»Fahren Sie mit mir zum Schießen, meine Herren!« rief der Herzog von Hamilton, »man sieht Sie ja nirgends mehr, Herr von Grabenow« – er sprach diesen deutschen Namen nach englischer Weise aus – »Sie werden zum Einsiedler!«
»Lassen Sie mich meine Zigarre konsultieren,« sagte der junge Mann, »ob ich es wagen kann, mit so guten Schützen wie Sie zu konkurrieren.« – Und mit artiger Verbeugung gegen den alten Baron Vatry wendete er sich zur Tür.
»Sie rauchen ebenfalls, Herr Graf?« fragte er den Grafen Rivero, welcher aufgestanden war und sich anschickte, ihn zu begleiten.
»Ich will im Lesezimmer ein wenig die Journale durchblättern,« erwiederte der Graf.
Beide hatten den Speisesalon verlassen.
»Ich will Ihnen aufrichtig gestehen,« sagte der junge Herr von Grabenow, als sie draußen waren, »ich habe meine Rauchpassion nur zum Vorwand genommen, um fortzugehen, ich möchte nicht unter jene Gesellschaft geraten, von der man so leicht nicht wieder losgelassen wird.«
Ein Lakai überreichte dem Grafen auf einer silbernen Platte einen Brief.
»Der Kammerdiener des Herrn Grafen hat soeben dies Billett hierher gebracht.«
Der Graf warf einen schnellen Blick auf das Kuvert, auf welchem man in blauem Druck las: Maison de S. M. I'Impératrice, Service du premier Chambellan.
»Haben Sie einige Minuten übrig, Herr von Grabenow?« fragte er.
»Gewiß, mit Vergnügen,« erwiderte dieser.
»Ich habe meinen Wagen fortgeschickt, wollen Sie mich vor meiner Wohnung in der Chaussee d' Antin absetzen? – es ist wenige Schritte von hier.«
»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Herr Graf.«
Beide Herren stiegen die breiten Treppen hinab, auf einen Wink des Portiers fuhr das elegante, kleine Coupé des Herrn von Grabenow vor und beide Herren stiegen ein.
Nach wenigen Augenblicken verabschiedete sich Graf Rivero von dem jungen Manne vor seinem Hause in der Chaussee d'Antin.
Herr von Grabenow rief seinem Kutscher die Nummer eines Hauses in der Rue Notre Dame de Lorette zu und in raschem Trabe eilte der leichte Wagen durch das Treiben der Equipagen auf den Boulevards und hielt nach kurzer Zeit vor einem großen Hause in der genannten Straße. Der junge Mann verließ das Coupé, befahl dem Kutscher zu warten und stieg die nicht zu breite, aber reine und saubere Treppe hinauf.
Der Vorflur der ersten Etage war durch eine große Wand von undurchsichtigem, weißen Glase verschlossen und hatte zwei Eingänge, an deren jedem ein Glockenzug mit gläsernem Knopfe sich befand.
Unter dem einen dieser Glockenzüge sah man ein Schild von Porzellan, auf welchem in einfacher, schwarzer Schrift geschrieben war: Mr. Romano. Der andere Glockenzug hatte keinen Namen.
Der junge Mann zog lebhaft den letzteren.
Eine ältere Dienerin, halb Kammerfrau, halb Haushälterin, öffnete. Herr von Grabenow trat in das kleine Vorzimmer.
»Fräulein Julia zu Hause?« fragte er – und ohne die Antwort der sich freundlich verneigenden Dienerin abzuwarten, wendete er sich rasch zu einer links vom Eingange befindlichen Flügeltür, öffnete dieselbe und trat in einen hellen, mittelgroßen Salon mit allem jenen reizenden und anmutigen Komfort ausgestattet, welchen der französische Geschmack in dem Innern der Wohnungen herzustellen weiß.
In einem tiefen, mit lichtblauer Seide überzogenen Fauteuil, welchen eine Gruppe großer Blattpflanzen, untermischt mit Rosen und Heliotrop, umgab und fast versteckte, lag anmutig zurückgelehnt ein junges Mädchen in einfacher grauer Haustoilette.
