Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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Blechow im Wendlande verlassen und sich in Hannover etabliert hatte. Frau von Wendenstein war noch stiller und ernster als früher, ein wehmütiger Zug lag auf ihrem Gesicht, aber die sanft schmerzliche Erinnerung an das alte, kühle, hallende Haus in Blechow hinderte sie nicht, die neue, vorläufige Heimat in Hannover mit liebevoller Sorglichkeit für die Ihrigen zu ordnen und zu schmücken.

      Hatte sie doch alle ihre Lieben um sich, war doch ihr Sohn gerettet und vollständig zu neuem, kräftigem Leben genesen, sollte doch bald durch ihn eine neue Häuslichkeit erblühen, mochten da die Ereignisse der Welt noch so schmerzlich für sie sich gestalten, ihr Leben lag im Hause, und mit stiller Hoffnung und Freude bereitete sie alles vor, um demnächst dem geliebten Sohn die heimatliche Häuslichkeit zu gründen.

      Der Oberamtmann ging ernst und schweigend einher. Er gehörte der alten Zeit an, welche er seit lange um sich her zerbröckeln – und dann in der gewaltigen, welterschütternden Katastrophe zusammenbrechen gesehen hatte, er liebte die eigenartige Selbständigkeit seines hannoverischen Landes, schmerzlich berührte es ihn, die neue Herrschaft zu sehen im Lande der Fürsten, denen seine Väter gedient hatten, aber sein klarer, praktischer und verständiger Geist hielt ihn fern von jenen demonstrativen Äußerungen des Unmuts, von jenem passiven, agitatorischen Widerstand, welchen ein Teil des Volkes und ein großer Teil seiner Standesgenossen dem preußischen Regimente entgegensetzte. Er sah die neue Zeit und verstand sie, ohne sie lieben zu können, so lebte er ziemlich allein, zurückgezogen im Kreise seiner Familie; von der neuen, um die preußischen Elemente gebildeten Gesellschaft entfernte ihn sein Herz und sein Stolz – von den sogenannten welfischen Patrioten hielt ihn sein klarer und ruhiger Verstand zurück.

      Der Leutnant war vollständig genesen. In der Blüte kräftiger Gesundheit schimmerten wieder seine Wangen, und seine lange Krankheit hatte nur einen tieferen, sinnigen Ernst in dem Blick seines Auges hinterlassen. Schwerer als seinem Vater war es ihm geworden, seine Stellung zu den neuen Verhältnissen zu nehmen. im täglichen Umgang mit seinen Kameraden und Freunden, den Offizieren der früheren hannöverschen Armee, lebte er in einer Sphäre des brennenden, mit jugendlicher Lebhaftigkeit erfaßten und idealisierten Schmerzes um die Vergangenheit, der ja auch sein ganzes Herz mit allen seinen Fasern angehörte.

      Der König Georg hatte allen Offizieren erklären lassen, daß sie auf ihren Wunsch und Antrag sofort den Abschied erhalten würden – die Wohlhabenden hatten diesen Abschied nicht genommen, oder waren doch nicht in preußische Dienste getreten, eine große Anzahl von jungen Leuten, welche weder die Mittel zu selbständiger Existenz noch die Ausbildung zu irgend einem andern Lebensberuf besaßen, hatten die Verhältnisse und ihre Notwendigkeit angenommen.

      Während die Kämpfe, welche die Notwendigkeit dieser Entschlüsse bedingten, nicht nur die Kreise der jüngeren Offiziere, sondern auch deren Familien lebhaft bewegten und aufregten, hatte der Hauptmann von Adelebsen alle jüngeren Offiziere, die noch nicht in der preußischen Armee Dienste genommen, zu einer Versammlung berufen. Dort hatte er ihnen ein Schreiben des Königs aus Hietzing vorgelesen und gezeigt, in welchem derselbe die Hoffnung ausdrückte, daß alle Offiziere sich seiner Sache erhalten möchten, und zugleich das Versprechen gab, daß jeder eine Jahreseinnahme von fünfhundert Talern beziehen solle, sei es durch Ergänzung der eigenen Mittel, sei es durch vollständige Zahlung aus der Kasse des Königs. Die Offiziere sollten ruhig im Lande leben und der Befehle des Königs gewärtig sein, welche ihnen durch dazu bestimmte Vertrauenspersonen zugehen würden.

      Diese Botschaft des Königs hatte neue, große Aufregung und beängstigende Zweifel in die Seelen dieser armen, jungen Leute geworfen, welche so hart und schwer unter den mächtig daherrollenden Ereignissen zu leiden hatten. – Viele waren der Aufforderung des Königs gefolgt und hatten opfermutig das gefahrvolle, traurige Leben auf sich genommen, zu welchem das Festhalten an dem dem Könige Georg geleisteten Fahneneide sie verurteilte, sie hatten es auf sich genommen, ein Leben von Verschwörern zu führen, immer unter der Strafe des Hochverrats stehend, ausgesetzt allen Gefahren, ohne die Ehren und den Ruhm, den der frische, fröhliche Kampf dem Soldaten bringt.

