Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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er in die erregten Züge des jungen Mädchens, als hoffe er, das Bild des verzeihenden, alle Sünde und Schuld hinwegnehmenden Christus, das sie beschrieb, solle auch seinem heißen, dürstenden Blicke sichtbar werden.

      »Was macht dein Freund,« fragte Madame Lukretia in leichtem Tone, »war er heute noch nicht da? Gehst du nicht aus?«

      Das junge Mädchen senkte den Blick, ein wehmütiger Zug legte sich um ihre Lippen, während eine flüchtige Röte ihre Wangen färbte.

      »Er war noch nicht hier,« sagte sie, »ich erwarte ihn später, es ist mir so peinlich, so angstvoll, in die Welt zu gehen, eine stille Spazierfahrt am späten Abend, wenn man niemand mehr in den Alleen des Bois de Boulogne begegnet, macht mir mehr Freude!«

      Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Das sind träumerische Phantasien, die du ablegen mußt, mein Kind,« sagte sie, »im Gegenteil, du solltest dich zeigen, wenn das ganze elegante Paris sich Rendezvous an den Seen gibt, du hast in der Tat keine Ursache, dich zu verbergen,« fügte sie mit einem wohlgefälligen Blick auf ihre Tochter hinzu, »und dein Freund kann wahrlich stolz sein, mit dir vor den Blicken der schönen Welt zu erscheinen!«

      Ein glühendes Rot stieg in das Gesicht Julias, ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Sie antwortete nichts auf die Bemerkung ihrer Mutter.

      »Für heute,« sagte diese, »ist es mir übrigens lieb, daß du zu Hause geblieben bist, ich erwarte einen Freund, dem ich von deiner Stimme gesprochen habe und der begierig ist, dich zu hören, ich glaube, da ist er schon,« fügte sie hinzu, auf ein Geräusch horchend, welches sich vor der Türe des ersten Salons vernehmen ließ.

      Rasch trat sie in diesen Salon zurück, während Julia mit erschrockenem Blick ihr nachsah.

      »Ich habe mit dir zu sprechen, mein Kind,« sagte der Maler, zu dem jungen Mädchen herantretend, »wenn du einen Augenblick zu ungestörter Unterhaltung frei hast, so komm zu mir oder laß mir sagen, daß ich dich besuchen könne.«

      »O ich komme lieber zu dir, mein Vater,« sagte das junge Mädchen lebhaft, »hier bin ich so gern, alle diese einfachen, kleinen Dinge erinnern mich an meine stille, glückliche Kindheit, welche für immer dahin ist!« fügte sie seufzend hinzu.

      »Julia!« rief ihre Mutter aus dem andern Zimmer.

      Das junge Mädchen folgte dem Ruf und trat in den reichen, mit dunkelroten Seidenmöbeln fast zu voll gestellten Salon ihrer Mutter.

      Der Maler schloß die Türe hinter ihr.

      Madame Lukretia saß auf einer schräg vor dem Kamin stehenden Caufeuse – vor ihr lehnte in einem kleinen, weiten und bequemen Fauteuil ein Mann von fünfzig bis sechzig Jahren, nach der neuesten Mode gekleidet, das frisierte Haar und den kleinen, spitzen Schnurrbart glänzend schwarz gefärbt. Seine dunkeln, stechenden Augen blickten scharf und lauernd umher, die verwitterten Züge des gelblichen Gesichts kontrastierten merkwürdig mit seiner jugendlichen Haltung und Kleidung, die scharf gebogene Nase erinnerte an den Schnabel eines Raubvogels, der große Mund mit etwas hervorstehender Unterlippe ließ bei dem häufigen, fast mechanischen Lächeln eine Reihe glänzender Zähne sehen, welche eben so sorgfältig gearbeitet waren als die übrigen Gegenstände seiner Toilette. Der starke Geruch eines durchdringenden Moschusparfüms umgab wie eine Atmosphäre diese eigentümliche und durchaus nicht sympathische Erscheinung.

      »Herr Mireport, ein großer Freund der Musik,« sagte Madame Lukretia, den Fremden ihrer Tochter vorstellend, »ich sprach mit ihm von deiner Stimme, und er ist begierig, dich singen zu hören, willst du so gut sein, uns irgendetwas vorzutragen, aber,« fügte sie lächelnd hinzu, »nimm dich zusammen, denn Herr Mireport ist ein feiner Kenner.«

      Herr Mireport erhob sich ein wenig zu einer kurzen Verbeugung, wobei er aus seinen schwarzen, funkelnden Augen einen prüfenden Blick auf das junge Mädchen warf, der dessen ganze Gestalt umfaßte, einen Blick, wie ihn etwa ein Pferdehändler auf ein Pferd werfen würde, das man ihm zum Kauf anbietet.

      Julia senkte die Augen unter diesem Blick und verneigte sich leicht.

