Er warf einen Blick auf seine Uhr und zog die Glocke.
»Sagen Sie meinem Diener,« befahl er dem eintretenden Bureaubeamten, »daß er mein Pferd vorführen lasse, ich will ausreiten!«
Elftes Kapitel.
In dem Hause der Rue Notredame de Lorette, dessen Bel-Etage auf der einen Seite von Mademoiselle Julia, der Freundin des Herrn von Grabenow, bewohnt wurde, saß auf der anderen Seite, an deren Eingangstür man auf einem Schild von Porzellan den Namen las: Romano, Maler, in einem ziemlich geräumigen, unvollständig möblierten Salon ein Mann über einen großen Zeichentisch gebückt, eifrig beschäftigt mit einer Zeichnung in schwarzer Tusche.
Er trug einen schwarzen, verschossenen Samtrock, sein lang an den Schläfen herabhängendes schwarzes Haar war dünn geworden und zeigte hie und da ergrauende Stellen, ja einzelne Silberfäden, obgleich die Züge seines Gesichts auf kaum mehr als ein Alter von vier- bis fünfunddreißig Jahren schließen ließen. Dies Gesicht war von schönem, edlem Schnitt. Unter der Stirn, zu hoch geworden durch das frühzeitig ausgefallene Haar, glänzten, von schön gezeichneten dunklen Brauen überwölbt, tiefschwarze Augen, deren Blick in fieberhaftem Glanz leuchtete. Die griechische Nase trat scharf aus dem mageren Gesicht hervor und um den feinen Mund, dessen Lippen sich fest aufeinander preßten, zuckten in peinlichem Nervenspiel jene eigentümlichen Linien, welche tiefer Seelenschmerz dem Menschenantlitz eingräbt.
Neben dem anderen Fenster stand ein altes Kanapee mit zerrissenem Überzug, daneben eine Staffelei und ein Tisch mit einer Palette, Pinseln und einem Blechkasten voll Ölfarben. Auf der Staffelei sah man ein großes Bild, die Auferstehung Christi darstellend; die Konturen waren genial gezeichnet, einzelne Partien fast vollendet, andere kaum angefangen, das Ganze trug den Stempel des Unvollendeten, Zerrissenen, der künstlerischen Unsicherheit.
Neben dem Kamin, in welchem die letzten Funken eines erlöschenden Feuers verglühten, hing ein lebensgroßes Bild einer jungen Frau in weißer, idealischer Gewandung, welche der jungen Julia sprechend ähnlich sah.
Der Maler Romano starrte trübe auf seine Zeichnung – schlaff sank die magere, von blauen Adern durchzogene Hand auf das Papier nieder, das brennende große Auge starrte blicklos auf die Konturen. Dann plötzlich erhob er sich in rascher Bewegung, warf den Stift, den seine Hand mechanisch gehalten, fort und schritt im Zimmer auf und ab.
»Welch ein Dasein,« rief er, »welch ein jammervolles Hinsiechen dieser atmenden Maschine, welche bestimmt war zur edlen Wohnung des nach Gottes Ebenbilde geschaffenen Geistes, und welche nichts weiter mehr ist als das öde und jammervolle Gefängnis einer gebrochenen, zerrütteten Seele, die ihren irdischen Kerker nur verlassen wird, um dem Abgrund der ewigen Qual zu verfallen!«
Er warf sich auf das alte Kanapé und starrte düster vor sich hin.
»Wie oft,« flüsterte er, »habe ich die durstigen Lippen geöffnet, um das Ende dieses entsetzlichen Daseins im erlösenden Gift zu trinken, wie oft habe ich den dreischneidigen Dolch nach diesem verzweifelten Herzen gezückt, um seinen bangen Schlägen für immer Halt zu gebieten, aber meine Lippen haben sich angstvoll geschlossen, meine Hand ist zitternd herabgesunken bei dem Gedanken, daß ich die Qual dieses Lebens nur verlassen würde, um vor dem wetterflammenden Thron des ewigen Richters zu erscheinen! – Mein Verbrechen ist groß – ungeheuer,« rief er, schmerzlich die Hände ringend, »aber meine Leiden und meine Reue sind ebenso groß, ebenso furchtbar! Wenn die Liebe Gottes wägte, nicht die unerbittliche Gerechtigkeit, meine Schuld könnte gesühnt sein, aber habe ich ein Recht an die Liebe, ich, der ich das Vertrauen der treuesten Liebe so schmählich getäuscht? – Er zwar,« sagte er leise, indem eine Träne in seinem brennenden Auge schimmerte, »er, mein verratener Bruder, er würde verzeihen mit seinem großen Herzen von Erbarmen und Milde, und oft habe ich mich aufmachen wollen, um ihn aufzusuchen und zu seinen Füßen seine Vergebung zu erflehen, aber die Scham, die Verzweiflung halten mich zurück!«
Er blickte lange auf das unvollendete Gemälde auf der Staffelei.