      In tiefer Bewegung und lebhaftem, innerem Kampf war der Leutnant von Wendenstein aus jener Versammlung seiner Kameraden heimgekehrt. Sein Herz zog ihn auf die Seite derjenigen, welche den dornenvollen Dienst von Verschwörern und Agitatoren für ihren bisherigen König und Kriegsherrn auf sich zu nehmen entschlossen waren – nicht die persönliche Gefahr, aber der Gedanke an seine Zukunft, an die Heimat, welche er begründen wollte, machte ihn zittern. Durfte er die Geliebte, welche ihr Leben an das seine gebunden, welche von ihm Schutz und Halt erwarten mußte, den Zufällen und Fährnissen eines solchen Lebens aussetzen?

      Lange war er sinnend im Kampf widersprechender Gedanken und Empfindungen umhergegangen, dann war er mit allem Vertrauen des Sohnes, mit aller Ehrfurcht des Jünglings vor dem alten, in ehrenfestem Leben bewährten Manne, zu seinem Vater gegangen und hatte ihm die Botschaft des Königs und die Kämpfe seines Herzens mitgeteilt, ihm die Entscheidung anheimstellend.

      Ernst und still ging der alte Oberamtmann auf und nieder, den Blick des treuen, klugen Auges Zu Boden gesenkt.

      Dann blieb er vor seinem Sohne stehen, blickte ihm voll und frei ins Gesicht und sprach mit milder, ruhiger Stimme:

      »Ich danke dir, daß dein Vertrauen dich zu mir geführt. – Du verlangst meine Entscheidung – ich kann sie dir nicht geben. Ich habe meine Söhne erzogen, Männer zu sein – und in Konflikten, wie sie unsere Zeit bringt, muß der Mann der eigenen Stimme folgen fest und unbeirrt. – Aber,« fuhr er fort, indem er die Hand sanft auf die Schulter seines Sohnes legte, »meinen Rat und meine Ansicht bin ich dem Sohne, dem Jüngling schuldig, und ich will dir sagen, was ich denke – frei von allen persönlichen Rücksichten, allein der Stimme der Ehre und des Gewissens folgend, ohne daran zu denken, wie nahe deine Entschlüsse auch mich berühren. – Wenn du,« fuhr er langsam und ruhig fort, »jetzt mit deinem Eide an die Fahne des Königs gefesselt bleibst, so darfst du nicht vergessen, daß diese Fahne fortan nicht mehr diejenige der äußeren Ehre, sondern diejenige der Empörung gegen die von Europa anerkannte Obrigkeit ist, daß die Gefahr, der du entgegengehst, nicht mehr der Tod auf dem Schlachtfeld ist, sondern der Kerker, das Zuchthaus, vielleicht das Schafott. Der Schlaf wird deine Nächte fliehen, Sorge und Angst werden deine Begleiter sein. – Doch davon will ich nicht sprechen, ich weiß,« sagte er mit festem und stolzem Ton, »daß mein Sohn keine Gefahr scheut, sie möge Namen haben, welche sie wolle – wenn er ihr auf einem Wege begegnet, den seine Ehre und seine beschworene Pflicht ihm zu gehen vorschreiben. – Aber eine andere, eine größere Gefahr ist da. Stellst du dich dem Könige zur unbedingten Verfügung, so darfst du nicht vergessen, daß der unglückliche Herr heute nicht mehr auf dem von Gesetzen und Landesrechten umgebenen Throne sitzt, von welchem herab er nur Befehle geben kann, welche mit den Gesetzen und Rechten des Landes übereinstimmen. Gibst du dich ihm jetzt zu eigen mit dem höchsten und heiligsten Bande, das die Erde kennt, dem Fahneneide des Offiziers, so ist er dein absoluter Herr, und kennst du seine Umgebung, kennst du diejenigen, welche ohne verfassungsmäßige Verantwortlichkeit – und ohne persönliche Gefahr ihm ratend zur Seite stehen? Weißt du, welche Befehle du erhalten kannst, kannst du das Ende des Weges übersehen, wenn du den ersten Schritt tust? Kannst du wissen, ob nicht ein Augenblick kommt, in welchem dein Eid auf der einen Seite und deine Ehre, dein Gewissen, dein deutsches Blut,« sagte er mit Betonung, »auf der andern dich m einen furchtbaren Zwiespalt führen können? – Und dann,« fuhr er fort, »stehst du nicht allein. Helene, ich weiß es, wird dich nicht mit einem Wort, nicht mit einem Blick zurückhalten von dem Entschlusse, der dir der rechte scheinen würde, aber ihr Herz wird vergehen in der ewigen Sorge und Angst eines Lebens, das dich zum Geächteten macht!«

      Der Leutnant sah traurig zu Boden.

      »Helene, arme Helene!« sagte er, die Hände fallend, »aber meine Kameraden, der König!« flüsterte er.

      Der Oberamtmann sah ihn lange an.

      »Der König,« sagte er dann, »glaubt an einen Kampf für sein Recht, er glaubt an eine Wiedergewinnung seines Thrones, und deine Kameraden, welche sich ihm zur Verfügung stellen wollen, teilen diesen Glauben. – Ich teile ihn nicht!« fuhr er nach einer Pause fort, »denn ich sehe in dem Charakter des Königs und in seiner bisherigen Haltung nichts, was in einem so ungeheuren Kampf Erfolg versprechen