Die Kaiserin senkte den Kopf und dachte einige Augenblicke nach.
»Ich glaube, Sie haben recht,« sagte sie dann, »es darf in diesem Augenblick kein Krieg entstehen, diese luxemburgische Frage müßte also beseitigt werden. – Aber wie ist das möglich?«
»Madame,« sagte der Graf, »die Gefahr liegt in der Heimlichkeit der Sache. Tritt man mit einem fertigen Arrangement vor die Welt, und Preußen widerspricht, so ist die Ehre Frankreichs engagiert und der Krieg unausbleiblich. Die Gefahr kann nur beschworen werden, wenn Preußen Gelegenheit erhält, seine Meinung auszusprechen, so lange Frankreich noch mit Ehren sich aus der Sache zurückziehen kann.«
»Aber wie wäre das möglich?« fragte die Kaiserin.
»Dadurch, daß man in Berlin auf das schleunigste Kenntnis von der Sache erhält. Ich wiederhole, Madame, daß nach meiner festen Überzeugung der Kaiser nicht bis zum äußersten vorgeht, wenn er dem festen Entschluß Preußens gegenübersteht.«
»Eine solche Mitteilung aber könnte doch,« sagte die Kaiserin zögernd, »von – hier – nicht ausgehen, in einer Sache, welche – französisches Staatsgeheimnis ist.«
»Eure Majestät mögen vollkommen unbesorgt sein,« sprach der Graf mit leichtem Lächeln, »die Diskretion des französischen Kabinetts wird keinem Vorwurf ausgesetzt werden. – Eure Majestät sind also,« fuhr er fort, »mit mir der Ansicht, daß diese luxemburgischen Verhandlungen bedenklich und gefährlich sind, und daß sie im Interesse Frankreichs beseitigt und von einer Zuspitzung zur äußersten Schärfe ferngehalten werden müßten?«
Die Kaiserin ließ ihren vollen Blick einige Augenblicke auf dem Grafen ruhen, welcher sie erwartungsvoll ansah.
»Ich glaube,« sagte sie dann, »daß ich Ihnen recht geben muß.«
»Das genügt, Madame,« rief der Graf, »jetzt ist es meine Sache, zu handeln.«
»Und was wollen Sie tun?« fragte Eugenie mit einem leichten Anflug von Schreck und Besorgnis.
»Madame,« sagte der Graf sich verneigend, »die Sonne sendet Licht und Wärme herab und weckt den schlummernden Keim in der Erde, aber sie fragt nicht, wie er aus der dunklen Tiefe hervor in geheimnisvoller Arbeit den Stamm, die Blätter und die Blüten bildet.«
Die Kaiserin neigte mit anmutigem Lächeln das Haupt.
Dann erhob sie sich.
»Ein Baum, der aus Ihrem Herzen und Ihrem Kopf erwächst, Herr Graf,« sagte sie lächelnd, »kann der guten Sache, die uns beiden heilig ist, nur nützliche Früchte tragen. – Ich habe mich sehr gefreut,« fuhr sie fort, »Ihre Bekanntschaft zu machen, und hoffe dieselbe fortzusetzen. Es wird mir stets angenehm sein, Sie an meinen Montagen zu sehen, und wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, so werde ich immer erfreut sein, Sie zu empfangen – wir sind ja Alliierte.«
Und lächelnd reichte sie ihm die Hand.
Der Graf neigte sich auf dieselbe und berührte sie ehrerbietig mit den Lippen.
»Eure Majestät werden stets von mir hören, wenn ich Gutes zu verkünden oder Böses abzuwenden habe.«
Und in leichter und freier Bewegung erreichte er die Tür, verneigte sich noch einmal tief und verließ den Salon.
»Ein merkwürdiger und außergewöhnlicher Mensch,« sagte die Kaiserin, ihm sinnend nachblickend, »der Abbé Bonaparte hat recht, ein Mann, hart und geschmeidig wie der Stahl von Toledo. – Aber den ewigen Frieden mit diesem Deutschland, das uns verdrängen und erniedrigen will, erhalten – nein,« rief sie laut, mit dem zierlichen Fuß heftig auf den weichen Teppich tretend, »nein, davon wird er mich nicht überzeugen! – Aber gleichviel,« sagte sie leiser, »diese luxemburger Verhandlung muß beseitigt werden, ich will weder, daß sie reussiert und wir um diesen elenden Preis abgefunden werden, noch daß sie jetzt zum Kriege führt, denn – er könnte recht haben, und wenn wir geschlagen würden,« murmelte sie, den Kopf senkend und starr vor sich hinblickend, »es wäre das Ende –«
Einige Minuten stand sie so in Nachdenken versunken.
