Herr von Keudell reichte ihm das Papier.
Graf Bismarck durchflog es schnell, ergriff eine Feder und setzte mit raschem, kräftigem Zug seinen Namen darunter.
»Ich werde die Antwort dem Könige vorlegen,« sagte er dann, »sie engagiert zwar nach keiner Richtung, indes darf sie doch nicht ohne Allerhöchste Approbation abgehen.«
»Exzellenz von Thile,« meldete der Kammerdiener.
Graf Bismarck neigte das Haupt – der Wirkliche Geheimrat und Unterstaatssekretär von Thile trat ein.
»Lord Loftus und Benedetti sind mit mir ins Vorzimmer getreten,« sagte er, den Ministerpräsidenten begrüßend, »ich habe sie gebeten, mir für einen kurzen Augenblick in meinen Vortragsangelegenheiten des Ressorts den Vortritt zu gestatten, weil ich eine Mitteilung zu Eurer Exzellenz Kenntnis bringen wollte, die mir soeben gemacht ist und die mich etwas frappiert hat.«
»Benedetti ist da?« rief Graf Bismarck, »das trifft sich vortrefflich, er macht sich selten, seit er so plötzlich, wie er sagt, zum Geburtstag des Königs von seinem Urlaub zurückgekommen, er soll eine kleine Überraschung finden. – Doch – was haben Sie?« fragte er Herrn von Thile.
»Graf Bylandt war soeben bei mir,« erwiderte dieser, »und teilte mir mit, daß die niederländische Regierung uns ihre bons offices behufs der von ihr vorausgesetzten Verhandlungen Preußens mit Frankreich über das Großherzogtum Luxemburg anbiete; ich war überrascht,« fuhr Herr von Thile fort, »und verstand in der Tat nicht recht –«
Graf Bismarck lachte.
»Sie werden sogleich vollkommen verstehen,« rief er und reichte dem Unterstaatssekretär den Bericht des Grafen Perponcher und den Entwurf seiner Antwort. »Lesen Sie. – Wäre die Sache nicht so ernst,« sagte er, während Herr von Thile die Papiere durchflog, »man müßte sie in der Tat unendlich komisch finden! Da ist der Großherzog von Luxemburg, der über den Verkauf seines Herzogtums mit Frankreich verhandelt und uns fragt, was wir dazu sagen, und zugleich,« fuhr er lachend fort, »bietet derselbe Großherzog von Luxemburg in seiner Eigenschaft als König der Niederlande uns seine Vermittelung mit Frankreich an. Das ist die Personalunion der Länder – und die Personalseparation der Souveräne!«
Und wieder ernsten Blickes vor sich hinschauend, fuhr er fort:
»Sie wollen da einen hübschen, gordischen Knoten schürzen, aber sie vergessen, daß wir das Schwert einmal in die Hand genommen haben und wahrlich nicht zögern werden, diesen Knoten zu zerschneiden.«
Herr von Thile hatte seine Lektüre beendet.
»Das ist in der Tat eine seltsame Überraschung,« sprach er, die Papiere dem Ministerpräsidenten zurückreichend.
»Nun,« rief Graf Bismarck, »Überraschung gegen Überraschung! – Ist Graf Bylandt noch da?«
»Er wird in einer Stunde wiederkommen,« erwiederte der Unterstaatssekretär, »ich habe ihm versprochen, sofort Eurer Exzellenz seine Eröffnung mitzuteilen.«
»Ich bitte Sie, Exzellenz,« sagte Graf Bismarck, »ihm zu antworten, daß wir nicht in der Lage seien, von dem – freundlichen Anerbieten seiner Regierung Gebrauch zu machen, weil die vorausgesetzten Verhandlungen nicht bestünden.«
Herr von Thile verneigte sich.
»Wollen Sie,« fuhr der Ministerpräsident fort, »aus den Archiven alle Akten über die Verhandlungen und den Abschluß der Verträge von 1839, das Großherzogtum betreffend, zusammenlegen lassen und mir zuschicken. Heute nachmittag wollen wir über die Sache nochmals sprechen. – Jetzt lassen Sie mich einen Augenblick mit den beiden Botschaftern reden, dann will ich zum König.«
Im Vorsalon vor dem Kabinett des Ministerpräsidenten wartete während dieser Zeit der englische Botschafter Lord Augustus Loftus und Herr Benedetti, der Botschafter Napoleons III.
