Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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von ihren Wimpern.

      »Du hast mir noch so wenig von deiner Vergangenheit, deiner Kindheit erzählt!« sprach er leise.

      »Oh, daß ich sie vergessen könnte,« rief sie, »und nur der Gegenwart leben! – Vielleicht könnte ich es« – fuhr sie düster und traurig fort, »wenn diese Gegenwart eine Zukunft hätte, aber so –! – Was soll ich dir von meiner Vergangenheit erzählen?« sagte sie nach einer Pause, während welcher sie den Blick traurig in den Schoß senkte. »Sie ist einfach, ein Bild Grau in Grau! – Ich weiß,« fuhr sie fort, »daß Italien mein Vaterland ist, ich weiß es nicht nur, weil man es mir gesagt hat, weil in der sanften, gesangreichen Sprache Dantes und Petrarcas die ersten Laute von meinen Lippen klangen, nein, ich weiß es,« rief sie mit strahlendem Blick, »weil ich in meinem Herzen trage jenen reinen, blauen Himmel, jenes schimmernde Meer mit dem flüsternden Rauschen feiner sanften Wellen, mit dem brausenden Donner seiner zürnenden Brandung – weil ich sie mit dem Auge der Seele vor mir sehe, jene dunklen, schattigen Haine, jene Marmorpaläste, jene schimmernden Statuen, weil ich vor Sehnsucht vergehe, die Lippen auf den heiligen Boden meines Vaterlandes zu drücken, zu sterben, um in dieser Erde zu ruhen.«

      Sie schwieg und blickte abermals träumerisch vor sich hin. Er küßte schweigend ihre Hand.

      »Und mit dieser Sehnsucht im Herzen,« fuhr sie fort, »die Seele erfüllt von diesen Bildern, die immer deutlicher, immer mächtiger in mir heraufstiegen, je mehr ich älter wurde und mich entwickelte – mußte ich hier in diesem lärmenden, staubigen, unruhigen Paris leben, allein mit der Trauer meines Herzens«

      »Aber deine Eltern, deine Mutter?« fragte der junge Mann.

      Sie sah ihn tief in die Augen und senkte dann schmerzlich den Blick.

      »O,« rief sie, »mein Freund – das ist das Allerschmerzlichste! – Mein Herz sehnte sich danach, meine Mutter lieben zu können, es drängte ihr entgegen mit allen seinen Schlägen – aber es fand weder Liebe noch Verständnis. Meine Mutter hatte keine Zeit für ihr Kind in dem unruhigen, unstäten Leben, das wir führten, bald in Überfluß und regelloser Verschwendung, bald in dürftiger Not –«

      Sie senkte errötend das Haupt.

      »Mein Vater,« fuhr sie dann fort, »sorgte für mich mit treuer Teilnahme, er hielt mir Lehrer und ließ mich ausbilden, so gut er es vermochte, immer hatte er, auch in den bedrängtesten Zeiten, die Mittel übrig, die notwendigen Kosten meiner Erziehung zu bestreiten und dies war der einzige Punkt, in welchem er, sonst so weich, so nachgiebig, meiner Mutter mit unbeugsamem Ernst entgegentrat. Ich liebte ihn dafür, mein Herz suchte sich an ihn zu schließen, aber – so treu und unablässig er für mich sorgte, ebenso unnahbar blieb er der Zärtlichkeit meines Herzens. Es lag wie eine ängstliche Scheu in seinem Blick, wenn er mich ansah, und oft wendete er sich zitternd und tränenden Auges ab, wenn ich an ihn herantrat und ihm mit einem Worte der Liebe und Dankbarkeit die Hand küßte. – So blieb ich einsam,« sagte sie traurig – »und lebte in mir selbst und mit mir allein ein stilles Leben, dessen Angelpunkt die ewige unbezwingliche und unerfüllte Sehnsucht nach dem fernen Lande meiner Geburt blieb, die Sehnsucht nach der Lösung eines Rätsels, das mein einsames und einförmiges Leben umgab!«

      »Arme Julia!« sagte er innig.

      »Als ich herangewachsen war.« fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, »änderte sich das Benehmen meiner Mutter gegen mich; sie beobachtete mich, sie achtete auf meine Toilette, auf mein Benehmen, sie ließ sich von mir vorsingen und lobte meine Stimme, sie ordnete meine Haare und sprach über die Farben, welche mir am besten ständen, aber es war keine Teilnahme, die mir wohltat, sie war kalt und ohne Liebe und sie erschreckte und ängstigte mich. – Bald nahm sie mich mit, wenn sie ausging, sie führte mich ins Bois de Boulogne, wenn dort ganz Paris sich versammelte, in die Theater, so oft sie die Ausgabe machen konnte, sie rief mich in ihr Zimmer, wenn dort fremde Herren waren, sonst hatte sie mich hinausgeschickt, wenn Besuche zu ihr kamen, sie ließ mich vorsingen, man sagte mir, daß ich Talent und gute Stimme habe, daß ich schön sei, aber in einer Weise, die mich ängstigte, verletzte, entsetzte! So kam es,« fuhr sie leiser fort, indem ein halb scheuer, halb liebevoller Blick zu ihm hinüberstreifte, »daß du mich an jenem Abend in der avant scène-Loge des Variété-Theaters fandest, du weißt, wie leicht es dir gemacht wurde, dich mir zu nähern –«

      »Und bereust du das?« fragte er liebevoll, indem er sanft seinen Arm um ihre Schultern legte.