Dann rührte sie leicht die Glocke.
»Der Herzog Tascher de la Pagerie!« rief sie dem Kammerdiener zu.
Viertes Kapitel.
Der Graf Rivero stieg die große Treppe hinab und trat aus dem Portal, welches ein blau und weißer Baldachin, von Lanzen mit vergoldeten Spitzen getragen, überdeckte. Auf den Wink eines der dort stehenden kaiserlichen Lakaien fuhr seine Equipage, ein einfaches Coupé mit zwei tadellosen Pferden und dunkelblauer Livree mit seinen Goldschnüren, welche dem Portal gegenüber hielt, schnell heran. Der Lakai sprang ab und öffnete den Schlag, indem er zugleich den Überrock seines Herrn aus dem Wagen nahm und demselben reichte.
»Zur Marchesa Pallanzoni!« rief der Graf einsteigend, und in rascher, sicherer und leichter Bewegung rollte der Wagen davon, verließ den Tuilerienhof, folgte der Rue de Rivoli, fuhr über den Platz de la Concorde, durch die Rue Royale, wendete sich an der Madeleine links nach der Kirche St. Augustin und fuhr bis zu dem großen Platz, welcher dieser neuen und schönen Kirche am Anfange des Boulevard Malesherbes gegenüber liegt.
Hier hielt er vor einem großen, eleganten Hause. Der Graf stieg aus und eilte mit leichtem Schritt die mit Teppichen belegten Stufen einer breiten, eleganten Treppe hinauf.
Vor einer großen Glastüre des ersten Stockes drückte er auf den Knopf der Glocke, ein heller Schlag ertönte, und fast unmittelbar öffnete sich die Tür.
»Ist die Frau Marchesa zu Hause?« fragte der Graf eintretend einen Lakai in hellblauer Livree mit Silber, welcher ihm entgegentrat.
»Die Frau Marchesa ist in ihrem Boudoir,« erwiderte der Lakai, »sie hat befohlen, niemand zu melden, aber sie wird den Herrn Grafen ohne Zweifel empfangen, ich werde die Kammerfrau benachrichtigen.«
Und mit jenem ehrerbietigen Diensteifer, den die Dienerschaft, welche ein so feines Verständnis für die Beziehungen ihrer Herrschaft besitzt, stets den wirklichen Freunden und Vertrauten des Hauses beweist, öffnete er den Flügel einer gegenüberliegenden Tür und der Graf trat in einen mit reicher Eleganz und doch mit der Einfachheit des guten Geschmacks möblierten Salon, erfüllt von dem Duft zahlreicher Blumen, welche zwei große, vor den Fenstern stehende Jardinieren in reicher, farbiger Pracht füllten.
Der Graf ging mit langsamen Schlitten, das Auge nachdenklich zu Boden gesenkt, in diesem Salon auf und ab.
»Diese Kaiserin sinnt auf Rache,« sagte er in leisem Selbstgespräch, »sie will das erstehende Deutschland vernichten, sie glaubt dadurch der bedrohten Kirche zu nützen, sie irrt – ihre Absicht muß vereitelt werden! Für jetzt dient sie mir, sie soll mir helfen, diese luxemburger Frage zu beseitigen, aber ich muß sie überwachen, sie wird den Gedanken des großen Krieges gegen Deutschland in dem Kaiser nähren, und ihr Einfluß ist groß.«
Man hörte das leise Geräusch einer auf ihren Rollen gleitenden Schiebetür – eine Portiere wurde von einer feinen, weißen Hand ein wenig gelüftet und eine Damenstimme rief: »Treten Sie ein, Herr Graf!«
Der Graf Rivero durchschritt leicht den Salon, schlug die Portiere zurück und trat in ein kleines Boudoir mit einem Fenster, das von einer einzigen großen Spiegelscheibe gebildet war. Graue Seidentapeten bedeckten die Wände, Blumen, Nippesstatuetten, Bücher und Albums erfüllten den kleinen Raum, so daß fast