Sie hatte ihm schweigend zugehört, ihre Augen tranken durstig den Anblick seiner von innerer Bewegung durchleuchteten Züge, seiner in lichtem Glanze flammenden, hellen Augen.
»Weißt du,« sagte er sinnend, »wenn ich so bei dir sitze und in die süße, tiefe Glut deiner Augen schaue und dann hinausdenke nach dem Lande meiner Jugend, dann fällt mir ein Vers eines Dichters meines Vaterlandes ein« – und wie unwillkürlich seinen Gedanken folgend, sprach er halb für sich, halb zu ihr, mit inniger Betonung:
»Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh',
Ihn schläfert, mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme,
Die fern im Morgenland
Einsam und schweigend trauert
An brennender Felsenwand!«
»Sie klingt schön, deine Sprache,« sagte sie, »erkläre mir, was das heißt.«
Er übersetzte ihr die Worte ins Französische, während sie mit tiefer Aufmerksamkeit zuhörte.
»Doch, ich habe meine Palme gefunden,« sagte er – und indem er schnell aufstand und sie zu sich emporhob, rief er lauter: »Und ich lasse sie nicht mehr, ich führe sie mit mir in meine schöne, stille, nordische Heimat, und die Wärme meines Herzens soll ihr die Strahlen der Sonne des Südens ersetzen!«
Hohe Begeisterung belebte seine Züge – tiefes Gefühl erleuchtete seinen Blick.
Fast entsetzt riß sie sich von ihm los.
»Um Gotteswillen.« rief sie zitternd, »sprich nicht solche Worte – rufe nicht Bilder in meiner Seele hervor, die niemals – niemals Wirklichkeit werden können!«
»Und warum nicht?« fragte er, »würdest du nicht mit mir gehen wollen?«
»Mit dir gehen wollen?« sagte sie, und in schwärmerischem Aufschlag richtete sich ihr Blick empor, »o mein Gott! – aber,« fuhr sie fort, und ihr Auge senkte sich zu Boden, »denke an deine Eltern, an deine Mutter, wie würde sie das Mädchen ohne Namen aufnehmen, das« – sagte sie leise, die zitternden Finger ineinander faltend, »dir nicht einmal mehr geben kann, was die Ärmste und Niedrigste ihrem Gatten bringen soll im Schmuck des bräutlichen Kranzes! – Niemals, niemals,« sprach sie dumpf und traurig, »niemals würde ich es ertragen! – Gehe du den Weg deines Lebens, und laß mich dir eine freundliche Erinnerung sein, werde ich doch,« fügte sie mit sanftem, schwermütigem Lächeln hinzu, »künftig auch eine Erinnerung haben, ein freundliches Licht in der Einsamkeit meiner Zukunft!«
Er blickte ernst vor sich hin.
»Ich werde den Kampf mit den Vorurteilen der Welt nicht scheuen für dich und meine Liebe! – Doch,« fuhr er dann in leichterem Tone fort, »wir haben noch Zeit, darüber nachzudenken, ich bleibe ja noch den Sommer hier, du wirst nicht immer so traurig denken, du wirst mir erlauben, für dich und mein Glück zu kämpfen, und ich verspreche dir,« sagte er mit lautem feierlichen Ton, »ich werde dich nicht verlassen und nicht ruhen, bis ich an dir gutgemacht habe alle Leiden, welche das Schicksal dir zugefügt.«
Sie schüttelte schweigend langsam den Kopf.
»Ich sehne mich, deine schöne Stimme zu hören,« bat er, »lassen wir jetzt die Zukunft und freuen wir uns der Gegenwart. Laß mich ein wenig träumen beim Klange deiner Lieder, die mir die Bilder meiner Kindheit in der Seele wachrufen.«
Und sanft ihre Hand ergreifend, führte er sie zu einem kleinen Pianino, welches neben dem einen Fenster des Salons stand. Auf einem kleinen Tisch daneben lagen verschiedene Notenhefte.
Sie blätterte leicht in denselben.