      Sie bog sich zu ihm hin, ließ den Kopf an seine Brust sinken und weinte leise.

      »Ich liebte dich,« flüsterte sie, »aber glaubst du, daß meine Mutter unsere Liebe begünstigte, glaubst du nicht, daß sie mich ebenso dir entgegengeführt, mich in deine Arme gedrängt haben würde, wenn ich dich nicht geliebt hätte, wenn mein einsames Herz nicht dem deinen entgegengeschlagen hätte? – O!« rief sie und Schluchzen erstickte ihre Stimme, – »für sie genügte es, daß du der reiche Kavalier warst, der ihre Tochter kaufen konnte!«

      Er schwieg und voll Wehmut ruhte sein treuherziges Auge auf der schlanken, in seinem Arm zusammengebrochenen Gestalt. »Wenn ich so an deinem Herzen ruhe,« sagte sie dann, »so vergesse ich das alles und mir ist zu Mute so voll Glück, wie es der im Schatten erwachsenen Blume sein muß, wenn sie, in frische Erde verpflanzt, in sonnenwarmer Luft ihren Kelch erschließen kann, aber wenn ich dann wieder daran denke, was das alles eigentlich ist, daß alles, was mich umgibt, dieser Luxus, diese Eleganz, die mir so wohltut, daß dies alles nicht ein Geschenk der Liebe ist, sondern – o dann möchte ich fliehen, fliehen in die Einöde, fliehen in die Stille des Klosters, in den ewigen Frieden des Todes. – Und was bleibt mir anderes für die Zukunft?« rief sie lauter, indem sie sich rasch aufrichtete und ihm schmerzvoll in die Augen sah, »welche Zukunft hat der Traum des Augenblicks, als das Erwachen zur ewigen Nacht, einer Nacht, um so fürchterlicher, als mein Herz den Strahl des Lichtes gefühlt hat! – Du wirst zurückkehren in deine Heimat, zu den deinen, du wirst in reichem Leben den kurzen Traum unserer Liebe vergessen und ich – soll ich den Weg gehen, den so viele andere gehen, und der hinabführt zum ewigen Abgrund? – Und was kann mich schützen vor diesem Wege des lächelnden Verderbens? – Nicht die Hand der Mutter, die mich vorwärts drängen wird, nur der Schleier der Nonne oder das Grab!«

      Immer tiefer hatte sich sein Auge verschleiert bei dem leidenschaftlichen Schmerz des jungen Mädchens.

      »Arme Julia,« sagte er nochmals leise und sanft, »welche traurigen Jugenderinnerungen! – Sieh',« fuhr er fort, »meine Jugendzeit war auch einsam und einförmig, aber doch so reich und glücklich!« – und sein helles, klares Auge schien in mildem Schimmer in die Ferne zu blicken. – »Dort oben,« sagte er, »nah dem Strande der Ostsee, liegt mein väterliches Gut, ein altes Schloß, mit dem Blick auf die weißen Dünen und das rollende Meer, umgeben von ernsten, duftigen, immergrünen Tannenwäldern. Dort verfloß meine Jugend still und einsam, denn ich bin der einzige Sohn – unter den Äugen eines strengen, ernsten Vaters und einer liebevollen, sanften Mutter; ein Hauslehrer unterrichtete mich, und in den freien Stunden war es meine höchste Lust, die dunklen, rauschenden Tannenwälder zu durchstreifen oder auf den Dünen zu ruhen, in das weite Meer zu blicken und der ewigen Melodie zu lauschen, welche seine Wellen ertönen ließen, bald in leichtem, kräuselndem Spiel, vergoldet vom lichten Sonnenglanz, bald in gewaltigem, brausenden Ringen mit den schwarzen Wolken und den tosenden Stürmen.«

      Das junge Mädchen war vor ihm auf die Knie niedergesunken, faltete die Hände auf seinem Schoß und blickte mit den großen, dunklen Augen zu ihm auf, welche noch durch den leichten schimmernden Duft der Tränen feucht verhüllt waren.

      »Auch meine Jugend war voll von Träumen,« fuhr er fort, »aber sie suchten nicht, wie die deinen, die Ferne, sie schweiften nicht zum leuchtenden Süden hin, nicht zu den Myrten und Orangenhainen, nein, meine Träume bevölkerten die ernsten Wälder und die stillen Dünen mit den gewaltigen Gestalten der alten Nordlandsgötter, mit den Helden jener Sagen, die nicht süß berauschen, wie die Mythen deines Vaterlandes, sondern die klirrend in die Seele tönen im Waffenklange gewaltiger Kämpfe! – Und dann folgte ich den Spuren, welche jener großartig mächtige, ernste Orden, der von Palästina über Venedig nach den Bernsteinküsten zog und dort ein blühendes, wunderbares Reich schuf, überall