»Man sieht Sie so wenig in letzter Zeit, mein lieber Herr von Grabenow – bei Ihrem Alter,« fügte er mit einem halb schalkhaften, halb melancholischen Lächeln hinzu, »ist es überflüssig, zu fragen, welche Geschäfte Sie in Anspruch nehmen.«
Ein flüchtiges Rot überflog die Stirne des jungen Mannes und mit einiger Hast erwiderte er: »Ich war nicht ganz wohl, leicht erkältet und mein Arzt hatte mir verordnet, mich sehr zu schonen.«
Der Graf nahm eine goldbraune Seezunge, welche man ihm servierte, und sprach, indem er den Saft einer Zitrone darauf träufelte, mit scherzhaftem Ton:
»Deshalb begegnete ich Ihnen auch wohl neulich im Bois de Boulogne in der Nähe der Kaskaden in einem verschlossenen Coupé mit einer – ohne Zweifel älteren Dame, welche Sie in Ihrer Krankheit pflegt – leider,« fuhr er lächelnd fort – »war das Gesicht Ihrer Duenna in so dichte Schleier gehüllt, daß ich nichts davon sehen konnte.«
Herr von Grabenow warf aus seinen großen, fast noch kindlich reinen, blauen Augen einen schnellen, erschrockenen Blick auf den Grafen.
»Sie haben mich gesehen?« fragte er schnell.
»Ich ritt dicht an Ihrem Wagen vorüber,« erwiederte der Graf, »aber Sie waren so sehr in die Unterhaltung mit Ihrer – Krankenwärterin vertieft, daß es mir unmöglich war, Sie zu grüßen.«
Und er schenkte sich aus einer größeren Kristallkaraffe ein Glas jenes leichten, duftigen St. Emilion ein, dieser so selten rein zu findenden Perle aller edlen Rebengewächse von Bordeaux.
»Herr Graf,« sagte der junge Mann nach einem augenblicklichen Nachdenken, indem er mit treuherzigem Ausdruck hinüberblickte, – »ich bitte Sie herzlich, niemand sonst etwas von Ihren Beobachtungen mitzuteilen, ich möchte nicht, daß diese Sache Gegenstand der Bemerkungen – und der Nachforschungen der andern würde – Sie wissen, welche Ansichten und Grundsätze sie alle haben, und in diesem Falle passen dieselben nicht.« Der Graf blickte mit ernstem, teilnahmsvollen Ausdruck zu dem jungen Manne hinüber und ließ einen Augenblick seinen tiefen, dunkeln Blick in dessen klaren, blauen Augen ruhen.
»Meine Diskretion versteht sich von selbst,« sagte er dann mit leichter Neigung des Hauptes, »nur möchte ich Ihnen raten,« fuhr er mit freundlichem, wohlwollenden Lächeln fort, »künftig die Vorhänge Ihres Coupés zu schließen, denn nicht bei allen Ihren Bekannten könnten Sie der Diskretion so sicher sein, als bei mir.«
Herr von Grabenow blickte ihn mit dankbarem Ausdruck an.
»Und dann,« fuhr der Graf Rivero nach leichtem Zögern fort, »verzeihen Sie dem viel älteren Manne eine Bemerkung, welche nur in meiner aufrichtigen Teilnahme für Sie ihren Grund hat. Es gibt der künstlichen Schlingen so viel in Paris – und diejenigen sind oft die gefährlichsten, welche sich mit den bescheidenen Blüten unschuldiger Gefühle umwinden.«
Der junge Mann sah ihn groß mit ein wenig betroffenem Ausdruck an.
»Lassen Sie meine Bemerkung eine ganz allgemeine sein,« sagte der Graf, indem er die Hülle einer kleinen cotelette en papillote löste, welche der Lakai ihm darbot, »und erinnern Sie sich derselben bei entsprechender Gelegenheit.«
Herr von Grabenow sah ihn freundlich an, seine Erwiederung wurde abgeschnitten durch den Eintritt eines alten Herrn von ungefähr siebenzig Jahren im Reitanzug, welcher mit noch ziemlich fester und elastischer Haltung eintrat.
Herr von Grabenow und der Graf Rivero erhoben sich leicht zu seiner Begrüßung mit jener Courtoisie, welche eine gut erzogene Jugend stets dem höheren Alter entgegenbringt.
