Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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mit der Hand grüßend schritt der Generalfeldmarschall Graf Wrangel in den Salon. Freundliche Heiterkeit strahlte von des alten Herrn charakteristischem faltenreichen Gesicht mit dem aufwärts gedrehten Schnurrbart, mit beweglicher Leichtigkeit trat dieser Veteran der preußischen Armee einher in der Uniform seines ostpreußischen Kürassierregiments, den Orden Pour le mérite mit Eichenlaub um den Hals, auf der Brust die Sterne des Schwarzen Adlers und des russischen Andreasordens neben dem ehrwürdigen Zeichen des eisernen Kreuzes erster Klasse.

      Rasch trat Graf Bismarck ihm entgegen, und in militärischer Haltung sprach er im Tone dienstlicher Meldung:

      »Generalmajor Graf Bismarck-Schönhausen à la suite des Magdeburgischen Kürassierregiments Nr. 7, kommandiert zur Dienstleistung als Bundeskanzler und Minister der auswärtigen Angelegenheiten!«

      »Danke, danke, mein lieber General!« sagte der Feldmarschall, indem er dem Ministerpräsidenten die Hand reichte und seinen Blick mit zufriedenem Lächeln über dessen militärisch feste, markige Gestalt gleiten ließ, »freue mir, freue mir sehr, Ihnen unter meinem Kommando in den Marken zu haben, und ich freue mir noch mehr,« fügte er freundlich lächelnd hinzu, »daß Seine Majestät einen Kürassier bei die auswärtigen Angelegenheiten haben – der Pallasch bringt Festigkeit in die Hand, und was der gut gemacht hat, das werden Sie nicht mit die Federn verhunzen lassen, wie die Federfuchser es dazumal dem alten Blücher getan.«

      Graf Bismarck lächelte. »Das haben Eure Exzellenz bei mir nicht zu befürchten,« sagte er, sich stolz aufrichtend, »die Losung der preußischen Kürassiere heißt: Drauf!«

      Freundlich mit der Hand grüßend schritt der Feldmarschall weiter.

      Der Doktor Lasker war inzwischen in den zweiten Saal getreten und näherte sich einer Gruppe, welche in lebhaftem und eifrigem Gespräch begriffen war.

      Hier stand der Geheimrat Wagener, der bekannte frühere Begründer und Redakteur der »Kreuzzeitung«, eine trockene Gestalt von etwas steifer, bureaukratischer Haltung, zu welcher das von lebhaftem, ungemein ausdrucksvollem Geberdenspiel bewegte blasse, bartlose Gesicht einen gewissen Kontrast bildete. Er sprach mit dem Abgeordneten Miquel, dem Bürgermeister von Osnabrück und früheren Führer der hannoverschen Opposition, einem mageren, mittelgroßen Manne, dessen bleiches, etwas kränkliches Gesicht, von einer hohen Intelligenz durchleuchtet, sympathisch berührte, und der bei aller Schärfe der Dialektik stets in seinen politischen Gesprächen die feinsten Formen der guten Gesellschaft zu bewahren wußte.

      »Ich wundere mich, Herr Geheimrat,« sagte Miquel, »daß Sie so lebhaft gegen die Ministerverantwortlichkeit sprechen. Im wohlverstandenen konservativen Interesse Preußens selbst, sowie im Hinblick auf Süddeutschland ist jene Verantwortlichkeit dringend nötig. – Würden Sie etwa die Interessen Ihrer Partei einem Ministerium, einem mit dem Bundesrat regierenden Ministerium ohne Verantwortlichkeit anvertrauen wollen? Ministerien können wechseln, und die konservative Partei findet in einem Ministerium, dessen Verantwortlichkeit nicht gesetzlich genau geregelt ist, ebenso wenig Garantien wie die liberalen Richtungen.«

      »Ich bin stets gegen jede Ministerverantwortlichkeit,« erwiderte der Geheimrat Wagener, »weil sie im Prinzip die Grundsätze des monarchischen Staates zerstört und in der Praxis nichts bedeutet. – Einer starken Zentralgewalt gegenüber – und ich hoffe, baß die Zentralgewalt des norddeutschen Bundes immer stark und kräftig sein wird – ist die Ministerverantwortlichkeit wirkungslos – und einer schwachen Zentralgewalt gegenüber,« fügte er mit sarkastischem Lächeln hinzu, »haben Sie ganz andere und wirksamere Mittel. Der Verfassungsentwurf ist ein Kompromiß zwischen den vorhandenen berechtigten Elementen und Faktoren, die konstitutionelle Schablone kann uns hier nicht helfen – alle diese Amendements, welche bei der Beratung von den verschiedenen Seiten gestellt werden, sind keine Mittel zur Verbesserung, sondern nur zur Verhinderung.«

      »Der Geheimrat hat vollkommen Recht!« sagte der Abgeordnete von Sybel, ein noch junger, starker Mann mit hellblondem Haar und frischem, rotem Gesicht, »die wirkliche Ministerverantwortlichkeit besteht nicht in der kriminalistischen Verfolgung, sondern in der jährlich wiederkehrenden Diskussion, in der öffentlichen Meinung, jener sechsten Großmacht, vor der man sich beugen muß, und wenn auch alle anderen Großmächte wirkungslos wären. – Sehen Sie,« fuhr er fort, »gleich nach dem Kriege hat sich die Regierung beeilt, mit der öffentlichen Meinung Frieden zu machen. Darin liegt für mich die wahre Garantie! – Und dann – das Budgetrecht –, und darin hat der künftige Reichstag nach dem Verfassungsentwurf mehr Macht, als das preußische Abgeordnetenhaus je besessen.«

      Miquel schüttelte den Kopf.

