»Ich danke Ihnen nochmals,« sagte Herr von Thile, »daß Sie mir einen Augenblick den Vortritt gewährt, – Sie sehen, ich habe Ihre Geduld nicht lange in Anspruch genommen.«
Und er folgte Herrn von Keudell, welcher sich gegen die Diplomaten verneigend das Zimmer verlassen hatte.
Graf Bismarck erschien in der Tür seines Kabinetts.
»Guten Morgen, meine Herren Botschafter!« rief er, mit. freundlicher Neigung des Kopfes die Herren begrüßend, »ich stehe zu Ihrer Verfügung – wer von Ihnen ist der Erste?«
Benedetti deutete mit der Hand auf Lord Loftus, und der Vertreter Großbritanniens folgte dem Grafen in sein Kabinett.
»Ich will Sie nur einen Augenblick in Anspruch nehmen, mein lieber Graf,« sagte Lord Loftus, indem er sich dem Ministerpräsidenten, der vor seinem Schreibtisch Platz nahm, gegenübersetzte, »die europäische Lage ist ja so ruhig, daß es kaum eine Frage gibt, über welche es nötig wäre, unsere Meinung auszutauschen, ich bin nur gekommen, um Sie nach dem Fortgang der Verhandlungen über das Vermögen des Königs von Hannover zu fragen, ich hoffe, das wird sich alles gut arrangieren?«
»Man macht manche Schwierigkeiten von Hietzing aus,« sagte Graf Bismarck, »welche verhindern, daß die Sache so schnell und so befriedigend erledigt wird, wie ich es wünsche. Der König Georg hat seine Bevollmächtigten angewiesen, einen Teil der Krondomänen zu verlangen, Sie begreifen, daß ich das nicht zugestehen kann, daß ich der depossedierten Dynastie nicht in ihrem früheren Königreich den Einfluß so großen Grundbesitzes geben kann, auch begreife ich diese Forderung nicht recht, denn der König tritt doch eigentlich als Grundbesitzer in seinem früheren Königreich in eine direkte Untertanenstellung – ja, wenn er die Annexion anerkennen wollte –
»Dann auch,« fuhr der Graf fort, »ist es nötig, einen Modus zu finden, um das Vermögen sicher zu stellen, damit es der König nicht etwa in törichten Unternehmungen verbraucht. Ich habe das Interesse der Agnaten zu vertreten und darf doch auch einer gegen Preußen gerichteten Agitation nicht die Mittel an die Hand geben; das alles erfordert Zeit – um so mehr, als die Bevollmächtigten des Königs klagen, daß sie vom Grafen Platen nur seltene und unklare, oft widersprechende Instruktionen erhalten.«
»Ich bitte, lieber Graf,« sagte Lord Loftus, den Ministerpräsidenten mit artiger Verneigung unterbrechend, – »ich bitte Sie, stets festzuhalten, daß ich in dieser ganzen Angelegenheit mehr die persönlichen Wünsche der Königin, als ein Interesse Englands vertrete. Ihre Majestät wünscht – natürlich – daß Ihr Vetter, der als Prinz des englischen Hauses geboren wurde, nach dem Verlust seines Thrones eine seiner Geburt und seinem Range angemessene Stellung in der Welt behaupten könne –«
»Und,« sagte Graf Bismarck, »Sie können vollkommen überzeugt sein, daß die Wünsche der Königin für mich bestimmend sind, um so mehr, da sie vollkommen übereinstimmen mit den Intentionen des Königs, meines Herrn, der auf das Innigste wünscht, daß die politische Katastrophe, welche er über das hannoversche Welfenhaus hat verhängen müssen, die Stellung der hohen Familie nicht berühre. – Auch darf ich hinzufügen, daß ich selbst dringend wünsche, ein so erhabenes, allen großen Höfen verwandtes Haus in würdigen und angemessenen Verhältnissen zu sehen. – Der König wird bei dem Abkommen unzweifelhaft das Vermögen eines royal duke von England erhalten, damit er dort seiner Würde entsprechend leben kann, wenn er, was ja doch zweifellos das Beste wäre, später nach England geht. – übrigens,« fuhr er fort, »werde ich mir sogleich über den Stand der Verhandlungen Bericht erstatten lassen und Ihnen Mitteilung machen.«
»Ich danke Ihnen,« sagte Lord Loftus, »es wird Ihrer Majestät gewiß angenehm sein, zu hören, wie die Sache steht,« er machte eine Bewegung, um sich zu erheben, »diese Frage an Sie zu richten war der einzige Grund meines Besuches.«
»Darf ich Sie bitten, noch einen Augenblick zu bleiben?« fragte Graf Bismarck in leichtem, fast gleichgültigem Tone, »Sie können Ihre Regierung auf die Prüfung einer Frage vorbereiten, welche wohl nächstens Gegenstand einer europäischen Konferenz werden könnte.«
Lord Loftus blickte mit dem höchsten Erstaunen auf.
