»Nicht ich.« Exzellenz.« sagte Herr Windthorst, über die Brille hin zu dem Ministerpräsidenten hinaufblickend, »es ist so die Instruktion von Hietzing, wir sind ja hier nur Mandatare –«
»Aber wie ist es möglich, daß man dort halbe und zweiseitige Instruktionen gibt?« fragte Graf Bismarck, »und bei der Haltung, die der König einmal einzunehmen für gut befunden hat, würde doch ein reines Prinzip richtiger sein und die Verhandlungen befördern, was sollen dem König Domänen im preußischen Lande?
Und auf der andern Seite: Können wir einen großen Grundbesitz dem Könige in einem Lande geben, in welchem er die Landeshoheit des Königs von Preußen nicht anerkennt?«
Herr Windthorst zuckte die Achseln. »Eure Exzellenz dürfen nicht vergessen,« sagte er mit leichtem Lächeln, »daß unsere Instruktionen vom Grafen Platen kommen, es sind da verschiedene Wünsche, der Kronprinz möchte die Jagdreviere behalten, die Königin will die Marienburg nicht aufgeben –«
»Die Marienburg ist Privateigentum Ihrer Majestät,« sagte Graf Bismarck ernst, »und wird ihr nie streitig gemacht werden, auch Herrenhausen, diese historische Erinnerung des Welfenhauses, soll dem Könige gelassen werden, aber die übrigen Domänen – das geht nicht!«
»Es ist mir lieb, wenn Eure Exzellenz mir darüber eine bestimmte Erklärung geben, das wird unsere Stellung wesentlich verbessern, bis dahin werden wir keine bestimmten Anweisungen erhalten, denn Graf Platen,« er spielte mit den kleinen, spitzigen Fingern an dem Bande des Guelfenordens, »schließen Sie ihn in ein Zimmer allein mit zwei Stühlen ein, wenn Sie nach einer Stunde öffnen, so wird er zwischen beiden Stühlen auf der Erde sitzen.«
Graf Bismarck lachte.
»Übrigens, mein lieber Minister,« fuhr er ernster fort, »muß ich Ihnen sagen, daß auch die fortwährende Agitation in Hannover, deren Fäden nach Hietzing offen daliegen, nicht geeignet ist, unser Entgegenkommen in den Vermögensverhandlungen zu unterstützen.«
»Ich beklage diese vollkommen unnützen Agitationen,« sagte Windthorst, »glaube indes nicht, daß sie ernsthaft etwas zu bedeuten haben, wenn nicht,« fügte er mit einem spähenden Blick hinzu, »die Fehler der preußischen Verwaltung ihnen immer neue Nahrung geben!«
»Mein Gott!« rief Graf Bismarck, »ich kann nicht in allen unteren Organen stecken, was wäre denn zu tun, um diese Fehler zu vermeiden? Man hat mir von der Berufung von Vertrauensmännern des Landes gesprochen, um mit ihnen die Organisation der Provinz zu beraten –«
»Hm, hm,« machte Windthorst, »ich will nichts dagegen sagen, das kann vielleicht ganz gut sein, noch besser aber wäre es nach meiner Ansicht, ernste und bewährte Kräfte aus Hannover direkt in die preußische Regierung zu ziehen, das würde der Provinz Vertrauen und das Bewußtsein geben, im Rate der Krone vertreten zu sein.«
Graf Bismarcks Auge sah einen Augenblick scharf und forschend zu Herrn Windthorst hinab, ein eigentümliches Zucken bewegte eine Sekunde seine Lippen. »Das wäre ein Gedanke!« sagte er dann wie betroffen von dem Worte und nachdenklich vor sich hinblickend, »aber wie, für die innere Verwaltung? Das wäre schwierig, aber,« fuhr er fort, wie von einer plötzlichen Idee erfaßt, »die hannoversche Gesetzgebung und Rechtspflege ist ja stets ein Muster gewesen, das wäre etwas – für die Justiz«, und als folgte er einer in ihm auftauchenden Gedankenreihe, brach er ab. Herr Windthorst schlug das Auge zu Boden – ein unwillkürliches Lächeln flog über sein Gesicht.
»Die hannoversche Justiz hatte allerdings vortreffliche Kräfte,« sagte er mit bescheidenem Tone.
»Wie könnte ich das vergessen, wenn ich vor Ihnen stehe?« erwiderte Graf Bismarck verbindlich.
Herr Windthorst verneigte sich.
»Ihre speziellen Freunde, die hannoverschen Katholiken, sind uns auch nicht günstig gesinnt,« sagte Graf Bismarck.
