»Alles Große ist schwer, Sire,« sagte Doktor Conneau, »jedenfalls war es schwerer, Kaiser zu werden, als es zu sein.«
»Wer weiß?« sagte Napoleon träumerisch.
»Aber warum wollen Eure Majestät so trüben Gedanken folgen?« sprach Doktor Conneau, »Sie waren so stolz und kühn in den Tagen des Unglücks, des Kampfes, haben Sie das Vertrauen auf Ihren Stern verloren, der so glänzend zum Zenith heraufgestiegen ist?«
Napoleon senkte einen langen Blick in die Augen seines Freundes.
»Oft will es mir scheinen,« sprach er düster, »als ob dieser Stern seine Mittagshöhe überschritten habe und sich niedersenken wolle zum Abend – zur Nacht, wenn dieses junge Leben erlischt, das den neuen Morgen nach meines Tages Ende herausführen soll. – Die Geschichte meines Hauses lehrt mich,« fuhr er mit dumpfem Tone fort, »daß das Schicksal Wege hat, welche von Austerlitz nach St. Helena führen!«
»Sire, welch finsterer Geist umschwebt Sie!« rief Doktor Conneau, »ist denn nicht jener Märtyrerfelsen von St. Helena der Grundstein des so glänzend wieder erstandenen Kaiserthrones geworden? – Sire, wenn die Welt hören könnte, welche Gedanken den mächtigen Herrscher des großen Frankreichs erfüllen –«
»Sie wird es nicht,« rief der Kaiser sich stolz aufrichtend, indem seine Züge den gewohnten ruhigen Ausdruck wieder annahmen, »diese Gedanken bleiben hier in der Brust des Freundes! – Conneau,« sagte er sanft, und ein unendlich anmutiges, fast kindlich freundliches Lächeln erhellte seine vorher so düsteren Züge, »ich habe doch einen Vorzug vor meinem Oheim; er lernte seine wahren Freunde erst in den späten Tagen des Unglücks kennen – ich habe sie vorher erprobt und weiß auf dem Thron, wer in der Verbannung an meiner Seite war.«
Und er reichte dem Leibarzt die Hand.
Dieser blickte mit feuchtem Auge zum Kaiser hin und sprach:
»Ich bitte Gott, daß das Glück Eurer Majestät ebenso treu bleibe, wie das Herz Ihrer Freunde.«
»Und nun gehen Sie, Conneau,« sagte Napoleon nach einer augenblicklichen Pause, »eilen Sie, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um das Leben des Prinzen zu retten, ich will arbeiten, um seinen künftigen Thron zu befestigen. – Noch eins,« rief er dem der Tür zuschreitenden Arzte zu, indem er einen Schritt zu ihm hintrat, niemand darf wissen, daß dem Prinzen irgendeine Gefahr droht, schon deshalb muß er fort, um aller Beobachtung zu entgehen. Niemand, Conneau! auch die Kaiserin nicht, sie würde ihren Kummer, ihre Sorge nicht verbergen können, auch mein Vetter Napoleon nicht,« fügte er hinzu, indem sein scharfer Blick sich tief in das Auge des Arztes tauchte.
»Seien Sie unbesorgt, Sire,« sagte dieser, »ich weiß die Geheimnisse des Kaisers zu bewahren!«
Und den nochmaligen herzlichen Händedruck des Kaisers erwidernd, schritt er der Tür zu und verließ das Kabinett.
Napoleon blieb allein.
Er ging einige Male langsam im Zimmer auf und nieder.
