Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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      Die andere Hand des Prinzen hielt der vor der Chaiselongue stehende Leibarzt des Kaisers, Doktor Conneau, in der seinen – aufmerksam auf den Sekundenzeiger seiner Uhr blickend und den Pulsschlag zählend.

      Die ernsten und intelligenten Züge des alten Freundes und Arztes Napoleons III. waren nicht ganz frei von nachdenklicher Besorgnis, und länger, als sonst nötig, hielt er schon die Hand des kranken Knaben in der seinen, immer und immer wieder den Pulsschlag verfolgend und von Zeit zu Zeit in fast unmerklicher Bewegung den Kopf schüttelnd.

      Auf der anderen Seite stand der Gouverneur des Prinzen, General Frossard, eine ernste, militärische Erscheinung, fest und soldatisch in seiner Haltung, Freundlichkeit, gemischt mit energischer Willenskraft, bildete den Ausdruck seiner Züge. Der forschende Blick seines Auges ruhte auf dem Arzte, der jetzt langsam die Hand des Prinzen herabsinken ließ und lange prüfend in dessen Gesicht blickte.

      »Sobald das Wetter schöner wird,« sagte endlich Doktor Conneau, »muß der Prinz nach Saint Cloud; der fortwährende Aufenthalt in reiner und sonniger Luft ist jetzt erste Bedingung der weiteren Genesung.«

      Die Augen des jungen Prinzen erweiterten sich, ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen.

      »Ich danke Ihnen herzlich für diese Verordnung,« rief er mit seiner, trotz des jugendlichen Alters sonoren und wohllautenden, durch die Leiden der Krankheit etwas gedämpften Stimme, »oh, es treibt mich mit aller Gewalt hinaus aus diesen Mauern, hinaus in die weite, freie Luft zu den Blumen und Bäumen, die ich hier nur aus den Fenstern sehen kann! – Glauben Sie mir,« fuhr er nach einer kurzen Pause, während welcher sein Blick träumerisch auf dem kolorierten Kupferblatt vor ihm ruhte, – »glauben Sie mir, – hier in diesen Mauern werde ich niemals gesund, sie bringen mir Unglück, sie drücken und beängstigen mich, – o – ich bitte, lassen Sie mich gleich, – gleich heute hinausgehen!«

      »Das Wetter ist noch zu rauh, mein Prinz,« sagte Doktor Conneau freundlich, indem er mit der Hand leicht und sanft über das glänzende, dunkelblonde Haar des kaiserlichen Kindes strich. – »Sie müssen noch einige Zeit warten, die Übersiedelung könnte Ihnen schaden!«

      Ein Zug von Unmut und Verdruß legte sich um die Lippen des Prinzen, seine reine Stirn faltete sich über den Augenbrauen und seine Augen verhüllten sich in leichtem Tränenschimmer.

      »Die Übersiedelung kann mir nicht so viel schaden,« rief er heftig, indem er die Fingerspitzen gegeneinander preßte, »als der Aufenthalt hier in diesen Tuilerien, die mich erdrücken. Ich will fort!«

      »Prinz,« sagte der General Frossard mit kurzem und strengem Ton, »um das Wort: ich will – brauchen zu lernen, muß man zunächst zu gehorchen verstehen, zu gehorchen den Eltern und Lehrern – und vor allem der Notwendigkeit. Regen Sie sich nicht auf und warten Sie ruhig den Augenblick ab, wo der Doktor Ihre Übersiedelung anordnen wird.«

      Der Prinz senkte die Augen, ein langer Seufzer drang aus seinen Lippen, und wie unwillkürlich deutete er mit der Hand auf das Kostümbild, das auf seinen Knien lag.

      »Ich sage Ihnen aber,« sprach er nach einigen Augenblicken, indem der gereizte und eigenwillige Ausdruck von seinem Gesicht verschwand und eine tiefe Traurigkeit sich über seine Züge legte, – »ich sage Ihnen aber, daß ich hier nicht gesund werden kann! – Denken Sie, lieber Doktor,« fuhr er fort, – »ich lag hier vorher und besah diese Bilder der alten Trachten und erinnerte mich dabei alles dessen, was ich gelernt habe aus der Geschichte Frankreichs – und bei jedem neuen Bilde sah ich neues Blut und Unglück, welches dieser Louvre und diese Tuilerien, die jetzt mit ihm vereint sind, über ihre Bewohner gebracht haben, immer neue Ströme von Blut, immer neues Entsetzen, – ich wurde recht traurig, und hier bei diesem Bilde des armen Königs Ludwig schlief ich ein.«

      Die Augen des Prinzen richteten sich weit und glänzend mit fieberhaftem Schimmer nach oben.

