Rasch ergriff sie den Crayon und eines der auf dem Tische liegenden Blätter.
»Ich danke Ihnen, Baron de Pierres,« rief sie lebhaft, »nicht nur für dieses schöne Andenken, ich danke Ihnen auch für eine Inspiration, welche die Erinnerung an die unglückliche Königin mir eingibt!«
Und mit gewandter Hand warf sie eine Zeichnung in flüchtigen Linien auf das Papier.
»Wir suchten eine Mode für die Saison, liebe Anna,« sagte sie, »die größte Schwierigkeit war es, bei einer engen und kurzen Robe die Büste angemessen zu bekleiden, die großen Schals, Mäntel und Umhänge, die wir jetzt tragen, passen nicht dazu, sie gehören zu dem reichen Faltenwurf der weiten Roben. – Jetzt habe ich gefunden, was wir brauchen, sieh da,« rief sie, indem sie ihrer Freundin das Blatt hinhielt, »ein Tuch, wie es die unglückliche Königin trug, das wird die Frage lösen!«
»Scharmant ... anmutig und einfach!« rief die Herzogin, »das ist in der Tat eine Inspiration, für welche die Damen Europas dem Baron Dank wissen werden,« fügte sie lächelnd hinzu.
»Komm her,« rief die Kaiserin aufstehend, »wir wollen uns sogleich eine Idee davon machen!«
Und sie nahm einen Kaschemirschal, welchen die Herzogin neben sich gelegt hatte, faltete ihn ein wenig zusammen und legte ihn um die Schultern ihrer Freundin, dann knüpfte sie die beiden Enden hinten auf der Taille zusammen, ganz in der Weise, wie man es auf den Bildern der erhabenen und edlen Gefangenen des Temple und der Conciergerie sieht.
»Wie finden Sie das, Baron?« fragte die Kaiserin, indem sie Frau von Mouchy von allen Seiten betrachtete.
»Reizend,« rief der Baron de Pierres, »es wäre in der Tat, fuhr er sich verbeugend fort, »auch unmöglich, daß eine Toilette nicht reizend sein sollte, die Eure Majestät arrangieren und die die Frau Herzogin trägt!«
»Und dies soll die Mode der Saison sein,« rief die Kaiserin, »alle Damen sollen dem Andenken der unglücklichen Königin diese Huldigung bringen – und die neue Mode, welche wir der Welt geben, soll heißen: Fichu Marie Antoinette!«
»Welche Chance,« rief der Baron lächelnd, »daß es mir vergönnt ist, bei diesem großen Akt gegenwärtig zu sein, welcher der ganzen schönen Hälfte des Menschengeschlechts ein neues Gesetz gibt!«
Ein kurzer Schlag ertönte an der Tür.
Der Kammerdiener öffnete dieselbe, und der erste Kammerherr der Kaiserin, Herzog Tascher de la Pagerie, trat ein.
»Der Graf Rivero,« sprach er, »dem Eure Majestät die Ehre einer Audienz bewilligt haben, steht zu Ihren Befehlen.«
»Ich will den Grafen nicht warten lassen,« sagte die Kaiserin aufstehend, »führen Sie ihn sogleich herein, mein lieber Herzog! – nachher habe ich Ihnen noch Verschiedenes zu sagen,« fügte sie mit verbindlichem Lächeln hinzu.
Dann grüßte sie Herrn de Pierres leicht mit dem Kopf.
»Auf Wiedersehen, lieber Baron, auf Wiedersehen, meine Teure!« und sie reichte der Herzogin die Hand, welche diese an ihre Lippen drückte.
Baron de Pierres und Frau von Mouchy verließen den Salon. Der Herzog Tascher de la Pagerie führte den Grafen ein, stellte ihn der Kaiserin vor und zog sich dann wieder zurück.
Der Graf trug schwarzen Frack und weiße Kravatte, den Stern des Piusordens auf der Brust.
Er verneigte sich tief, trat mit leichtem und freiem Anstand bis auf drei Schritte vor die Kaiserin hin und erwartete in vollkommenster Haltung ihre Anrede.