      »Ich bin höchst erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Fräulein,« sagte er mit etwas heiserer Stimme, indem ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielte, und sich zu der Mutter wendend, fügte er halblaut hinzu: »Ich wette, die Kleine wird Furore machen, wenn sie nur ein wenig Stimme hat und ihre Blödigkeit ablegt.«

      »Mein Gesang ist nicht gemacht, um die Prüfung eines Kenners zu bestehen,« sagte Julia in ziemlich kaltem Tone, der sehr wenig Neigung verriet, den ihr antipathischen Fremden zum Richter über ihre Stimme zu machen.

      »Falsche Bescheidenheit, falsche Bescheidenheit, meine Kleine,« sagte Herr Mireport, »das müssen Sie ablegen, denn das macht befangen und hindert die Entwickelung der Kraft und Geschmeidigkeit der Stimme. Fürchten Sie übrigens nicht,« fügte er lächelnd hinzu, »daß ich ein strenger Richter sein werde, bei so viel Schönheit und Anmut ist das Urteil schon zum Voraus bestochen.«

      »Singe nur, mein Kind,« sagte Madame Lukretia in bestimmtem Tone »wir sind ja ganz unter uns und ich habe den Herrn gebeten, mir ein Urteil über deine Fähigkeit zu geben.«

      Auf diese Aufforderung ihrer Mutter ging das junge Mädchen langsam zu einem in der Nähe des Fensters stehenden Pianino, Herr Mireport folgte aufmerksamen Blickes ihren Bewegungen.

      »Viel Elastizität im Gange,« sagte er mit halber Stimme, »schöne Bewegung der Hüften, sie wird Furore machen, ich sehe schon alle jungen Herren in Ekstase, eine Ernte von Diamanten.

      Julia hatte sich vor das Pianino gesetzt, richtete einen Augenblick das Auge sinnend empor und begann mit ihrer klangvollen Stimme zu singen:

      »Quand je quittais ma Normandie –«

      Herr Mireport hörte aufmerksam zu; anfangs etwas betroffen über die Wahl dieses einfachen, in wehmütiger Träumerei anklingenden Liedes, das er nach seinem Gespräch mit der Mutter wohl nicht erwartet haben mochte, schien er immer mehr die Biegsamkeit und den Wohllaut der Stimme und den seelenvollen Vortrag zu bewundern. Julia hatte vergessen, daß sie Zuhörer hatte, sie folgte dem Liede, das mit ihrer Stimmung harmonierte, und sang mit tief wehmütiger Wahrheit:

      »Il est un âge dans la vie Où chaque rêve doit finir Un âge, où l'ame recueillie A besoin de se souvenir –«

      »Bravo, bravo!« rief Herr Mireport, lebhaft in die Hände klatschend, »eine reizende Stimme, wenn sie stärker und kräftiger wäre, würde das Fräulein eine Zierde der großen Oper werden, aber ich fürchte, dazu möchte der Klang nicht ausreichen – doch seien Sie sicher,« sagte er, sich zu Madame Lukretia wendend, »Ihre Tochter wird eine glänzende Zukunft haben, ich sehe sie schon auf der Höhe der Bewunderung von ganz Paris, und werde mich glücklich schätzen, bei der Entdeckung dieser Perle beteiligt gewesen zu sein.«

      Julia hatte bei der lauten Beifallsäußerung des Herrn Mireport plötzlich ihren Gesang unterbrochen und sich nach der Seite gewendet, wo ihre Mutter mit dem Fremden saß. Sie hörte dessen Bemerkungen, der weiche, träumerische Ausdruck, welchen ihr Gesicht während der letzten Strophe dieses Liedes wiedergestrahlt hatte, verschwand von ihren Zügen, eine feste, entschlossene Ruhe erfüllte ihren Blick, rasch stand sie auf und indem sie sich leicht gegen Herrn Mireport verneigte, sagte sie mit kalter Höflichkeit:

      »Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihr freundliches Urteil, ich weiß am besten, wie wenig mein einfacher Gesang diesen Beifall verdient, den Sie so gütig waren, ihm zu spenden, meine Lieder sind die Freude meines stillen, eigenen Lebens und niemals werde ich das, was mir eine Quelle des Glückes und des Trostes im Kummer ist, der Kritik der gaffenden Menge preisgeben.«

      Herr Mireport sah erstaunt die Mutter des jungen Mädchens an, dann sagte er mit einem überlegenen Lächeln, indem er leicht den kleinen, schwarzen Schnurrbart empordrehte:

      »Das Fräulein wird von diesem grausamen Entschluß zurückkommen, die Blumen sind nicht gemacht, um einsam zu verblühen, und so viel Reiz und Schönheit darf sich der Bewunderung der Welt nicht entziehen.«

      »Es ist natürlich,« sagte Madame Lukretia ruhig, »daß meine