»Ich sehe keinen Grund dafür,« sagte Herr Windthorst, »allerdings müssen sie mit Vorsicht und Geschicklichkeit behandelt werden; kann ich durch meine Erfahrung und meinen Einfluß in dieser Richtung zur Beruhigung und zur Konsolidierung der Verhältnisse beitragen, so werden Sie mich stets bereit finden.«
»Ich danke Ihnen,« sagte Graf Bismarck, »ich hoffe, wir werden noch Gelegenheit finden, eingehender über diese hannoversche Frage zu sprechen, jetzt wirken Sie soviel Ihnen möglich dahin, daß man in Hietzing, wenn man die neuen Verhältnisse nicht anerkennen kann und will, ihnen wenigstens praktisch Rechnung trägt, hier werden Sie in der Vermögensfrage die größte Liberalität finden.«
Und mit freundlicher Verneigung wendete er sich zur Seite. Sein suchender Blick fand den Dr. Lasker, welcher im Gespräch mit dem Geheimrat Wagener einige Schritte vor ihm stand. Der Ministerpräsident näherte sich, Herr Wagener trat zurück.
»Nun, mein lieber Doktor,« sagte Graf Bismarck lächelnd, »muß ich einmal ein ernstes Wort mit Ihnen sprechen. Sind Sie nicht zufrieden mit dem, was in Deutschland geschehen ist?«
»Gewiß, Exzellenz,« sagte Doktor Lasker sich verneigend und das scharfe, geistvolle Auge zu dem Ministerpräsidenten emporrichtend, »gewiß bin ich zufrieden, glücklich über den mächtigen Schritt, welchen Deutschland durch Ihre Festigkeit und Energie zu seiner Einigung getan hat, und in Ihrer auswärtigen Politik werden Sie mich stets an Ihrer Seite finden, aber in den inneren Fragen –«
»Ich begreife Ihre Unterscheidung nicht recht,« sagte Graf Bismarck ernst. »Ich kann Sie versichern, daß ich es stets für die Aufgabe einer ehrlichen Regierung gehalten habe, für möglichste Freiheit des Individuums und des Volkes zu streben und zu arbeiten, soweit das mit dem Staatswohl vereinbarlich ist.«
»Es fällt mir nicht einen Augenblick ein,« sagte Doktor Lasker, »an dieser ehrlichen und aufrichtigen Überzeugung und Absicht Eurer Exzellenz zu zweifeln, indes,« fuhr er mit leichtem Lächeln fort, »möchte es vielleicht schwerer sein, uns über das Maß der mit dem Staatswohl vereinbarlichen Freiheit und über die Mittel und Wege ihrer Begründung und Erhaltung zu verständigen.«
»Vielleicht ist mein Maß weiter noch und reicher als das Ihrige,« sagte Graf Bismarck mit gedankenvoll sinnendem Ausdruck. »Und die Wege? – Glauben Sie denn ernsthaft,« fuhr er lebhafter fort, »daß die Freiheit begründet wird, wenn die Regierung den Abgeordneten des Volkes Diäten zahlt, ist England kein freies Land, ohne daß die Deputierten besoldet werden, und,« rief er erregter, »was soll es heißen, daß die Herren gegen den Militäretat und die Feststellung des Militärbudgets Opposition machen? Wo wären wir ohne die starke Armee? Vor dem Krieg konnte ich das verstehen, Sie wollten kein Spielzeug für Paraden machen, aber jetzt? – Sie freuen sich der Früchte des Sieges und wollen das Werkzeug nicht kräftigen, das dazu berufen war, diese Früchte zu erkämpfen, das vielleicht dazu berufen sein wird, sie zu verteidigen?«
Ernst blickte Doktor Lasker auf.
»Lassen Sie mich offen sein, Exzellenz!« sagte er, – »ich gehöre nicht zu den Anbetern bei grauen Theorien, welche die Freiheit nach der Schablone dieser oder jener Doktrin formen wollen, über den Theorien stehen mir die Personen, aber,« fügte er mit seinem Lächeln und schalkhaftem Blick hinzu, »da liegt's, wenn ich Eurer Exzellenz so gegenüberstehe, so erinnere ich mich der Sage von den Centauren, man möchte freudig in die dargebotene Hand einschlagen, aber man fürchtet auch den Tritt des eisenbeschlagenen Hufs.«
Graf Bismarck lachte herzlich. »Aber wenn der Centaur diese Hufe nicht hätte,« rief er heiter, »wie sollte er vorwärts kommen auf dem coupierten Terrain, wo man ihm neben den natürlichen noch so viele künstliche Hindernisse schafft?«
»Eure Exzellenz müssen mir aber zugeben,« sagte Doktor Laster, »daß wir – ich und meine politischen Freunde, die Liberalen, – in großer Verlegenheit sind. So gern wir Sie unterstützen möchten – wir werden scheu, wenn wir Ihre Umgebungen sehen. Sie haben Gewaltiges vollbracht, Sie haben – niemand erkennt es mehr und höher an wie wir – der wahren Freiheit eine