»Wissen Sie,« sagte er dann, leicht mit dem Finger auf dem Tisch trommelnd, »wissen Sie, mein lieber Herzog, welches unsere schärfste und wirksamste Waffe dieser preußischen Macht gegenüber ist? – Die Geduld!«
»Das ist eine Waffe,« rief der Herzog, »welche Frankreich wenig gewöhnt ist zu führen!«
»Und doch,« sagte Herr von Beust ruhig, »kann ich nur dringend raten, zu dieser Waffe zu greifen, denn sie sichert uns nach meiner Überzeugung den Sieg, die endliche Erreichung des Zieles. – Sie werden überzeugt sein,« fuhr er fort, »daß ich nicht nur eine negative Geduld, eine indolente Zurückhaltung empfehlen will, aber ich wünsche die Aktion so ernst und so folgerichtig vorzubereiten, daß der Erfolg so sicher als möglich ist – ich wünsche den Fehler zu vermeiden, den man in Österreich begangen hat, und dessen Folgen ich jetzt wieder gut zu machen berufen bin. – Diese vordrängende preußische Macht,« sagte er, indem seine Züge sich belebten und der Schimmer einer leichten Röte auf seinem bleichen Gesicht erschien, »kann nur mit Erfolg angegriffen werden, wenn man sie isoliert und ihr eine Koalition entgegenstellt, welche sie von allen Seiten übermächtig umzingelt. Jetzt ist die Lage umgekehrt. Preußen ist von starken Allianzen flankiert – Österreich ist ohnmächtig –, Frankreich steht also allein. Unsere erste Aufgabe muß sein, Italien von Preußen zu trennen. Frankreich, Österreich und Italien bilden eine starke Macht, noch bedeutungsvoller dadurch, daß sie Süddeutschland in eisernem Ringe umfassen und von der Einigung mit dem Norden zurückhalten können. – Wird es nun möglich sein, Italien einer österreichisch-französischen Allianz einzufügen? – Ich glaube ja. Der König Viktor Emanuel wünscht dringend die Anbahnung eines besseren Verhältnisses mit unserem Kaiserhaus, der französische Einfluß ist mächtig in Florenz – das Ministerium wird diesen Einfluß unterstützen – und mit einigen Konzessionen in der römischen Frage kann man, ohne das Prinzip aufzugeben, die öffentliche Meinung günstig stimmen. Ist dies erreicht, so stehen wir schon auf einer festen, ernsten Basis. Dann aber muß Rußland von Preußen getrennt werden, und das scheint mir nicht so sehr schwer. Kommt man Rußland ein wenig im Orient entgegen, so fällt der Grund seiner festen Anlehnung an Preußen fort. Sie wissen, daß ich schon eine Revision des Pariser Traktats angeregt habe, und ich bemerke infolgedessen bereits eine fühlbare Verbesserung unseres Verhältnisses zu dem St. Petersburger Kabinett. Gehen wir vorsichtig und geschickt auf diesem Wege weiter, so werden wir, wie ich hoffe, diese kompakte Verbindung der nordischen Mächte lockern, welche für die Politik Österreichs so lähmend und erdrückend ist. – Das ist,« fuhr Herr von Beust aufatmend fort, »die diplomatische Aufgabe, welche wir uns zu stellen haben. Zugleich aber müssen wir unausgesetzt und sorgfältig daran arbeiten, alle antipreußischen Elemente in Deutschland in ihrem Widerstande zu bestärken, sie zu sammeln und zu organisieren, um, wenn der Augenblick des Handelns kommt, auf die schwankenden Regierungen einen starken Druck ausüben zu können. Aber auch dazu ist Zeit nötig. Wir haben hier den König von Hannover und den Kurfürsten von Hessen und damit die Fäden der Agitationen in jenen Gebieten, Sie werden auf die katholische Presse in Bayern wirken können, die unangenehmen Berührungen der preußischen Zentralisationsbestrebungen werden das ihrige tun und so bin ich überzeugt, wird die Zeit, anstatt, wie Sie fürchten, das unvollendete Werk des vorigen Jahres zu konsolidieren, dasselbe vielmehr zerbröckeln.«
»Ich bewundere in der Tat die weite und tiefe Kombination, welche sich in Ihren Worten vor mir öffnet,« sagte der Herzog von Gramont.
Herr von Beust lächelte.
»Um nun dies alles vorbereiten und ausführen zu können,« fuhr er fort, »ist vor allem nötig, daß die Grenze zwischen Nord- und Süddeutschland scharf aufrecht gehalten wird, und statt Kompensationen zu suchen und zu fordern, sollte die französische Politik sich mit der österreichischen zur festen Aufrechterhaltung des Prager Friedens verbinden, und die in diesem Traktat vorgesehene und völkerrechtlich stipulierte Herstellung eines Südbundes anstreben, welcher ja unter unseren beiderseitigen Einfluß fallen würde – darin liegt der Schlüssel der Zukunft.«
»Aber der Prager Frieden ist ja bereits verletzt!« rief der Herzog von Gramont, »die Militärverträge mit den süddeutschen Staaten, welche soeben bekannt gemacht werden –«
Herr von Beust lächelte fein.
