, daß der Herr Lieutenant mich zu seinem Burschen nehmen wollte, damit wir auch im Felde zusammen sind.« —
»Halt, mein guter Junge,« rief der Offizier, »so weit sind wir noch nicht, wir marschiren noch nicht, vielleicht gar nicht — bis jetzt sind noch keine Urlauber eingezogen und die Armee ist in der einfachen Friedensstärke. Also kann ich Dich beim besten Willen nicht brauchen. — Aber,« fuhr er fort — »wenn es wirklich losgeht, dann verspreche ich Dir, Dich zu nehmen, — nicht als meinen Burschen, — ich habe einen tüchtigen und ordentlichen Menschen und,« fuhr er lächelnd fort, »der Sohn des alten Deyke ist auch zu vornehm zum Bedienten.« —
»Nicht für den Herrn Lieutenant!« sagte Fritz mit einem gewissen, stolzen Ausdruck, aus welchem deutlich zu hören war, daß er sich allerdings jedem Andern gegenüber für bei Weitem zu vornehm zum Bedienten gehalten hätte.
»Nun sei ruhig,« sagte der Lieutenant, »zu mir sollst Du jedenfalls kommen — wenn die Zeit da ist, will ich dafür sorgen, daß Du in meinen Zug eintrittst, dann wollen wir zusammen von den Dragonern reden machen!«
»Also der Herr Lieutenant versprechen mir, daß ich mit soll, und bei Ihnen bleiben?« fragte der junge Bauer.
»Ich verspreche es Dir,« sagte der Lieutenant, »meine Hand darauf!«
Und er reichte seinem Jugendgespielen mit natürlicher Herzlichkeit die Hand, welche dieser mit Ehrerbietung ergriff und herzlich drückte.
»Dann Gott befohlen, Herr Lieutenant,« sagte er, »hoffentlich nicht auf lange!«
Während der