»Ich werde dir ein Lied singen,« sagte sie dann, »das mich wunderbar anspricht – ein Lied, das ein deutscher Komponist einem Sänger meines Vaterlandes in den Mund legt, ich habe es für mich aus der Klavierpartitur ausgezogen und für meine Stimme arrangiert, es bildet ja gewissermaßen ein Band zwischen deinem und meinem Vaterlande, weil es ein Deutscher schuf zum Preise Italiens.«
Sie legte ein beschriebenes Notenblatt auf das Instrument, und während der junge Mann sich in einem Fauteuil niederließ und mit liebevollem Blick ihren Bewegungen folgte, begann sie mit weicher, metallreicher und wunderbar umfangreicher Stimme Stradellas schönes Lied aus Flotows Oper:
»Italia, du mein Vaterland,
Wie schön bist du zu schauen!«
Drittes Kapitel.
Ein leichter, feiner Duft von blühenden Rosen und Veilchen, gemischt mit einem an den spanischen Jasmin erinnernden flüchtigen Parfüm, durchzog den Salon der Kaiserin Eugenie in den Tuilerien. Eine Legion jener unzählbaren Kleinigkeiten, welche sich in dem Salon jeder vornehmen Dame von Eleganz und Geschmack anhäufen, erfüllten den Raum – Albums, Zeichnungen, altes Porzellan von Sèvres und Meißen, antike Bronzen, kurz, alle jene Dinge, welche, ohne eigentlichen Zweck und Nutzen, doch so unendlich zur Verschönerung des Lebens beitragen, den Blick bald hier, bald dort anmutig fesseln und den Geist mit stets wechselnden Bildern und stets neuen Gedanken erfüllen.
Ein kleines Feuer brannte in dem großen Marmorkamin und ein seitwärts davor stehender Schirm aus einer einzigen großen Spiegelscheibe in einem einfachen Rahmen von vergoldeter Bronze hielt die unmittelbaren Wärmestrahlen der Flamme ab, ohne den Anblick des freundlichen Elements zu verdecken.
Die Kaiserin saß in elegantem Morgenkostüm von dunkler Farbe auf einer Causeuse in der Nähe des Feuers – vor ihr auf einem großen Tisch lagen verschiedene Zeichnungen von Damentoiletten in sauberer Ausführung mit leichter Farbenandeutung.
Neben dem Tisch saß auf einem niedrigen Lehnstuhl die Freundin und Vertraute der Kaiserin, die Prinzessin Anna Murat, seit achtzehn Monaten mit einem der vornehmsten Herren Frankreichs, dem Herzog von Mouchy, Fürsten von Poix, aus der erlauchten Familie der Noailles, verheiratet, eine Dame von sechsundzwanzig Jahren, hoch und voll, von angenehmem Ausdruck in ihren Zügen und in ihrer Erscheinung ein wenig an den englischen Typus erinnernd.
Der Blick der Herzogin ruhte auf den Blättern, welche die Kaiserin, sie langsam betrachtend, durch ihre schlanken, perlmutterweißen Finger gleiten ließ.
»Ich vermisse in dem allen wirklichen Geschmack,« rief Eugenie endlich, und eine unmutige Wolke zog über ihre Stirn, indem sie die Zeichnungen auf den Tisch warf, »Wiederholungen, nichts als Wiederholungen, oder geschmacklose Übertreibungen, welche die menschliche Gestalt entstellen, statt sie zu verschönern!«
»Eure Majestät werden selbst eine Idee für die Saison angeben müssen,« sagte die Herzogin lächelnd, »Sie können wirklich nicht verlangen, daß die armen Couturières schöpferische Gedanken haben. Sie find wie die Schauspieler, welche nur die Gedanken der Dichter in Szene setzen.«
Die Kaiserin dachte nach.
»Weißt du, liebe Anna,« sagte sie dann, »wir müssen mit den weiten Roben ein Ende machen, die Übertreibungen haben diese Mode wirklich abscheulich gemacht! – Und dann,« fuhr sie fort, »wir werden in diesem Sommer die Ausstellung haben, man wird viel gehen müssen, um diese Wunder der Kunst und Industrie der ganzen Welt zu betrachten.