Der Doktor Conneau begrüßte den Marquis mit respektvoller Artigkeit und reichte dem General Favé freundlich die Hand.
»Herr Minister,« sagte er mit leichter Verbeugung, »ich bitte Sie, mir den Vorrang lassen zu wollen, ich werde Sie nicht lange zurückhalten, – ich möchte aber Seine Majestät nicht lange auf Nachrichten über das Befinden des kaiserlichen Prinzen warten lassen.«
Der Marquis von Moustier drückte durch eine verbindliche Neigung des Hauptes sein Einverständnis aus und fragte: »Und wie geht es dem Prinzen? – Sein Befinden,« fuhr er fort, »ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine sehr politische Frage, und ich muß mich daher doppelt dafür interessieren.«
»Der Prinz ist auf dem besten Wege zur vollständigsten Genesung, die Schmerzen in der Hüfte vermindern sich, und in kurzem wird er, wie ich hoffe, vollständig gesund sein,« erwiderte der Arzt mit zuversichtlicher Stimme, indes eine nicht ganz verschwindende Wolke auf seiner Stirn nicht durchaus mit dem Inhalt und Ton seiner Worte harmonierte.
»Das freut mich unendlich,« sagte der Minister, »Sie wissen, daß manche europäischen Kabinette und auch manche Parteien im Lande die Krankheit des Erben der Krone mit einer nicht sehr wohlwollenden Aufmerksamkeit verfolgen.«
»Es ist eine Folge des Scharlachfiebers,« sagte der Arzt ruhig, »welches das ganze Nervensystem des Kindes lebhaft erschüttert hat, wie das ja oft bei dieser Krankheit vorkommt. Es sind weiter keine ernsten Symptome vorhanden – und die Feinde des Kaisers und Frankreichs haben keinen Grund zu boshaften Hoffnungen.«
Die Tür des kaiserlichen Kabinetts öffnete sich – Napoleon III. erschien selbst in derselben und warf einen Blick in das Vorzimmer.
Mit leichter Neigung des Kopfes und freundlichem Lächeln erwiderte er die tiefen Verbeugungen des Ministers und des Leibarztes.
Der Kaiser war seit der Katastrophe des vergangenen Jahres sichtlich älter und leidender geworden. Der Winter hatte seine Gesundheit auf die Probe gestellt und ihn mit rheumatischen Leiden heimgesucht, deren schmerzhafte Affektionen sein überaus empfindliches und leicht erregbares Nervensystem angegriffen hatten. Die Spuren dieser nicht gefährlichen, aber schmerzhaften und peinlichen Leiden zeigten sich auf seinem Gesicht und in seiner Haltung, – und wie er dastand, leicht gebückt, den Kopf etwas zur Seite geneigt, da hatte das sanfte und verbindliche Lächeln, mit welchem er die Herren begrüßte, etwas Melancholisches, Schwermütiges, das bei einem Manne auf dieser Höhe der Herrschaft und Macht traurig berühren muhte.
Doktor Conneau näherte sich dem Kaiser und sprach:
»Ich komme vom kaiserlichen Prinzen, der Herr Marquis von Moustier will ein wenig Geduld haben,« fügte er mit einer Verbeugung gegen den Minister der auswärtigen Angelegenheiten hinzu.
Der Kaiser nickte dem Marquis lächelnd zu und sagte:
»Auf sogleich, mein lieber Minister!« –
Dann wandte er sich in sein Kabinett zurück.
Doktor Conneau folgte ihm.
Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen, verließ der lächelnde Ausdruck vollständig das Gesicht des Kaisers. Er setzte sich in einen tiefen Lehnstuhl, welcher neben seinem Schreibtisch stand, und stützte beide Arme auf die Seitenlehnen.
Der von Schleiern umhüllte Blick seines Auges trat wie ein Stern aus den Wolken einer Sommernacht leuchtend hervor und richtete sich auf den langjährigen Freund, welcher ruhig vor ihm stehen blieb.
Aber dieser Blick war traurig, angstvoll bekümmert. Dieses wunderbar belebte Auge, welches da plötzlich in dem sonst so undurchdringlichen, ewig gleichen Antlitz des Imperators erschien, und aus den Zügen des Kaisers die fühlende, in reichem Leben bewegte Seele des Menschen hervorblicken ließ, dieses Auge strahlte einen Strom weichen, elektrischen Lichts aus, die großen, weiten Pupillen schienen in wechselndem Farbenspiel zu schimmern und zu zittern und richteten sich mit dem Ausdruck banger Frage auf das ruhige Gesicht des Arztes, der mit inniger Teilnahme zu dem vor ihm sitzenden Kaiser herabsah.
