Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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habe nicht umsonst gelebt und gearbeitet!«

      Und indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte, richtete sich sein sonst so scharfes, kaltes und durchdringendes Auge in wunderbar weichem, fast träumerischem Schimmer nach oben.

      Ein Schlag an die Tür ertönte.

      Dem meldenden Kammerdiener auf einen Wink des Ministerpräsidenten unmittelbar folgend, trat der Legationsrat von Keudell in das Kabinett, ein Papier in der Hand haltend.

      »Guten Morgen, lieber Keudell!« rief Graf Bismarck, ihm die Hand entgegenstreckend, indem noch ein Hauch jenes weichen, sinnigen Ausdrucks auf seinen Zügen lag, »soeben noch dachte ich traurig und niedergeschlagen an den fortwährenden einsamen Kampf, den ich gegen erbitterte Gegner – und unverständige Freunde – für das in meinem Herzen verborgene Ziel führen muß; ich war undankbar,« fuhr er mit herzlichem Tone und freundlichem Lächeln fort, »ich vergaß den treuen, unermüdlichen und verschwiegenen Gefährten meiner Arbeit.«

      Ein inniger Ausdruck erleuchtete die edlen, scharf geschnittenen Züge des Herrn von Keudell, und indem er seine klaren, braunen Augen ruhig auf den Ministerpräsidenten richtete, sprach er ernst:

      »Eure Exzellenz können immer gewiß sein, daß Ihr Vertrauen eine sichere und unnahbare Stätte in meinem Herzen findet, und daß ich nie ermüden werde im Kampf für das große Ziel, dem Ihr Geist und Ihr Willen uns entgegenführt. – Schon naht vielleicht eine neue Phase dieses Kampfes, welche die Anspannung aller Aufmerksamkeit und Kraft erfordern wird,« fügte er mit einem Blick auf das Papier in der Hand hinzu.

      Graf Bismarcks Augen funkelten, indem leichte Falten auf seiner mächtigen Stirn sich zu kräuseln begannen.

      »Was haben Sie?« fragte er rasch und kurz.

      »Den Bericht des Grafen Perponcher aus dem Haag, welchen man soeben aus dem Chiffrierbureau zurückgebracht,« erwiderte Herr von Keudell, »der König von Holland hat ihm Eröffnungen über die Abtretung Luxemburgs an Frankreich gemacht und gefragt, wie Preußen es aufnehmen würde, wenn er sich seiner Souveränität über das Herzogtum begäbe.«

      »Ich wußte es, daß etwas vorgeht!« rief Graf Bismarck flammenden Blicks, »diese lächelnd ruhige Oberfläche mußte etwas verbergen; in Paris hat man freilich keinen Blick für die dunkeln Tiefen der napoleonischen Politik,« fügte er mit bitterem Tone hinzu.

      Und schnell die Hand ausstreckend, nahm er den Bericht, welchen Herr von Keudell ihm reichte, mit brennendem Blick Zeile um Zeile verfolgend.

      »Das soll Deutschlands Savoyen und Nizza sein,« rief er, den Bericht auf den Tisch werfend, indem eine helle Zornesröte in seinem Gesicht aufloderte. – »Daher diese holländischen Versuche seit dem vorigen Jahre, die deutsche Garnison aus Luxemburg zu entfernen, aber,« fuhr er fort, lebhaft aufstehend und mit einigen starken Schritten im Zimmer auf und ab schreitend, »Napoleon täuscht sich – und sein Marquis de Moustier kennt das heutige Berlin nicht! – Nicht einen Fuß breit Erde, nicht eine Handvoll Staub von deutschem Boden sollen sie haben, nicht einen Atemzug Luft, durch welche je der Ton eines deutschen Liedes gezittert hat,« rief er, vor Herrn von Keudell stehen bleibend und den Fuß auf den Boden stoßend.

      Mit freudigem Lächeln und glänzenden Blicken sah der Legationsrat auf den großen, reckenhaften Mann, der da vor ihm stand, als wolle er den Degen in der Hand den deutschen Heerscharen vorausreiten an die Grenzmarken des Vaterlandes.

      »Deutschlands Einheit und Größe wird nicht erschachert werden, nicht um den Preis einer einzigen Perle aus der Ehrenkrone der Nation!« rief Graf Bismarck noch immer in mächtiger Erregung. – »Schlimm genug, daß jene alten Reichsländer Elsaß und Lothringen noch in ihren Händen sind, aber,« fuhr er fort, indem die Blicke seines weitgeöffneten Auges inneren Bildern zu folgen schienen, »vielleicht – wenn sie die gierigen Hände weiter ausstrecken wollen, wenn sie den Krieg provozieren –« – er schwieg einige Augenblicke nachdenkend.