»Will das Schicksal sich wirklich gegen mich wenden?« sprach er nachdenklich, »sollte es wirklich so viel schwerer sein, sich auf der Höhe zu erhalten, als dieselbe zu erklimmen? – Und ist es die Hand des Schicksals,« fuhr er fort, »die sich gegen mich erhebt, habe ich nicht schwere Fehler gemacht? – Mexiko! – durfte ich mich in diese Unternehmung einlassen, ohne Englands sicher zu sein? – Die deutsche Katastrophe? – habe ich sie nicht herankommen lassen, da es noch Zeit war, sie zu beschwören? – Italien? war es richtig, vom Frieden von Zürich abzugehen und den Einheitsstaat erstehen zu lassen, der sich gegen mich erhebt und Rom verlangt, das ich ihm nicht geben kann, ohne die Kirche zu meinem Todfeind zu machen, ohne für immer den Einfluß Frankreichs auf der Halbinsel aufzugeben! – Und sind jene Carbonari zufrieden? – Bin ich sicher, daß nicht ein zweiter Orsini gegen mich die Hand erhebt? – Ja,« sprach er, sinnend vor sich hinblickend, »es waren große Fehler, die ich begangen habe, und ihre bösen Folgen stehen gegen mich auf! – Doch,« rief er nach einem augenblicklichen Nachdenken, indem ein Schimmer von Heiterkeit und Zuversicht über sein Gesicht flog, »es ist gut, daß diese peinliche Lage eine Folge meiner Fehler ist; menschliche Fehler kann menschlicher Wille und menschliche Klugheit verbessern und wieder gutmachen, aber des ewigen Fatums Hand ist unabänderlich und unerbittlich. – Wenn mein Sohn mir entrissen würde,« sprach er dann wieder düster, indem der Schimmer einer Träne die Wimpern seines Auges befeuchtete, »das wäre allerdings die Hand des Schicksals, aber für jetzt droht diese Hand nur, darum will ich so gut als möglich meine Fehler zu verbessern suchen, um das Schicksal zu versöhnen. – Dieser deutschen Frage gegenüber muß etwas geschehen, um der Welt und Frankreich insbesondere zu zeigen, daß meine Macht unvermindert dasteht, und daß so mächtige Veränderungen in den Verhältnissen Europas sich nicht vollziehen dürfen, ohne daß auch Frankreich in entsprechender Weise sich verstärkt, um das Gleichgewicht gegen die neue Macht zu erhalten.«
Er setzte sich in seinen Fauteuil und zündete an der daneben auf dem Tisch stehenden brennenden Kerze eine jener großen, aus den feinsten Blättern gewundenen Regaliazigarren an, welche für ihn eigens in der Havanna hergestellt wurden.
Während sein Blick sinnend den leichten, blauen Ringelwolken folgte, welche das Zimmer mit ihrem strengen, aromatischen Duft erfüllten, sprach er leise vor sich hin:
»Man rät mir zu großen Kombinationen und Koalitionen, um dies Werk von 1866 wieder zu zerstören. – Ist es das Interesse Frankreichs, das Interesse meiner Dynastie, ein so gefahrvolles Spiel zu unternehmen und in die nach den großen Gesetzen des nationalen Völkerlebens sich vollziehenden Ereignisse einzugreifen? – Wem würde ich nützen, wer würde es mir danken? – Nein,« sagte er lauter, »lassen wir jene Ereignisse ihren Entwicklungsgang gehen, die Stellung und das Prestige Frankreichs wird auch neben dem geeinten Deutschland in der Welt bestehen können, wenn ich nur auch in meine Wagschale die nötigen Gewichte zu legen verstehe. – Dieses Luxemburg ist das erste, das französische Belgien, ein neutralisierter Rheinstaat,« flüsterte er, »bei den weiteren Schritten zur Vereinigung Deutschlands werde ich vorsichtiger sein und mir meine Kompensationen vorher sichern! – Aber wird man in Berlin diese Erwerbung Luxemburgs zugestehen? – Man wird nicht so töricht sein, um dieser Frage willen mit mir zu brechen!« rief er aufstehend, »man hat wahrlich dort genug erreicht, um mir etwas wenigstens zu gewähren, dazu jetzt, wo meine Armee in ihrer verstärkten Organisation erheblich vorgeschritten ist.«
Er ergriff einen Brief, der auf dem Tische neben ihm lag, und blickte einige Augenblicke aufmerksam auf die eleganten, festen Schriftzüge, welche das stark glänzende Papier trug.
»Die Königin Sophie ist der geistreichste Politiker unserer Tage,« sagte er dann, »wie sie die feinsten Nüancen eines Gedankens versteht und erfaßt mit aller Feinheit der Frau und aller Klarheit des Mannes! – Sie glaubt nicht, daß die Frage so glatt sich löse, und befürchtet einen Konflikt –«
Er sann einen Augenblick nach und bewegte dann leicht eine kleine, neben ihm stehende Glocke.
»Ich lasse den Marquis de Moustier bitten,« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.
Der Minister trat ein. Napoleon erhob sich und begrüßte ihn mit leichtem Kopfneigen. Dann deutete er auf einen ihm gegenüberstehenden Sessel und ließ sich wieder bequem in seinen Fauteuil sinken, während der Marquis sein Portefeuille öffnete und mehrere Papiere aus demselben hervorzog.
»Sie sehen heiter aus, mein lieber Minister,« sagte der Kaiser lächelnd, indem er die Spitze seines langen Schnurrbartes leicht durch die Finger gleiten ließ, »bringen Sie mir gute Nachrichten?«
»Sire,« sagte der Marquis, indem er den Blick über ein Papier gleiten ließ, das er aus seinem Portefeuille genommen, »die Negoziation im Haag geht vortrefflich – Baudin berichtet, daß die Regierung dort entschlossen sei, um jeden Preis die Trennung Limburgs und