Der Graf blickte ihn milde und freundlich an.
»Bitten Sie Gott,« sagte er, »daß er Ihr Herz stähle und kräftige, ohne es die Wege gehen zu lassen, welche das meinige in Verzweiflung und Schmerzen hat durchwandeln müssen, bis es zur ruhigen Festigkeit und klaren Ueberzeugung gekommen ist.«
Er trat nahe zu ihm heran und legte die Hand auf seine Schulter.
»Auch ich,« sprach er mit weicher Stimme, »war jung wie Sie, — ich war heiter und glücklich wie Sie, — ich hatte ein schönes, geliebtes Weib, an dem meine ganze Seele hing, — ich hatte ein Kind, eine Tochter von zwei Jahren, aus deren reinem Auge mir des Himmels lichter Gruß entgegenstrahlte, — ich war Arzt in Rom, meine Hand war glücklich, der Reichthum strömte mir zu, — ich hätte die ganze Menschheit an mein Herz drücken können, wenn ich mein Weib im Arm, mein süßes, liebes Kind auf den Knieen hielt, und allen Leidenden zu helfen mit allen Kräften meines Geistes war mein heiligstes Streben, mein Dank für all' das Glück, welches Gott mir gegeben, — Und ich hatte einen Bruder,« fuhr er fort, den träumerischen Blick tief in die Erinnerungen der Vergangenheit tauchend, — »ich liebte ihn von seiner zartesten Kindheit an, — ich, der Aeltere, hatte seinen Geist gebildet, sein Herz erzogen, — er war ein Jünger der edlen Kunst, jener holden Blüte meines schönen Vaterlandes, und mit Stolz sah ich auf die Schöpfungen seines Pinsels, in denen der Athem des Genius lebte und welche sich heranbildeten näher und näher zu den großen Vorbildern der Vergangenheit. — Es war eine schöne, glückselige Zeit. — Mein Bruder wollte seinen Pinsel versuchen an jenem höchsten und heiligsten Bilde, das die Kunst schaffen kann, — der gottbegnadigten Jungfrau mit dem Jesuskinde. Mein Weib saß ihm dazu als Modell, — mein Kind auf ihrem Schooß sollte die Haltung des göttlichen Kindes angeben. War es eine Sünde, ein vermessener Frevel? — Hatte doch auch der große Rafael nach den Formen irdischer Frauen die Madonna gemalt und der wunderbare Geist der Gottheit sich doch so herrlich seinem Blick geoffenbart — ich freute mich und war glücklich, in dem Gedanken, von der Hand des geliebten Bruders Alles, was ich Theures auf Erden besaß, im Bilde zum göttlichen Dienst vereinigt zu sehen. — Lange Stunden war ich abwesend in meinem Beruf,« fuhr er mit düsterem Tone fort, — »und als ich eines Tages zurückkehrte, — da waren sie verschwunden! Mein Bruder hatte mein Weib verführt, — oder sie ihn, — ich weiß es nicht, — ich weiß nichts, als daß sie fort waren, und daß sie auch mein liebes, unschuldiges Kind mitgenommen hatten, damit seine klaren, reinen Augen mir keinen Trost bringen könnten in meiner Einsamkeit.« —
Er hatte die letzten Worte leiser und leiser gesprochen, sein Blick wurde starr, seine Züge zuckten vor schmerzlicher Bewegung.
Er ließ sich wie gebrochen in einen Lehnstuhl sinken, der Abbé blickte in tiefer Erschütterung auf ihn hin.
»Es ist lange her,« sagte der Graf nach einigen Augenblicken in ruhigem, wehmüthigem Ton, »daß ich nicht mehr davon gesprochen, daß ich mit der Sonde des Wortes diese Wunde nicht mehr berührt habe, — Sie sehen,« fügte er mit unendlich schmerzlichem Lächeln hinzu, — »die Wunde ist noch nicht geschlossen. — Alle Nachforschungen waren vergeblich,« fuhr er dann fort, — »ich fand keine Spur der Verschwundenen. Soll ich Ihnen meinen Zustand schildern? Kaum vermöchten es Worte der menschlichen Sprache. Ich verzweifelte an Gott, — wild empörte sich meine Seele gegen den Himmel, ich wollte meinem Leben ein Ende machen und nur die leise Hoffnung, mein Kind, mein armes Kind wieder zu finden, ließ mich von einem Tage zum andern den letzten Entschluß verschieben. Ich verabscheute die Menschheit, ich hielt die Hülfe meiner Wissenschaft den Kranken, den Sterbenden zurück, ich freute mich in kaltem Hohne, wenn die Väter dahinstarben, wenn die Kinder ihren Eltern entrissen wurden, während sie mit Einem Mittel, mit Einer Operation meiner geschickten Hand hätten gerettet werden können. Ich haßte und verachtete Staat und Gesellschaft, — konnten ihre Gesetze, ihre Institutionen Verbrechen verhindern oder bestrafen, wie das, welches an mir begangen war? Hätte ich die ganze Menschheit vernichten können mit einem einzigen Worte, ich hätte hohnlachend dieses Wort gesprochen und alle lebende