Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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mit stillen, anmutigen Zügen, vor ihr lagen einige geöffnete Briefe.

      Die Kaiserin hielt in der Hand zwei jener eigentümlich gekrümmten Metallstäbchen, welche man durch geschickte Bewegung ineinanderfügen und wieder trennen mußte, ohne eine Gewalt anzuwenden, ein Problem, mit welchem sich damals ganz Paris beschäftigte und welches man »la question romaine« getauft hatte.

      Fräulein Marion sah lächelnd zu, wie die schönen Finger ihrer Gebieterin sich vergeblich bemühten, die verschlungenen Enden der gekrümmten Stäbe auseinanderzubringen.

      Ungeduldig warf die Kaiserin die »question« auf den Tisch.

      »Ich werde niemals dahin kommen,« rief sie, »diese römische Frage zu lösen!«

      »Und doch kommt es nur darauf an, einmal die richtige Bewegung erfaßt zu haben,« sagte Mademoiselle Marion mit sanfter Stimme, »dann ist die Sache sehr leicht. Ich bitte Eure Majestät, genau herzusetzen.«

      Sie ergriff die Stäbchen und löste sie mit einer leichten Drehung von einander. Die Kaiserin folgte aufmerksam der Bewegung ihrer Hände, dann ließ sie den Blick sinnend durch das Zimmer schweifen und sprach mit einem kleinen Seufzer:

      »Das ist wieder einmal der rechte Geist der Pariser, die ernsteste und schwerste Frage, welche je die Welt bewegt hat, verwandeln sie in ein Spielzeug! – Ich glaube wirklich,« sagte sie lächelnd, »wenn einer unserer Untertanen in der guten Stadt Paris den kleinen Kunstgriff gelernt hat, der diese Stäbchen bindet und löst, so ist er glücklich und glaubt den Schlüssel zur ›römischen Frage‹ gefunden zu haben!«

      »Ist es nicht besser, Madame,« sagte Fräulein Marion, »daß die Pariser sich mit dieser römischen Frage beschäftigen, als wenn sie sich die Köpfe erhitzten über die große, wirkliche Frage, welche die Kabinette in Spannung erhält? Man muß daraus lernen, diesen großen Kindern stets zur rechten Zeit ein hübsches Spielzeug zu geben, sie werden dann von gefährlicheren Aufregungen fern bleiben.«

      Die Kaiserin blickte vor sich hin, ihre schönen Züge nahmen einen ernsten Ausdruck an.

      »Also mein liebenswürdiger Vetter im Palais Royal predigt jetzt den Krieg?« fragte sie langsam.

      »Ich höre es von allen Seiten,« sagte Fräulein Marion, »Seine kaiserliche Hoheit soll sich sehr zornig über die bisherige Nachgiebigkeit gegen Preußen aussprechen und den Kaiser bestürmen, fest und energisch aufzutreten.

      Die Kaiserin lächelte.

      »Nun, das mag er tun!« sagte sie achselzuckend, »wenn es einen Eindruck macht, so dürfte es der entgegengesetzte sein. – Es ist aber wahrlich traurig,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »daß dieser Prinz, der uns eine Stütze sein sollte, alles tut, um das Kaiserreich zu diskreditieren und zu kompromittieren. Fast möchte man glauben, es läge eine böse Absicht dabei zugrunde!«

      »O Madame,« sagte Fräulein Marion, »wie sollte das möglich sein? – der Prinz hat doch der Wiederaufrichtung des Kaisertums nicht wenig zu danken!«

      »Er sieht sich als den eigentlichen Erben des ersten Kaisers an,« sagte die Kaiserin in ernstem Sinnen vor sich hinblickend, »er hat meinem Gemahl vielleicht verziehen, daß er den Thron eingenommen, aber er verzeiht ihm seine Heirat – und meinen Sohn nicht! – Es ist merkwürdig,« fuhr sie fort, »wie stolz diese Kinder Jérômes darauf sind, daß eine wirkliche purpurgeborene Prinzessin, eine deutsche Königstochter, ihre Mutter war. Zwar meine Cousine Mathilde ist eine geistreiche Frau von vortrefflichstem Herzen, sie beobachtet alle Déhors, aber sie liebt mich nicht, ich verstehe das,« fügte sie leise hinzu, »der Prinz aber, wo er kann, läßt er mich fühlen, wie feindlich er mir gesinnt ist, und bei jeder Gelegenheit markiert er die königliche Geburt seiner Gemahlin, der guten Clotilde, die daran gar nicht denkt. – Es liegt etwas darin,« sagte sie seufzend, »der Sohn des Prinzen hat eine Mutter und eine Großmutter aus jener Familie der Könige, welche sich für Wesen anderer Art halten, mein Louis hat nur die Namen Montijo und Beauharnais in seinem mütterlichen Stammbaum, an den Höfen Europas vergißt man das nicht! – Aber,« rief sie, indem ihre Lippe sich stolz über den weißen Zähnen kräuselte und ein flammender Strahl in ihrem Auge aufblitzte, »ist das Blut der Guzman von Alfarache nicht eben so edel, edler als das Blut so mancher Könige?«

      »Eure Majestät folgen da Gedanken, welche wohl niemand zu hegen wagt,« sagte Fräulein Marion lächelnd.