      Lebhaft rief der Geheimrat Wagener: »Ich kann die Unterstützung des Herrn von Sybel, so sehr ich mich freue, mit ihm einer Meinung zu sein, doch nicht in ihrem Motiv akzeptieren. Wir leben in einer Zeit, in welcher die Phrase eine gewaltige und sehr bedenkliche Macht hat, und für mich ist die gefährlichste Phrase von allen die von der öffentlichen Meinung. Was ist öffentliche Meinung?« rief er, umherblickend, »woher kommt sie – und wohin geht sie? Ist die öffentliche Meinung, welche diesen Reichstag beherrscht, eine Parlamentstochter – oder nicht vielmehr eine Regimentstochter?«

      Herr von Sybel lachte.

      »Sie sprechen gegen die Phrase,« sagte Miquel ruhig, »und haben uns da doch soeben eine – in der Tat sehr hübsch pointierte – Phrase gemacht.«

      »Das beweist, wie groß ihre Herrschaft ist, – daß selbst ihre Gegner sich ihr nicht entziehen können,« erwiderte Wagener lächelnd, »um so mehr muß man diese gefährliche Herrschaft bekämpfen!«

      »Da der Herr Geheimrat Wagener uns einmal auf das Gebiet der Phrasen geführt hat,« rief der Abgeordnete Braun, welcher ebenfalls zu der Gruppe getreten war, in einer gewissen Erregung, »so muß ich ihm doch auf seine »Regimentstochter« mit dem Zitat eines französischen Schriftstellers antworten: »die Bajonette sind für vieles vortreffliche Dinge – aber sich darauf setzen kann man nicht«.«

      Alle lachten.

      »Ja,« fuhr Braun noch immer lebhaft animiert fort, »blicken Sie in die Geschichte, nicht der Krieg macht die öffentliche Meinung, sondern die öffentliche Meinung macht den Krieg, jeder Krieg ist überhaupt nur das Ergebnis der vorangegangenen Volksentwicklung – sein Resultat ist nur das quod erat demonstrandum der Geschichte!«

      »Meine Herren, meine Herren,« rief der kleine Doktor Lasker herantretend, »Sie debattieren ja so lebhaft, als ob der Reichstag hier in diesen Salon verlegt wäre! – Lassen wir die Deputierten draußen, sie machen schon genug Lärm auf der Tribüne – Wissen Sie,« fuhr er fort, »daß der Kronprinz von Sachsen angekommen ist, um das Kommando über das Zwölfte Armeekorps zu übernehmen? Das ist sehr erfreulich – ein mächtiger Schritt zur militärischen Einheit!«

      »Wenn nur die zivile Freiheit mit der militärischen Einheit käme!« sagte der Abgeordnete Braun, »aber –«

      »Still, still!« rief Lasker. »Alles hat seine Zeit; lassen wir uns die eine Errungenschaft nicht verkümmern, weil wir die andere noch nicht haben, man steigt eine Leiter nicht mit einem Schritt hinauf.«

      Eine gewisse Bewegung wurde im ersten Salon bemerkbar. Man sah den Grafen Bismarck schnell zur Türe schreiten – mit ehrerbietigem Gruß empfing er den Prinzen Georg von Preußen, einen großen, schlanken Mann von vierzig Jahren; ein blonder, dichter Backenbart umrahmte das blasse Gesicht von kränklichem, geistig bewegtem, aber etwas schwermütigem Ausdruck. Der Prinz trug die preußische Generalsuniform, er unterhielt sich längere Zeit mit dem Ministerpräsidenten und trat dann, indem er mit artiger Bewegung dessen weitere Begleitung ablehnte, in den zweiten Salon. Sein Blick schweifte einige Augenblicke über die Gesellschaft, dann trat er zu einem Herrn im schwarzen Frack mit mehreren Dekorationen hin, welcher soeben allein in der Mitte des Saales stand. Kaum bemerkte der die Annäherung des Prinzen, als er ihm schnell entgegeneilte und sich tief verneigte.

      Der Prinz reichte ihm die Hand.

      »Guten Abend, Herr von Putlitz!« rief er, »ich hätte kaum erwartet, Sie hier zu sehen, – was macht der Dichter auf dem Parkett der Politik?«

      »Wenn der Dichter