»O du heilige, göttliche Kunst,« rief er, indem ein träumerisch weicher Schimmer seinen Blick erleuchtete, »wie habe ich dich geliebt, wie rankte sich meine Seele empor an den erhabenen Vorbildern der großen Vergangenheit, wie glühte mein Herz von schöpferischem Drange, – o ich hätte Großes und Schönes schaffen können, denn mein Auge war geöffnet dem Heiligtum der ewigen Schönheit, und meine Hand war geschickt, die Gesichte meines Innern zu verkörpern, aber seit ich gefrevelt an der Treue und dem Vertrauen meines Bruders, seit ich der gebenedeiten Jungfrau die Züge des sündigen Weibes gab und sündige Gedanken bei dem heiligen Werk meine Seele mit Schlangenringen umzogen, seitdem verschließt sich die Harmonie der Schönheit meinem Auge und meine Hand hat die Schöpfungskraft verloren, sie kann nur sklavisch wiedergeben die Bilder des gemeinen Lebens! – Ich wollte die Auferstehung des Heilandes malen,« murmelte er finster, die brennenden Blicke auf die Leinwand gerichtet, »ich hoffte Trost zu finden in dem gnadenreichen Bilde des Erlösers, der aus dem irdischen Grabe zum Throne des Vaters emporsteigt, die Schuld der ganzen Menschheit in seinen reinen Händen tragend, um sie mit dem heiligen Blute, das er am Kreuz vergossen, zu sühnen vor dem Stuhl des Richters; aber,« rief er, die Zähne zusammenpressend und die Hände ringend, »mich berührt der Strahl der Gnade nicht. Trat auch zuweilen das von Erbarmen leuchtende Antlitz des Heilandes vor mein inneres Auge, ich konnte es nicht wiedergeben, es nahm unter meinem Pinsel die Züge des erbarmungslosen, strengen, unerbittlichen Richters an, oder die Dämonen, welche meinen Geist umschwebten, ihn erwartend für die ewige Verdammnis, entstellten des Erlösers himmlisches Antlitz zur teuflischen Fratze!«
Er sank ächzend in sich zusammen und ließ den Kopf in die Seitenkissen sinken.
Lange lag er so still und unbeweglich, man hörte nichts als die tiefen Atemzüge, welche in schmerzlichen Seufzern aus seiner Brust hervordrangen.
Die Türe des Nebenzimmers öffnete sich, man sah einen reich möblierten Salon, aus demselben trat in das Zimmer des Malers eine Frau von hoher, üppiger und voller Gestalt in einem weiten Kleide von schwerem, rauschendem, dunklem Seidenstoff, das volle schwarze Haar in großen Flechten zu einer jener sonderbaren Coiffuren verschlungen, welche jene Zeit in so vielen Formen hervorbrachte, Formen, die keiner Epoche, keinem Geschmack angehörten und höchstens an die Bewohnerinnen ferner, von der Zivilisation noch unberührter Küstenstriche erinnern konnten.
Man sah auf den ersten Blick, daß diese Frau das Urbild des über dem Kamin hängenden Porträts sein mußte, es waren dieselben edlen, klassischen Züge, dieselbe Wölbung der Augenbrauen, dieselbe frappante Ähnlichkeit mit der Geliebten des jungen Herrn von Grabenow.
Aber über das Gesicht dieser Frau waren die Jahre mit ihrer zerstörenden Macht dahingezogen, und mehr, als die Jahre es vermocht, hatte die zersetzende Kraft gewaltiger Leidenschaften die ursprünglichen Formen durchwühlt, und ihrem natürlichen Adel den Stempel sinnlicher Niedrigkeit aufgedrückt. Man sah, daß diese Frau vor der Zeit gealtert war, die tiefen Linien des Gesichts, obwohl bedeckt durch geschickte Auslegung von Rot und Weiß, das starre, ungraziöse Lächeln, welches zuweilen den von Natur so schön geformten Mund umspielte, standen nicht im Einklang mit den noch weichen und elastischen Bewegungen ihrer Gestalt.
Diese Frau blieb in der Türe stehen und ließ ihren Blick durch das einfache, ärmliche Gemach schweifen, das einen eigentümlichen Kontrast bildete mit dem luxuriös ausgestatteten Salon, den sie geöffnet hatte.
Endlich haftete ihr Auge auf dem bewegungslos in der Ecke des Kanapes daliegenden Maler. Ein Ausdruck von Hohn und Verachtung blitzte in ihrem Auge auf, mit einem bitteren Lächeln zuckte sie die Achseln.
»Ist Julia hier?« fragte sie mit einer Stimme, deren ursprünglich voller, melodischer Klang scharf