      »Wer weiß,« flüsterte die Kaiserin, »heute vielleicht nicht, aber es könnte eine Zeit kommen –. Jedenfalls,« sagte sie, den Kopf emporwerfend, »ist es traurig, daß dieser Prinz immer Verwirrung und Unruhe in die Familie und in das Land bringt, der Kaiser sollte strenger gegen ihn sein, aber er ist von einer merkwürdigen Schwäche diesem Tollkopf gegenüber, er hat eine abergläubische Verehrung vor dem Blut des großen Kaisers und die Ähnlichkeit des Prinzen mit seinem Oheim entwaffnet ihn, wenn er noch so zornig ist. – Ich weiß,« rief sie lebhaft, »daß die beißendsten Bemerkungen über mich und meine Umgebung im Palais Royal stets willkommen sind, es genügt, daß ich etwas wünsche, damit mein lieber Cousin das Gegenteil will, ich bin überzeugt, daß nur, weil ich die Erhaltung des Friedens wünsche, er mit aller Macht zum Kriege drängt!«

      »Aber ist das nicht natürlich?« fragte Mademoiselle Marion, »ebenso wie Eure Majestät die Vertreterin des Friedens sind, als Frau, als die erste der Mütter Frankreichs, ebenso muß der Prinz die kriegerische Ehre und den Ruhm vertreten, als Mann, als Soldat –«

      »Ein Soldat – er?« rief die Kaiserin, die Achseln zuckend, »oh,« sagte sie, den schönen Hals hoch emporstreckend und den Kopf zurückwerfend, »handelte es sich um einen Krieg, bei dem wirklich für Frankreich Ruhm und Ehre zu gewinnen wäre, – meine Stimme würde die erste sein, welche laut dazu drängte, – aber hier ist nur ein neuer Fehler zu machen, und alle Feinde des Kaisers und unseres Hauses, welche sich ja stets um den Prinzen sammeln, benutzen ihn, um diesen Fehler begehen zu lassen. – Dazu die Krankheit meines Sohnes, die Luft von St. Cloud hat noch nicht viel Besserung gebracht, oh, meine liebe Marion,« rief sie mit tief schmerzvollem Tone, die Hände faltend, »wenn dies Kind stürbe, was wäre ich?!« –

      Mademoiselle Marion erhob sich rasch, ließ sich zu den Füßen der Kaiserin niedersinken und drückte ihre Lippen auf die Hand ihrer Gebieterin.

      »Madame,« rief sie, »welche Gedanken.«

      »Du bist ein treues Herz,« sagte die Kaiserin sanft und freundlich, »wie viele solche Herzen habe ich um mich,« fuhr sie mit dumpfer Stimme fort, »wo würden sie sein, alle, die sich vor mir neigen und mich mit den glühendsten Worten ihrer Ergebenheit versichern, wenn jemals ein Tag des Unglücks erschiene? –«

      Und in schweigendem Sinnen strich sie sanft mit der Hand über das Haar ihrer Vorleserin.

      Ein Schlag ertönte gegen die Türe. Der Kammerdiener Ihrer Majestät trat ein.

      »Seine Exzellenz der Staatsminister.«

      Die Kaiserin neigte den Kopf, Mademoiselle Marion stand auf.

      »Das ist auch einer der wirklich Treuen und Ergebenen,« flüsterte sie, während der Kammerdiener Herrn Rouher die Tür öffnete.

      »Weil er mit uns fallen würde,« murmelte die Kaiserin fast ohne die Lippen zu bewegen.

      Der Staatsminister näherte sich mit ehrfurchtsvoller Verbeugung der Kaiserin, während Fräulein Marion geräuschlos durch eine innere Türe verschwand.

      Die große, volle Gestalt des Herrn Rouher, der einen schwarzen Überrock mit der großen Rosette der Ehrenlegion trug, war weder anmutig noch imponierend, und auch sein Gesicht hatte auf den ersten Anblick wenig außergewöhnliches, der Mund lächelte freundlich, unter der breiten Stirn blickte das klare Auge scharf hervor, die Züge verschwanden fast in der glatten Rundung des Gesichts, dieser Mann, dessen Wort so lange die Kammer des Kaiserreichs mit souveräner Überlegenheit beherrschte, machte den Eindruck eines Advokaten oder Bureauchefs, nicht den eines leitenden Staatsmannes.

      Nur wenn er zu sprechen begann, zeigte sich auf seinem Gesicht die feste und stolze Sicherheit dieses außergewöhnlichen