      »Da träumte ich weiter,« fuhr er fort, indem seine Stimme fast zum Flüsterton herabsank, – »und ich sah den armen, kleinen Dauphin, wie er bleich und traurig die Hand gegen mich erhob – und dann sah ich den schönen König von Rom, er stieg langsam hinab in eine einsame Gruft und grüßte mich mit der Hand und blickte mich an so tief und wehmütig, daß es mir hier« – er legte die Hand auf sein Herz – »weh tat – und dann sah ich aus allen Mauern dieses Schlosses die hellen Flammen hervorbrechen, und draußen der Hof wurde ein Meer von Blut, und in dies Meer sanken die Trümmer des brennenden Schlosses hinein. – Und ich wollte fliehen, voll Angst und Entsetzen, – aber die Wellen des Blutmeeres rollten mir nach und wollten mich verschlingen, – da wachte ich auf – aber ich sehe noch das entsetzliche Bild vor mir! O lieber Doktor, lassen Sie mich fort von hier, aus diesen fürchterlichen Tuilerien, ich kann hier nicht schlafen, – aus Furcht, wieder so schrecklich zu träumen!«

      Und bei Prinz faltete bittend die Hände und richtete seinen Blick mit flehendem Ausdruck auf den Arzt.

      Doktor Conneau blickte ernst und sorgenvoll in die aufgeregten Züge des Knaben.

      »Mein Prinz,« sagte der General Frossard mit ruhigem, festem Ton, »Sie müssen sich nicht aufregen und keinen Träumereien hingeben, – die Geschichte jedes Landes hat vieles Traurige und viele blutige und entsetzliche Momente, – denken Sie lieber an alles Große und Herrliche, das die Vergangenheit und die Gegenwart dieses schönen Frankreichs in so reichem Maße bieten!«

      »Es wäre besser,« sagte Doktor Conneau zum General gewendet, »wenn der Prinz jetzt für einige Zeit jede Beschäftigung mit geschichtlichen Gegenständen aufgäbe, – Ruhe der Nerven ist für ihn notwendig.«

      Der General nahm langsam das Buch von den Knien des kaiserlichen Prinzen.

      »Lassen wir jetzt diese Bilder,« sprach er mit freundlichem Ernst, – »wir wollen uns einen Augenblick mit der Geometrie beschäftigen und einige kleine Aufgaben lösen.«

      Und er nahm aus einer Mappe eine Tafel mit geometrischen Figuren aus der Lehre von den Dreiecken und legte sie vor den Prinzen.

      Dieser blickte erheitert zu seinem Gouverneur empor und rief:

      »O ja! das ist schön, – es macht mir so viel Freude, wenn ich eine Aufgabe lösen kann, – ich will mir recht viele Mühe geben!«

      »Und ich verspreche Ihnen, lieber Prinz,« sagte Doktor Conneau lächelnd, »daß Sie, sobald als es irgend nur möglich ist, nach Saint Cloud gehen sollen, – ich werde sogleich mit dem Kaiser sprechen und ihn bitten, die nötigen Befehle zu geben!«

      »Ihr Sohn aber geht mit mir,« rief der Prinz, – »nicht wahr? – Ich wäre nicht glücklich dort, wenn ich meinen lieben Kameraden nicht bei mir hätte.«

      »Wenn der Kaiser es erlaubt, soll er Sie gewiß begleiten,« antwortete Doktor Conneau, – »und wenn Sie beide dort recht artig und fleißig sein wollen,« – fügte er freundlich lächelnd hinzu.

      »Das verspreche ich!« rief der Prinz – »und,« fügte er mit einem halb ehrerbietigen, halb schelmischen Blick auf seinen Gouverneur hinzu, – »dafür sorgt der General!«

      »Auf Wiedersehen!« sagte der Doktor, indem er mit einem Blick liebevoller Zärtlichkeit dem Sohne seines kaiserlichen Freundes die Hand reichte und nochmals leicht sein Haupt streichelte.

      Dann verabschiedete er sich mit herzlichem Händedruck von dem General und verließ das Zimmer des Prinzen.

      Mit trübem Blick und in tiefes Nachdenken versunken durchschritt er langsam die Galerie, welche zu dem Kabinett Napoleons führte.

      Im Vorzimmer des Kaisers fand er den diensttuenden Adjutanten, General Favé, einen kleinen, beweglichen Mann mit leicht ergrauendem kurzen Haar und lebhaften Augen – und den Marquis de Moustier, welcher nach dem Rücktritt von Drouyn de Lhuys infolge der deutschen Katastrophe das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernommen hatte.

      Der Marquis war soeben angekommen, hatte ein Portefeuille auf den Tisch gestellt und unterhielt sich mit dem General. Beide Herren trugen den schwarzen Überrock – nach der für den Morgenempfang am französischen Hofe herrschenden Sitte.

      Herr