»Gerade diese Verträge,« sagte er, »mischen unsere Karten. Preußen hat den Prager Traktat schon verletzt, und wir haben den Konflikt ganz fertig zur Hand, wenn der Moment gekommen sein wird, wo wir seiner bedürfen. Wenn aus dieser Frage ein Konflikt entsteht, so greift Preußen ein von ihm selbst geschaffenes Vertragsrecht an, und wir sind die Verteidiger desselben, das ist sehr wichtig, insbesondere für Frankreich, denn wenn Frankreich sich in die Angelegenheiten Deutschlands mischt, so muß es geschehen zur Verteidigung deutscher Rechte, nicht, um aus deutschem Gebiet Kompensationsobjekte zu nehmen. – Da haben Sie,« fuhr er fort, »in großen Zügen die Ideen, welche nach meiner Überzeugung für die Zukunft maßgebend sein müssen, die näheren Modalitäten ihrer Ausführung werden sich Schritt vor Schritt ergeben, wenn wir uns entschließen, gemeinsam und im Einverständnis auf diesem Wege vorzugehen, welcher zwar für jetzt uns große Zurückhaltung und Vorsicht auflegt, aber dafür mit Sicherheit endlich zum Ziele führt.«
Herr von Beust hatte lebhaft gesprochen – sein Gesicht zeigte die Erregung seines Geistes – erwartungsvoll blickte sein helles Auge auf den Herzog.
Dieser saß einige Augenblicke stumm, der feine, zierlich geschnittene und fast immer lächelnde Mund war ernst zusammengepreßt – sein Blick zu Boden gerichtet.
»Ich glaube, Sie haben recht,« sagte er endlich. »Sie sind der wahre Staatsmann, welcher von persönlichen Gefühlen, Neigungen und Erregungen abzusehen versteht und ruhig und fest alles dem großen Ziel unterordnet und dienstbar macht. Ich erkenne die Weisheit Ihrer Bemerkungen, die Größe und Klarheit Ihrer Ideen an, wenn sich auch,« fügte er mit leichtem Kopfschütteln hinzu, »mein militärisches Gefühl ungern dem System der Geduld unterwirft.«
»Seien Sie ruhig, mein lieber Herzog,« sagte Herr von Beust lächelnd, »auch Ihre Zeit wird kommen, wir haben eine starke Festung zu besiegen; nach der stillen und mühsamen Arbeit der Ingenieure in den Laufgräben kommt der Augenblick für die stürmenden Bataillone. – Für jetzt also,« fuhr er fort, »billigen Sie meinen Plan und teilen meine Ansicht?«
»So sehr,« erwiderte der Herzog, »daß ich mir alle Mühe geben werde, Ihre Anschauungen in Paris zur Geltung zu bringen. Sie erlauben mir, über unsere Unterredung ausführlich zu berichten?«
»Sie werden mich dadurch verpflichten,« sagte Herr von Beust, »ich werde den Fürsten Metternich veranlassen, in gleichem Sinne zu sprechen; vor allem vergessen Sie nicht, auf das bestimmteste zu betonen, daß, wenn der Kaiser meine Anschauungen, welche vollkommen von Seiner apostolischen Majestät geteilt werden, nicht zu den seinigen machen könnte, wenn demnach aus dieser Luxemburger Frage ein ernster kriegerischer Konflikt entstehen sollte, eine Unterstützung Österreichs in keiner Weise zu erwarten sei. Es ist meine Pflicht, mich darüber sehr klar und bestimmt auszudrücken, in keiner Weise; Österreich würde die absoluteste und vorsichtigste Neutralität zu beobachten gezwungen sein, man darf darüber in Paris keinen Augenblick im Zweifel sein.«
Der Herzog verneigte sich leicht.
»Doch,« fuhr Herr von Beust fort, »die Sache ist von so großer Wichtigkeit, daß es vielleicht noch besser wäre, wenn Sie sich entschließen könnten, selbst nach Paris zu gehen. Sie kennen die Situation hier genau und das mündliche Wort, die persönliche Einwirkung sind einflußreicher als alle Berichte –«
»Ich bin vollkommen dazu bereit,« sagte der Herzog, »und wenn Sie es wünschen, will ich sogleich abreisen.«
»Warten Sie noch einige Tage,« sagte Herr von Beust, »bis ich Mitteilungen über den weiteren Verlauf der Sache in Berlin und über die Auffassung des englischen Kabinetts habe, damit ich meine Ansicht in genauer Erwägung aller einschlagenden Verhältnisse formulieren kann, vielleicht wird sich dann auch in Paris die erste Erregung etwas gelegt haben.«
»Sie werden selbst die Güte haben zu bestimmen, wann Sie für meine Reise den Augenblick für den richtigsten halten,«