Ihre klassisch schön geschnittenen Züge, überhaucht vom duftigen Schmelz der ersten Jugend, hatten jenen wunderbar reizenden bräunlichen Teint der Italienerinnen aus den südlichen Teilen der Halbinsel, das glänzende, kohlschwarze Haar lag glatt gescheitelt und in reichen Flechten geordnet um das Haupt, ohne eine Spur jener extravaganten Coiffüren, welche um jene Zeit die französischen Damen auf ihren Köpfen zur Schau zu tragen begannen. Ihre großen, mandelförmig geschnittenen Augen blickten träumerisch nach oben, die schönen Hände ruhten gefaltet auf einem Buch in ihrem Schoß, in dessen Lektüre ihre eigenen Gedanken sie unterbrochen zu haben schienen. – Und wehmütig und schmerzlich mußten diese Gedanken sein, denn ein leises Zucken bewegte die frischen, roten Lippen, und in den langen, weit übergebogenen Augenwimpern blinkte der zitternde Schimmer einer Träne.
Bei dem Eintritt des jungen Mannes glänzte ein lichter Strahl in ihrem Blick, den sie rasch der Türe zuwendete, und ein liebliches Lächeln umspielte ihren Mund, ohne indes ganz die schmerzlichen Linien verwischen zu können, welche denselben vorher umzogen hatten. Herr von Grabenow eilte auf sie zu.
»Ich kann nicht lange fern von meiner Julia bleiben,« rief er, sie mit entzücktem Auge betrachtend, indem er einen Arm auf den Fauteuil über ihrem Kopf stützte und mit den Lippen ihre Stirn berührte, »ich habe mich losgerissen von meinen Freunden, um hierher zu eilen.«
Und er zog einen Sessel heran, setzte sich vor sie und blickte ihr innig und liebevoll in die Augen, indem er ihre Hände an sein Herz drückte.
Sie folgte allen seinen Bewegungen mit einem träumenden, schwärmerischen Blick und sagte leise: »Wie wohl ist mir, wenn du da bist; wenn ich in deine klaren, reinen Augen blicke, so meine ich, jenen herrlichen, blauen Himmel meines Vaterlandes zu sehen, welcher mir nur als unmündiges Kind gelächelt hat, und den ich doch liebe und voll Sehnsucht im Herzen trage.«
»Und doch bist du traurig?« rief er, ihre Hand küssend, »sieh', wie schön diese herüberhängende Rose zu deinem dunkeln Haare paßt, sie scheint darum zu bitten, daß sie dich schmücken dürfe.«
Und er streckte die Hand nach einer bis zur Lehne des Fauteuils herabhängenden Moosrose aus, welche sich anmutig an die dunklen Flechten ihres Haares lehnte.
»Laß die Blume,« rief sie fast ängstlich, »warum ihr kurzes Blütenleben zerstören, für mich paßt kein Blütenschmuck,« fügte sie leise hinzu, indem sie die Hand wie abwehrend erhob.
Aber schon hatte er sich erhoben und die schöne, halb erblühte Rose ergriffen, um sie zu brechen. Plötzlich zuckte er mit leisem, unwillkürlichen Schmerzenslaut zusammen, die Rose fiel in den Schoß des jungen Mädchens.
»Non son rosa senza spine!« rief sie lächelnd, aber mit trauriger Stimme, indem sie die Blume erhob und sinnend betrachtete.
»Doch, meine Geliebte,« sagte er, »hier ist eine Rose ohne Dorn!« Er steckte die Blume leicht in die glänzend, schwarze Flechte ihres Haares und sah sie mit glückstrahlendem Blick an.
Sie seufzte tief.
»O,« rief sie mit schmerzlichem Ton, »wie scharf und schneidend ist der Dorn – in diesem Herzen, das für dich blüht, nur richtet er sich nicht nach Außen, wie bei der blühenden Rose, sondern mit bitterem Schmerz dringt er mir tief in die eigene Brust!«
»Und wie heißt der schlimme Stachel, der dich quält, selbst in meiner Gegenwart?« fragte er mit dem Tone leisen, liebevollen Vorwurfs.
Sie richtete sich empor – sah ihm mit ihrem tiefen, dunklen Blick lange in die offenen, lichten Augen und sprach langsam und ernst:
»Die Blüte meines Lebens, das ist die Gegenwart, der Gedanke an die Vergangenheit und der Gedanke an die Zukunft – das, was andere glückliche Menschen Erinnerung und Hoffnung nennen, das sind die scharfen, schneidenden Dornen! Wie bald wird die Blüte verwelkt sein, und meinem Herzen werden nur die Dornen bleiben! – Du hast eine Vergangenheit,« sprach sie, ihn innig anschauend, »du hast die Erinnerung an eine glückliche Kindheit, du hast die Hoffnung – die Zukunft – was habe ich?« flüsterte sie mit unsäglich schmerzlichem Ton und eine Träne verhüllte den Blick ihres in bläulichem Schwarz schimmernden Auges.
Der junge Mann schwieg,