      Dann schwand allmählich der Ausdruck tiefer Bewegung von seinen Zügen und in ruhigem Ton sprach er:

      »Ich weiß übrigens in der Tat diese Mitteilung des Königs von Holland mir nicht zu erklären, das ganze Spiel war doch augenscheinlich darauf angelegt, uns mit einem fait accompli zu überraschen, diese Eröffnung verdirbt ja vollständig die Karten Napoleons.«

      »Dem Könige wird bei diesem Spiel bange geworden sein,« sagte Herr von Keudell, »die Konsequenzen würden doch für ihn vielleicht am gefährlichsten werden. – Eure Exzellenz sind also entschlossen,« fuhr er fort, »den Handel nicht zuzugeben?«

      Graf Bismarck richtete das Haupt höher empor und sprach mit kaltem und klarem Blick:

      »Niemals wird diese Hand einen Vertrag unterzeichnen, der deutsches Gebiet vom Vaterland loslöst – und,« fuhr er fort, »niemals wird mich der König in die Lage bringen, die Unterzeichnung eines solchen Vertrages ablehnen zu müssen! – Aber,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »fangen wir die Frage nicht mit dem Ende an. – Sie will vorsichtig behandelt sein; ich wünsche in diesem Augenblick den Krieg nicht, der Kampf mit Frankreich ist unvermeidlich, unausbleiblich, aber je länger wir den Frieden erhalten, um so besser für die endliche Entscheidung, die innere Konsolidierung Deutschlands und die europäischen Konstellationen werden sich mit jedem gewonnenen Zeitraum mehr zu unsern Gunsten entwickeln.«

      Nachdenkend schritt er langsam auf und nieder.

      »Napoleon glaubt die definitive Einigung des ganzen Deutschlands verhindern zu können,« sprach er in einzelnen Absätzen, zuweilen stehen bleibend, während die Blicke des Herrn von Keudell mit Spannung seinen Bewegungen folgten, »er will für jetzt nur eine Kompensation für die Vergrößerungen Preußens, er will Preußen gegen Frankreich stellen, bin ich doch in den Augen der Welt fast überall noch der spezifisch preußische Minister, der nur für Preußen größeres Gebiet und höhere Macht erwerben will; er soll eine deutsche Antwort haben, man muß die Angriffe nicht nur abschlagen, sondern sie auch zu Nutzen und Gewinn verkehren. – Heute Abend ist mein Empfangstag?« fragte er Herrn von Keudell.

      »Jawohl, Exzellenz!«

      »Das trifft sich vortrefflich,« sagte Graf Bismarck. »Napoleon glaubt mit mir zu tun zu haben und mich zu überlisten, er soll sich unerwartet der deutschen Nation gegenüber finden, ich werde noch ein wenig der preußische Minister sein, welcher der nationalen Strömung zu folgen gezwungen wird, das wird uns eine vortreffliche Stellung auch den andern Mächten, besonders England gegenüber geben, Preußen würden sie einen kleinen échec wohl gönnen, aber vor dem Brüllen des deutschen Löwen fangen sie an, einige Schauer zu empfinden, und vor das europäische Forum muß die Sache gebracht werden. Das ist ja sonst ein so oft betontes Prinzip des Kaisers; eh bien, diesmal soll er im vollen Licht Farbe bekennen, von der einen Seite die europäischen Verträge, von der andern die öffentliche Meinung in Deutschland, das gibt mir eine vortrefflich flankierte Stellung!«

      Und mit leichtem Lächeln rieb er sich die Hände.

      »Ich bewundere Eurer Exzellenz Kombination,« sagte Herr von Keudell ebenfalls lächelnd, »ich bin überzeugt, daß Napoleon uns in dieser Stellung nicht erwartet.«

      »Ich hoffe, daß er noch manches Unerwartete von mir erfahren wird, ich weiß ein wenig, wie man ihn nehmen muß,« sagte Graf Bismarck, »doch,« fuhr er fort, »jetzt kommt es darauf an, das Spiel zu mischen, alles offen zu halten und den letzten Gedanken fest in die Brust zu verschließen; ich werde nachher zum Könige gehen.«

      Er dachte einen Augenblick nach.

      »Telegraphieren Sie an Perponcher,« sagte er zu Herrn von Keudell, welcher sogleich einen Bogen Papier ergriff und sich zum Schreibtisch setzend, die langsam gesprochenen Worte des Ministerpräsidenten niederschrieb, »er solle dem Könige antworten, daß die Staatsregierung – und ihre Bundesgenossen, wir müssen die Frage sogleich zu einer Angelegenheit des norddeutschen Bundes machen, welche sie ja auch ist,« sagte er nachdenkend, »daß die Staatsregierung und ihre Bundesgenossen augenblicklich überhaupt keinen Beruf hätten, sich gegenüber dieser Frage zu äußern, daß sie Seiner holländischen Majestät die Verantwortung für die eigenen