»Gott hat gerichtet!« sagte der Kandidat, die Hände faltend, »und dem Diener Gottes kommt es nicht zu, dem Urteil des Herrn zu widerstreben, seine Pflicht ist es, die Härten dieses Urteils in christlicher Gesinnung, in Ergebenheit und Liebe zu mildern.«
»Ich freue mich aufrichtig, Herr Kandidat,« sagte Herr von Hardenberg, ihn forschend anblickend, »wie wir wünschen, daß sie Zeile fehlt im Buch. Re.... sinnungen zu begegnen, wenn dieselben allgemein wären – wie viel leichter würde es uns werden, dem Willen des Königs gemäß, mit schonender und liebevoller Hand das Land in die neuen Verhältnisse hinüberzufahren! – Leider,« fuhr er fort, »teilen nicht alle Ihre Standesgenossen diese Anschauungen, und gerade in den Kreisen der lutherischen Geistlichen begegnen wir einem Widerstande, der um so bedenklicher ist, als er sich hinter die Unantastbarkeit der geistlichen Würde stellt.«
Der Kandidat schwieg einen Augenblick. – »Ich bin noch jung an Jahren und im Amte,« sagte er dann, »und mein Urteil mag unrichtig sein, ab»– ich glaube nicht, daß diese widerstrebenden Gesinnungen sich so leicht werden beseitigen lassen« – er hielt inne.
»Und woher glauben Sie denn, daß jene Gesinnungen kommen?« fragte Herr von Hardenberg gespannt, »doch nicht aus der bloßen Anhänglichkeit an den König Georg – er war ja den meisten persönlich unbekannt –«
»Wenn ich mir erlauben dürfte,« sagte der Kandidat zögernd, »meine Ansicht über diese Frage, wie über die ganze Lage des Landes auszusprechen –«
»Ich bitte Sie darum!« rief Herr von Hardenberg, »ein Wort der Aufklärung von jemand, der in den Verhältnissen steht, kann für uns nur von größtem Nutzen sein, und,« fügte er artig hinzu, »uns zur größten Dankbarkeit verpflichten.«
»Ich möchte glauben,« sagte der Kandidat, indem er die Augen aufschlug und den Blick voll auf Herrn von Hardenberg richtete, »daß die feindliche Haltung der Geistlichkeit gegen die neuen Zustände nicht politischer, sondern, um mich so auszudrücken, rein theologischer Natur ist. – Die preußische evangelische Landeskirche,« fuhr er fort, »beruht auf der Union, dieser Wiedervereinigung dessen, was der Streit der Reformatoren geschieden, die hannoverische Kirche steht auf dem Boden des strengen und exklusiven Luthertums, welches eher noch zur katholischen Kirche zurückkehren würde, als den Reformierten einen Schritt entgegenkommen. Die Geistlichen in Hannover sehen nun,« sprach der Kandidat weiter, »in Preußen und allem preußischen Wesen die Verkörperung der Union, das heißt den Übergang zum reformierten Bekenntnis oder den religiösen Indifferentismus, sie finden die altlutherische Kirche bedroht – und,« fuhr er seufzend fort, »um den Grad von fanatischer Erbitterung zu begreifen, welchen diese Auffassung hervorruft, muß man innerhalb der geistlichen Kreise stehen wie ich. – Ich bin,« sagte er nach einer kleinen Pause, »in dieser Frage ein unparteiischer Beobachter. – Seit lange schon habe ich die kirchlichen Verhältnisse in Preußen zum Gegenstande meines Studiums gemacht, und seit lange schon habe ich jene weise Einrichtung der evangelischen Landeskirche bewundert, welche auf dem Boden der Union beider Bekenntnisse alle Gehässigkeiten, Feindschaften und Verketzerungen ausschließt, die das exklusive Luthertum mit sich bringt – dieses Luthertum, welches heute so weit abgeirrt ist von dem Geist der evangelischen Freiheit und Liebe, wie er die ersten Reformatoren erfüllte.«
Herr von Hardenberg hatte aufmerksam zugehört.