»Einer Konferenz?« rief er erstaunt, »wo könnte eine Veranlassung dazu entstehen?«
Graf Bismarck ergriff den Bericht des Grafen Perponcher, welcher vor ihm auf dem Tische lag, und leicht in denselben hineinblickend, sprach er:
»Der König von Holland hat unserem Gesandten im Haag Mitteilungen über einen vorbereiteten Verlauf Luxemburgs an Frankreich gemacht.« –
Lord Loftus rief mit höchster Spannung: »Also ist doch etwas an jenen Gerüchten gewesen, welche seit kurzem in den Journalen auftauchten und immer wieder dementiert wurden?«
»Es scheint so,« sagte Graf Bismarck ruhig. – »Die Stellung Luxemburgs,« fuhr er dann fort, »ist wesentlich durch die internationalen Verträge bedingt, soll, nachdem der deutsche Bund nicht mehr existiert, irgend eine Änderung darin eintreten, so müssen die Vertragsmächte zusammentreten und neue Garantieren schaffen, bis dahin müssen wir den status quo verteidigen,« fügte er mit kaltem Tone hinzu.
»Aber das kann ja zu einem ernsten Konflikt führen!« rief Lord Loftus erschrocken.
»Wenn die europäischen Mächte nicht intervenieren, gewiß,« erwiderte Graf Bismarck mit unerschütterlicher Ruhe, »wir werden vor solchem Konflikt, den ich auf das Äußerste beklagen würde und gewiß nicht provozieren werde, nicht zurückschrecken. – Es scheint mir übrigens,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »daß Sie ein wenig dabei interessiert sind, Luxemburg ist ein Schritt Frankreichs nach Belgien, und früher oder später könnte diese oder vielleicht eine andere französische Regierung –«
»Sie haben nichts dagegen,« sagte Lord Loftus, »daß ich über unsere Unterredung vertraulich nach London schreibe?«
»Im Gegenteil,« erwiderte Graf Bismarck, »vertraulich oder offiziell, ich habe weder die Sache noch meine Ansicht darüber zu verheimlichen. Es wird mir angenehm sein, wenn Sie mir Ihrerseits die Ansicht Ihrer Regierung über die Sache mitteilen, und es würde mich besonders freuen, wenn sie mit der meinigen übereinstimmte.«
Lord Loftus stand auf.
»Eine Gefahr für die Ruhe Europas,« sagte Graf Bismarck in leichtem Tone, »könnte aus der Sache nur dann erwachsen, wenn wir mit einem fait accompli ohne Zuziehung der Vertragsmächte überrascht würden.«
»Ich werde die Frage der schleunigsten Erwägung Lord Stanleys empfehlen!« sagte Lord Loftus, indem er sich von dem Ministerpräsidenten verabschiedete, der ihn bis zur Tür des Kabinetts begleitete und Herrn Benedetti durch eine verbindliche Handbewegung zum Eintritt aufforderte.
Der französische Botschafter nahm den Platz ein, welchen Lord Loftus soeben verlassen hatte.
»Sie werden sehen, mein lieber Botschafter,« sagte Graf Bismarck freundlich, indem er leicht mit einer Feder spielte, »ich habe lang nicht das Vergnügen gehabt, mich mit Ihnen zu unterhalten.«
»Sie wissen, Herr Graf,« erwiderte Benedetti, »daß ich ein wenig angegriffen bin, ich war nur zurückgekommen, um am Geburtsfeste Seiner Majestät nicht zu fehlen, und habe mich seitdem schonen müssen, es gibt übrigens,« fuhr er fort, »bei der tiefen und erfreulichen Ruhe, in welcher sich Europa befindet, wenig Gegenstände, über welche eine Besprechung notwendig erscheinen könnte.«
Graf Bismarck schwieg, das Auge ruhig und klar auf den Botschafter gerichtet.
»Der einzige Punkt, der mich beunruhigt,« sagte dieser, »ist der Orient, die Verhältnisse Serbiens nehmen eine gewisse bedenkliche Schärfe an und die Haltung Österreichs scheint nicht geeignet, dort beruhigend einzuwirken, ich möchte glauben, daß alle europäischen Mächte, insbesondere auch Sie in Ihrer neuen Position Ursache haben, auf der Hut zu sein, damit die russische Politik keinen Schritt nach den Donaumündungen hin mache, denn jede Position, welche die Türkei dort verliert, fällt der Macht Rußlands zu.«