Kreatur in das ewige Nichts geschleudert! — O mein junger Freund,« sagte er mit einem tiefen, schweren Athemzug, — »es waren schreckliche Tage und Nächte, die ich da durchlebte, — auch mein Geist ist niedergefahren zur Hölle, und was in ihren Tiefen zittert und kocht, habe ich empfunden, auch in meiner Brust ist es in gräßlichen, gellenden Tönen erklungen, jenes ›Nein‹ der Auflehnung gegen den großen Schöpfer der Welt, gegen den Gott der ewigen Liebe und Gnade. — Ein alter, würdiger Priester, ein gewaltiger Kämpfer der streitenden Kirche, trat mir nahe, fast gewaltsam drängte er sich in mein Leben und der Feuerstrahl seiner Beredsamkeit drang zunächst wie ein zürnendes Wetter in die Nacht meiner Seele, alle Fasern meines Wesens erschütternd. — Aber aus den blitzenden Wettern ward Licht. — An der Hand jenes weisen Lehrers und Führers lernte ich erkennen, daß keine Ordnung des Staates und der Gesellschaft, so wohlbegründet, so weise gefügt sie sein möge, die Sünde überwinden könne, daß allein die Macht der heiligen Kirche, dieser Gesellschaftsordnung Gottes, wenn sie einst die Welt umfaßt in allgewaltiger Gliederung, die Sünde besiegen und das Verbrechen von der Erde verschwinden lassen kann. Ich lernte verstehen, daß es keine höhere, keine heiligere Aufgabe gibt, als zu streiten für die Erreichung dieses Ziels — die Alles umfassende Herrschaft der Kirche — welche das Erlösungswerk des Heilandes vollenden soll, indem sie das Blut Christi durch die ganze erschaffene Menschheit strömen läßt, — daß es keine schönere, keine stolzere und herrlichere That gibt, als die Sünde selbst zu zwingen, daß sie dem Himmel diene. — Aber,« fuhr er fort und sein Auge blitzte in gewaltiger Energie und in unbeugsamer Willenskraft, — »ich sah auch das furchtbare Rüstzeug der Feinde der Kirche und »ich lernte begreifen, daß der Sieg nur errungen werden könne, wenn wir alle Waffen des Willens, des Geistes, der Macht mit fester und rücksichtsloser Hand führen, — wenn wir vor Allem die dämonischen Gewalten der sündigen Welt mit eiserner Hand erfassen, sie zum Dienst der heiligen Sache, zum Vernichtungskampf untereinander zwingen. — Ich weihte mein Leben dem Dienste der streitenden Kirche — und Gott stärkte mein Herz und erleuchtete meinen Geist, — und er gab mir viele Macht und Gewalt über die Menschen und die verschlungenen Fäden ihrer Schicksale, — oft habe ich in meiner Hand die furchtbare Gewalt des Dämons gefühlt — aber der Engel in mir ist nicht gefallen, die dämonische Gewalt hat dem Himmel gedient — wie des Dampfes titanische Riesenkraft dem Druck der Menschenhand gehorcht! — Und ich sollte zweifeln und schwanken,« rief er lebhaft, »in der Wahl meiner Waffen, — ängstlich die Mittel prüfen, mit denen ich meine Ziele — große und heilige Ziele verfolge, — wegwerfen die Gewalt, die ich über meine Feinde habe, — mich und die Sache, der ich diene, zum Gespött der Gegner machen? O ich fürchte die Mächte der Hölle nicht,« — sprach er stolz und begeistert, — »diese Hand ist stark genug, um sie meinem Willen zu beugen und im Namen Gottes den bösen Willen zu zwingen, daß er das Gute schaffe!«
Der Abbé blickte mit Bewunderung in die schönen, erregten Züge des Grafen.
»Verzeihen Sie, mein Meister,« sprach er demüthig, — »meinen Zweifel — und entziehen Sie mir niemals Ihre starke Hand, mich zu leiten und zu stützen.«
Der Graf reichte ihm die Hand.
»Auch Ihre Kraft wird sich stählen in der Arbeit des Kampfes,« — sagte er, — »aber vergessen Sie niemals, daß nicht der Mensch — die schwache und sündige Kreatur für irdische Wünsche und Bestrebungen, es wagen darf, die Waffen zu führen, welche zu ergreifen nur Der das Recht hat, der Allem entsagt, um nur zu leben und zu sterben als ein Werkzeug zum immer größeren Ruhme Gottes!«
Die Thüre öffnete sich. Herr Balzer trat ein.
Er begrüßte den Grafen mit jener Miene gemeiner Vertraulichkeit und jener unverschämten Sicherheit, welche ihm eigenthümlich war.
Mit einer stolzen Neigung des Kopfes erwiederte der Graf seinen Gruß, kalt und ruhig blickte er ihn an.
»Sie haben gewünscht, mich zu sprechen, Herr Graf,« sagte Herr Balzer, — »womit kann ich Ihnen dienen?«
»Unsere Unterredung wird hoffentlich nur kurz sein,« erwiederte der Graf, — »ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, den Sie annehmen werden,