»Sieh' da, meine Herren,« rief der Eingetretene, indem er Hut und Reitpeitsche abgab und mit der Hand grüßte, »Sie sind beneidenswert – so frühstückt man nur in der glücklichen Zeit, da Magen und Herzen jung sind, später erfordert die gebrechliche Maschine eine andere Diät.«
Und er nahm von einem silbernen Teller, welchen der Haushofmeister ihm präsentierte, ein Glas Madeira und eine Schnitte jenes weichen, zarten Gebäckes, welches unter dem Namen Madeleines de Commercy unter den vielen vortrefflichen Dingen, welche die Provinzen Frankreichs ihrer Hauptstadt liefern, einen nicht geringen Rang einnimmt.
»Der Herr Baron von Vatry will uns verhöhnen,« sagte der Graf Rivero, »indem er von den Leiden des Alters spricht; ich habe Sie gestern einen Fuchs reiten sehen, Herr Baron, dessen Temperament mir Schwierigkeiten gemacht hätte, und den Sie mit bewundernswerter Leichtigkeit und Sicherheit führten. – Sie spotten der Herrschaft der alles bezwingenden Zeit!«
Der alte Herr lächelte geschmeichelt und sagte: »Leider ist diese Herrschaft unabänderlich und unterwirft uns endlich doch, wir mögen uns noch so lange dagegen sträuben.«
Während er seine Madeleine in den Madeira tauchte, öffnete sich schnell die Türe und in rascher Bewegung trat ein ganz junger, äußerst elegant, aber ein wenig stark nach Mode gekleideter Mann ein, dessen blasses, etwas ermüdetes und abgespanntes Gesicht unverkennbar den Typus vornehmer englischer Rasse trug.
»Woher so eilig, Herzog von Hamilton?« fragte Herr von Vatry, »zu dieser für Sie so frühen Stunde?«
»Ich bin gestern abend lange im Café Anglais gewesen,« rief der junge Herzog, indem er sich vor Herrn von Vatry verbeugte und die andern Herren mit der Hand grüßte, »wir haben ein herrliches Souper gehabt, äußerst amüsant, –
A minuit sonnant commence la fête,
Maint coupé s'arrète,
On en voit sortir
Des jolies messieurs, des dames charmantes,
Qui viennent pimpantes
Pour se divertir, –«
trällerte er, mit möglichst falscher Stimme das Lied der Metella aus Offenbachs »Vie parisienne« zitirend, »es war göttlich!«
»Daher cette mine blafarde,« rief Herr von Grabenow lachend, »das ist die Folge, wie Metella weiter singt.« –
»Jetzt aber,« sagte der Herzog, »will ich mit Poëze und einigen andern Pistolen schießen, wir haben gewettet, wer das Coeur-Aß fünfmal hintereinander trifft, da muß ich mir eine feste Hand machen in dieser frühen Morgenstunde durch ein vernünftiges Frühstück. – Kognak und Wasser,« rief er dem maître d'hotel zu – »und lassen Sie mir einige deaveld cotelets machen, ich habe dem Koch neulich das Rezept gegeben – aber viel Curry, immer noch mehr Curry; diese französischen Köche verstehen den englischen Gaumen nicht.«
Der Lakai präsentierte eine geschliffene Flasche Kognak und eine Karaffe Wasser, der Herzog füllte sein Glas zu gleichen Teilen mit beiden Flüssigkeiten und leerte es auf einen Zug.
»Ah,« rief er, »das ermuntert die Lebensgeister!«
»Apropos, Graf Rivero,« rief der Herzog, nachdem er das Glas geleert, »wer ist denn dieser neu aufgegangene Stern aus Ihrem Vaterlande, der seit einiger Zeit jeden Abend im tour du lac erscheint und alle Augen blendet durch ihre Schönheit und die Eleganz ihrer Equipagen? – Marchesa Pallanzoni hat man sie mir genannt – wissen Sie etwas von dieser strahlenden Schönheitskönigin?«
»Ich kenne die Dame ein wenig,« antwortete der Graf in ruhigem, gleichgültigem Ton, »da ich Relationen mit ihrer Familie habe, welche ein altes Geschlecht Italiens ist. – Ihren Gemahl kenne ich nicht, es soll ein sehr alter, kränklicher Mann sein, von dessen Pflege sich die junge, schöne Frau wohl ein wenig hier in Paris erholen will. Ich war einigemale in ihrem Salon und habe sie sehr geistvoll und angenehm gefunden.«
»Das nenne ich Chance!« rief der Herzog, – »dann können Sie mich also bei diesem wunderbaren Phänomen, das alle Herzen bezaubert, einführen?«
»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderte der Graf mit leichter Neigung des Kopfes – »die Marchesa empfängt, wenn sie zu Hause ist, jeden Abend.«
Inzwischen hatte man dem Herrn von Grabenow und dem Grafen Rivero in jenen kleinen, zierlichen Tassen