»In der Tat,« sagte er, »Sie mögen recht haben, aber was ist dagegen zu tun?«
»So lange die alte hannöverische Kirche besteht,« erwiderte der Kandidat langsam, »wird ihr Einfluß immer den neuen Zuständen feindlich sein – sie wird sich der Notwendigkeit beugen, aber die Rückkehr er früheren Verhältnisse ersehnen, die Einführung der Union, die Einfügung Hannovers in die preußische Landeskirche ist die einzige Möglichkeit, den Einfluß, der Geistlichkeit für das Werk der Assimilierung der Bevölkerungen zu gewinnen.«
»Die Einführung der Union?« rief Herr von Hardenberg, »wenn Sie die preußische kirchliche Entwicklung verfolgt haben, so werden Sie wissen, welche gewaltsame Erschütterungen die Einführung der Union in Preußen selbst hervorrief, und zwar in den ruhigsten Zeiten, unter einer absoluten Regierung. Sollten wir in diese gährenden, von Agitationen durchwühlten Bevölkerungen noch die furchtbaren Aufregungen werfen, welche eine gewaltsame Einführung der Union nach sich ziehen muß?«
»Gewaltsam?« fragte der Kandidat, »das ist meine Meinung nicht gewesen, die gewaltsame Einführung war – wenn ich mir erlauben darf, es auszusprechen – auch in Preußen ein Fehler, man müßte ganz langsam und unmerklich vorgehen, wie denn ja überhaupt der Prozeß, der sich hier vollzieht, ein langsamer ist, der nur allmählich durch geschickte Behandlung der Gärungen zur Abklärung führen kann.«
»Und wie würde sich dies unmerkliche und langsame Vorgehen praktisch zu gestalten haben?« fragte Herr von Hardenberg, der mit immer lebhafterem Interesse zuhörte.
»Die jüngere Geistlichkeit,« sagte bei Kandidat, »neigt sich in großer, überwiegender Mehrzahl denjenigen Anschauungen zu, welche ich mir aus dem unbefangenen Studium der kirchlichen Verhältnisse gebildet habe, sie sehen in der Union einen großen, wirklich reformatorischen und protestantischen Gedanken von segensreichem, mächtigem Einfluß sowohl für die politische Stellung, als für die innere freie Entwicklung der Kirche, sie alle würden mit Freuden eine kirchliche Einigung des ganzen Nordens, des ganzen protestantischen Deutschlands begrüßen, eine Einigung, der die politische Zerrissenheit bisher im Wege stand. – Man müßte also,« fuhr der Kandidat nach einer augenblicklichen Pause fort, »überall, wo und je nachdem die Verhältnisse es möglich machen, jüngere, der kirchlichen Unionsidee ergebene, und damit natürlich auch der politischen Assimilierung günstige Geistliche an die Stelle der alten, exklusiven Vertreter des starren Luthertums bringen, und auf diese Weise ohne alle scheinbare Absicht und ohne schroffe Übergänge den geistlichen Einfluß der neuen Ordnung der Dinge gewinnen und sichern. – Der Erfolg,« fügte er hinzu, »kann nicht ein plötzlicher sein – aber ich möchte dafür bürgen, daß er ein sicherer sein wird.«
»Sie sehen die Verhältnisse klar und unbefangen an,« sagte Herr von Hardenberg, »ich freue mich, daß mir Gelegenheit geworden ist, mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie selbst,« fuhr er fort, den Kandidaten fixierend, »würden ohne Zweifel in der von Ihnen angedeuteten Richtung zu wirken bereit sein?«
»Ich bin Adjunkt meines Oheims und kam hierher, um Ihre Bestätigung dafür zu erbitten.«
»Ich werde sogleich das nötige veranlassen,« sagte Herr von Hardenberg, »Ihr Oheim –«
»Der Pastor Berger in Blechow,« sagte der Kandidat – Herr von Hardenberg notierte die Namen auf ein Blatt Papier – »mein Oheim,« fuhr der Kandidat fort, »gehört der allerstrengsten und exklusivsten lutherischen Richtung an, er tut gewiß nichts, um Agitationen zu befördern, aber er wird niemals die neuen Verhältnisse freundlich ansehen.«
»Aber er ist alt?« fragte Herr von Hardenberg, »und es würde vielleicht seine Emeritierung möglich sein?«
»Herr Baron,« sagte der Kandidat mit leiser Stimme, »es ist mein Oheim, den ich wie einen zweiten Vater liebe, sein Vermögen setzt ihn freilich in den Stand, sorgenfrei zu leben, doch liebt er sein Amt und seine Gemeinde.«
Herr von Hardenberg schwieg einen Augenblick. »Seien Sie versichert, Herr Kandidat,« sagte er dann, »daß ich für die Erfüllung Ihres Wunsches Sorge tragen werde. Ich hoffe, daß Sie zur Beruhigung des Landes nach Kräften mitwirken werden, und es wird mich immer freuen, Sie wiederzusehen.«
»Ich bin glücklich,« erwiderte der Kandidat, »daß meine Bemerkungen Ihnen nicht mißfallen haben, und es würde mir zur größten, Befriedigung gereichen, wenn ich durch dieselben hätte dazu beitragen können, das nach der göttlichen Weltlenkung unabwendbare Schicksal meines Landes einer freundlicheren und versöhnenden Zukunft entgegenzuführen, um so mehr, als auch auf anderen Gebieten Gefahren drohen – und vielleicht noch