Lord Loftus, eine durchaus englische Erscheinung, hatte sich in phlegmatisch nonchalanter Stellung auf einen Fauteuil niedergelassen, Benedetti stand vor ihm – sein glattes, lächelndes Gesicht zeigte keine Spur irgendeines Ausdrucks; in dieser eigentümlichen Physiognomie vereinigte sich auf merkwürdige Weise die nichtssagendste Gleichgültigkeit mit dem Schimmer einer scharfen Intelligenz.
»Herr von Thile schien sehr pressiert zu sein,« sagte er, »haben Sie eine Idee, Mylord, was in dieser ruhigen Zeit ein solches Empressement veranlassen könnte?«
»Bah,« sagte Lord Loftus ruhig und langsam, »gar nichts, irgend eine innere Angelegenheit des Ministeriums, eine Personalfrage, die schnell entschieden werden muß.«
Benedettis scharfer Blick senkte sich mit forschendem Ausdruck auf seinen ruhig vor ihm sitzenden Kollegen herab.
»Mir will es scheinen,« sagte er dann, ihm einen Schritt nähertretend und ein wenig die Stimme dämpfend, »daß unter dem Schein der tiefen Ruhe und der ausschließlichen Beschäftigung mit inneren Angelegenheiten hier sehr eifrig Politik gemacht wird – und zwar eine Politik, welche die Aufmerksamkeit von uns beiden im Interesse unserer Regierungen in gleicher Weise zu erwecken geeignet ist.«
Lord Loftus schlug seine Augen groß zu seinem französischen Kollegen auf und sah ihn fragend an.
»Es können Ihnen,« fuhr Benedetti immer mit gedämpfter Stimme fort, »eben so wenig wie mir die sich immer intimer gestaltenden Beziehungen des hiesigen Hofes zu Rußland entgangen sein. Sie erinnern sich der Verstimmung in St. Petersburg am Schluß des Krieges im vorigen Jahre, und wie dann der General Manteuffel plötzlich von der Armee abberufen und in außerordentlicher Mission zum Kaiser Alexander geschickt wurde. – Was kann der Vertraute des Königs in St. Petersburg getan haben?« –
Lord Loftus zuckte leicht die Achseln.
»Bald darauf,« fuhr Benedetti fort, »wurde unser hiesiger russischer Kollege, Herr von Oubril, der, wie Sie sich erinnern, sich damals so äußerst beunruhigt über die außerordentlichen Erfolge der preußischen Waffen und ihre Konsequenzen zeigte, nach St. Petersburg berufen, und als er zurückkam, war seine Sprache eine total andere, er zeigte eine Befriedigung über die Lage der Dinge, welche scharf mit seinen früheren Äußerungen kontrastierte. – Das kann nicht ohne eine ernste Veranlassung geschehen sein,« fuhr er langsam und mit Betonung fort, »es muß dort etwas stipuliert sein, in ähnlichem Geheimnis wie jene Verträge mit den süddeutschen Staaten, die man jetzt publiziert und durch welche der Prager Frieden fast illusorisch gemacht wird. Seit jener Zeit gehen die beiden Höfe von Berlin und Petersburg schärfer und energischer auf ihren Wegen vorwärts – Rußland im Orient, Preußen in Deutschland, ohne daß jemals auch nur eine Wolke von Mißtrauen zwischen ihnen bemerkbar ist. – Müssen da nicht gegenseitige Garantien geschaffen sein, welche uns mit Mißtrauen erfüllen können, bei der Solidarität, in welcher die Interessen Englands und Frankreichs im Orient verbunden sind?«
»Mein lieber Ambassadeur,« sagte Lord Loftus, sich in seinem Sessel dehnend, mit leichtem Lächeln, »ich glaube, Sie sind geneigt, schwarze Wolken zu sehen, wo keine sind, was mich betrifft, so vermag ich in den Vergrößerungen Preußens nur eine Bürgschaft mehr für die dauernde Erhaltung des europäischen Friedens zu erblicken, Preußen! war schlecht arrondiert, infolgedessen unruhig und gefährlich für den Frieden, es hat jetzt, was es wollte und bedurfte, es wird eifrig an der Erhaltung des Friedens arbeiten, um seine Erwerbungen nicht aufs Spiel zu setzen und sie sich zu assimilieren. – Und Rußland?« fuhr er fort, »nun wir haben ja den Pariser Frieden – und unsere Flotten, um seine Stipulationen aufrecht zu erhalten! – Ich sehe nichts Beunruhigendes in den Freundschaftsbeziehungen der Höfe von Berlin und St. Petersburg, die ja auf Verwandtschaft beruhen und übrigens seit langer Zeit traditionell sind.«
Benedetti