Der Blick der Kaiserin umfaßte mit prüfendem Ausdruck diese ruhige, kalte und vornehme Erscheinung. Indem sie mit einer Neigung des Hauptes den ehrerbietigen Gruß des Grafen erwiderte, sprach sie mit freundlichem Lächeln:
»Ich freue mich, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen, Herr Graf, meine Verwandten in Italien haben mir so unendlich viel Vortreffliches über Sie geschrieben, daß ich in der Tat gespannt war, einen Mann mit so vielen außergewöhnlichen Eigenschaften kennen zu lernen.«
»Ich fürchte, Madame,« sagte der Graf ruhig, »daß diese hohen Personen, auf deren Wohlwollen ich stolz bin, mir keinen guten Dienst geleistet haben, wenn sie in ihrer freundlichen Liebenswürdigkeit ein zu vorteilhaftes Bild von mir entworfen haben, Eure Majestät werden dann vielleicht um so mehr bemerken, wie weit die Wirklichkeit hinter diesem Bilde zurückbleibt. – Eine Eigenschaft aber kann ich mit Recht für mich in Anspruch nehmen,« fuhr er fort, »das ist der ernste und kräftige Willen, mit aller Energie der Sache der heiligen Kirche zu dienen, welcher auch Eure Majestät Ihren mächtigen Schutz unausgesetzt zuwendet.«
»Und welche trotz dieses Schutzes immer mehr bedrängt wird,« sagte die Kaiserin seufzend. »Sagen Sie mir, Herr Graf,« fuhr sie fort, indem sie sich niederließ und dem Grafen mit der Hand den Fauteuil bezeichnete, welchen die Herzogin von Mouchy vorher eingenommen hatte, »sagen Sie mir ein wenig, wie stehen die Dinge in Italien, was hoffen Sie, ober was fürchten Sie für die Sicherheit des heiligen Stuhls und des Patrimoniums Petri?«
»Ich hoffe alles – und ich fürchte alles, Madame,« antwortete der Graf, »je nachdem Frankreichs Hand schützend über Rom ruht oder sich davon abzieht. Wenn Frankreich, wenn der Kaiser,« sagte er, indem sein Auge sich mit einem vollen und tiefen Blick auf sie richtete, »sich stets erinnert, daß der Herrscher dieses schönen und mächtigen Landes das edle Vorrecht hat, sich den ältesten Sohn der Kirche zu nennen –«
»Und halten Sie es für möglich,« unterbrach ihn die Kaiserin lebhaft, »daß man hier dieses Vorrecht vergessen könnte und die Pflichten, welche dasselbe uns auflegt?«
»Madame,« sagte der Graf ruhig und ernst, »die Zukunft ist mir verborgen und es ziemt mir nicht, prophetische Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen, welche mir zeigt, daß französische Waffen bei Solferino die alten Dämme des Rechts niederwarfen und es möglich machten, daß die schwer zu beherrschenden Wellen dieses Königreichs Italien jetzt drohend an den Fuß des Felsens Petri schlagen.«
Die Kaiserin senkte den Kopf und glättete leicht mit der feinen Hand eine Falte ihrer Robe.
»Wenn ich aber,« fuhr der Graf fort, »trotz Solferino – vielleicht wegen Solferino und seiner Folgen – überzeugt bin, daß Frankreich sich seiner Pflichten gegen den heiligen Stuhl jetzt lebhafter erinnert als je, so beruht dessen Sicherheit doch noch auf der weiteren Frage, ob es die Macht haben werde, jene Pflichten zu erfüllen.«
In stolzer Bewegung warf die Kaiserin den Kopf empor. Ein flammender Blitz aus ihren großen Augen traf den Grafen.
»Ob Frankreich die Macht habe, Rom zu schützen?« fragte sie mit einem Tone voll Verwunderung und Unmut.
Der Graf verneigte sich leicht, ohne den Blick zu senken.
»Ich kenne die Macht Frankreichs, Madame,« sagte er, »sie ist sehr groß – aber es kommt darauf an, ob man sie zur rechten Zeit und nach der rechten Seite hin gebraucht, oder ob man sie in falscher Weise nach falschen Richtungen erfolglos verschwendet.«
Zum zweiten Male senkte sich der Blick der Kaiserin zu Boden.
»Sie sind ein strenger Kritiker, Herr Graf,« sagte sie nach einigen Augenblicken mit etwas gedämpfter Stimme, in welcher eine leichte Nuance von Verdruß wiederklang.
»Es wäre Eurer Majestät – und meiner unwürdig,« erwiderte Graf Rivero, »wollte ich Ihre Frage mit Gemeinplätzen beantworten, jedenfalls ist meine Kritik, welche Eure Majestät scharf nennen, gewiß bei weitem nicht so streng als diejenige, welche die Geschichte mit unerbittlicher Logik und Konsequenz ausübt.«
Das Auge der Kaiserin erhob sich langsam und ruhte einen Augenblick wie erstaunt auf dem ruhigen, edlen Gesicht dieses Mannes, der damit begann, ihr Wahrheiten zu sagen, an welche ihre Umgebung sie wenig gewöhnt hatte.
Dann sagte sie mit fester Stimme:
»Sie haben recht, Herr Graf! – Wir sprechen über ernste Dinge, und es wäre töricht, die Gedanken zu verschweigen