»Wie geht es meinem Sohne, Conneau?« fragte Napoleon.
»Sire,« erwiderte der Leibarzt mit ernster Stimme, »ich habe die beste und begründete Hoffnung auf die baldige und vollständige Genesung, aber ich kann es Eurer Majestät nicht verhehlen, der Prinz ist noch sehr ernstlich krank!«
Das Auge des Kaisers trat noch leuchtender und brennender hervor und schien in der Seele des Arztes lesen zu wollen.
»Ist Gefahr für sein Leben da?« fragte er mit fast tonloser Stimme.
»Ich würde kindisch und lächerlich handeln und wäre nicht der Freund Eurer Majestät,« sagte Doktor Conneau, »wenn ich Ihnen in diesem Augenblick auch nur ein Atom meiner Gedanken vorenthielte. – Nach der schweren Krankheit, die der Prinz durchgemacht hat,« fuhr er mit ernster und fester Stimme fort, »ist eine Art von Anämie, eine Verdünnung der Blutsubstanz eingetreten, verbunden mit einer sensitiven Reizbarkeit der Nerven, welche wie eine zu starke Flamme die ohnehin schwache und sich nicht genügend wieder ersetzende Lebenskraft verzehrt. Alles kommt darauf an, ob die geheimnisvolle Arbeit der Natur aus dem unerschöpflichen Quell ihres Reichtums die rasch sich verzehrenden Kräfte wieder ergänzen und die regelmäßige Ökonomie des Organismus wiederherstellen wird. Mein Arzneischatz besitzt dafür kein Mittel, auch wäre es hochgefährlich, mit scharfen und differenten Präparaten in die stille Entwicklung dieser zarten Natur einzugreifen. Entwickelt diese Natur die Kraft, um die Krisis, welche wesentlich eine Stagnation ist, zu überwinden, so kann der Prinz in kurzer Zeit vielleicht zu voller Jugendkraft erblühen und eine feste und kräftige Gesundheit erlangen, aber,« fuhr er fort, und sein klares, offenes Auge senkte sich vor dem brennenden Strahl des kaiserlichen Blickes, »wenn die Natur die Hilfe versagt, so kann ebenso schnell die an beiden Enden entzündete Kerze sich verzehren.«
»Und was muß geschehen, um der Natur ihre Arbeit zu erleichtern?« fragte der Kaiser, indem er die Hände faltete und sich weit zu dem Arzte hin vorbeugte.
»Absolute Ruhe, Fernhaltung jeder Aufregung und frische Luft,« erwiderte der Arzt, »der Prinz muß nach Saint Cloud, sobald das Wetter wärmer und beständiger wird, und ich wollte Eure Majestät bitten, die nötigen Befehle dazu zu geben.«
»Fahren Sie sogleich hinaus, lieber Conneau,« rief Napoleon, »und ordnen Sie alles an, wie es am besten ist, tun Sie alles, was nötig ist, und« – er streckte die Hände wie flehend dem Freunde entgegen – »erhalten Sie mir meinen Sohn, erhalten Sie den kaiserlichen Prinzen!«
Voll tiefen Mitgefühls und mit dem Ausdruck inniger, liebevoller Teilnahme blickte Doktor Conneau auf den Kaiser. Er trat einen Schritt näher zu ihm hin und sprach mit weicher, leicht zitternder Stimme:
»Was meine Kunst vermag, Sire, wird geschehen, und,« fügte er hinzu, »wo meine Kunst nicht ausreicht, wird mein Gebet den großen Arzt dort oben um seine Hilfe anflehen!«
Der Kaiser senkte den Blick und sah einige Augenblicke starr vor sich hin.
»Dringt das Gebet des Menschen zu jenem geheimnisvollen Wesen empor, das die Schicksale der Menschen und Völker lenkt?« fragte er in fast flüsterndem Ton. – »O mein lieber Freund,« rief er dann, indem er sich lebhaft emporrichtete und den Kopf langsam gegen die Lehne seines Fauteuils zurücksinken ließ, »wie schwer ruht die Hand des Schicksals auf mir! – Dieses Kind,« sagte er mit weicher Stimme, »ich liebe es – es ist so rein, so gut – wie ich einst war – vor langen, langen Jahren« – fügte er träumerisch hinzu, »es ist der Sonnenstrahl meines Lebens – aber es ist mehr – es ist die Zukunft meiner Dynastie, dieser Dynastie, die mein Oheim mit so viel Blut und Schlachtendonner gegründet, die ich mit so viel Geduld, so viel mühsamer Arbeit, so viel unermüdlicher Zähigkeit wieder errichtet habe! Wenn das Verhängnis mir dieses Kind nimmt, wird das Herz des Vaters brechen, das stolze Gebäude