Herr von Stielow warf sich an seine Brust.
»Mein Freund für ewig!« rief er und Thränen stürzten aus seinen Augen.
»Wie soll ich Ihnen danken, Herr Graf!« sagte die Gräfin Frankenstein in tiefer Bewegung.
»Danken Sie Gott, Frau Gräfin,« erwiederte dieser, — »der heute zwei Wunder gethan hat, indem er ein Leben dem irdischen Glück erhielt und eine Seele der ewigen Gnade zuführte. — Doch,« sagte er dann lächelnd im Tone der Gesellschaft, — »ich rechne auf Ihre Diskretion, — Sie dürfen mich nicht mit der medizinischen Fakultät in Konflikt bringen.«
Er gab einige Anordnungen über die weitere Behandlung der Wunde mit dem Mittel, welches er zurückließ, flößte der Kranken noch eine Arznei ein und verließ das Haus mit dem Versprechen, nach einigen Stunden wiederzukommen.
Schnellen Schrittes ging er zum Hause der Frau Balzer, —. seine Züge nahmen einen finstern, strengen Ausdruck an, als er die Treppe zu der Wohnung der jungen Frau hinaufstieg.
In dem Salon derselben fand er den Abbé Rosti, ihn erwartend. Der junge Geistliche saß auf einem Sessel vor der Chaise longue der Dame des Hauses, welche in reizendem hellblauen Morgenanzug frisch und heiter mit ihm plauderte.
Bei dem Eintritt des Grafen erhob sich der Abbé, die junge Frau begrüßte ihn mit anmuthigem Lächeln und streckte ihm ihre schöne Hand entgegen.
»Wir haben Sie erwartet,« sagte sie, — »der arme Abbé leidet schon lange unter dem Zwange der Konversation, welche er mit mir machen mußte,« fügte sie mit neckischem Tone hinzu, — »wo waren Sie?«
»Ich habe die Ausführung eines großen Verbrechens verhütet,« erwiederte der Graf ernst und düster, indem sein Auge fest auf dem Gesicht der jungen Frau haftete.
Sie zitterte unwillkürlich unter diesem Blick.
»Ein Verbrechen?« rief sie, — »und wo sollte es begangen werden?«
»Es war begangen!« sagte der Graf ruhig, ohne seinen Blick abzuwenden, — »es war begangen an einem reinen und edlen weiblichen Wesen, das eine ruchlose Hand einem entsetzlichen Tode geweiht hatte, — an der Gräfin Klara Frankenstein.«
Frau Balzer stand starr und regungslos da. Eine tiefe Blässe legte sich auf ihr Gesicht, ihre Lippen zitierten, ihr Auge senkte sich vor dem festen und unbeweglichen Blick des Grafen. Ihre Brust hob sich — sie wollte sprechen, — aber es drang nur ein unterbrochener, zischender Athemzug aus ihren Lippen.
»Sehen Sie, Abbé,« sagte der Graf, mit der Hand leicht auf die junge Frau deutend, — »dieses Weib, das da vor Ihnen steht, das eben mit lächelnder Lippe zu Ihnen sprach, das in seinem Blick alle edlen und schönen Gefühle des Herzens wiederzuspiegeln versteht, — dieses Weib ist eine Mörderin, die mit kalter Grausamkeit das Gift der Verwesung in das warme und reine Blut eines unschuldigen Wesens flößte, eines Wesens, das ihr nichts Anderes zu Leide that, als daß es die Liebe eines jungen Mannes besaß, für den Diese da in wilden Flammen entbrannt ist. — Gott wollte es anders,« fuhr er fort, — »und gab mir die Macht, dieß Opfer der furchtbaren Bosheit zu retten!«
Erstaunt, — entsetzt hörte der Abbé die Worte des Grafen, fragend blickte er auf diese schöne, elegante Frau, gegen welche sich eine so furchtbare Anklage erhob.
Sie hatte die Hand auf die Brust gepreßt, wie um die aufwallende Bewegung derselben gewaltsam niederzudrücken. Ihr Auge hob sich bei den letzten Worten des Grafen mit dem Ausdruck des Schreckens und eines wüthenden Hasses empor — doch konnte sie seinen Blick nicht ertragen und sah wieder zur Erde nieder.
»Herr Graf« sagte sie mit mächtiger Anstrengung, aber mit kalter, ruhiger und scharfer Stimme, — »Sie sprechen Beschuldigungen aus, — Sie sprechen im Tone eines Richters mit mir, — den ich nicht verstehe, — dessen Berechtigung ich nicht anerkenne.«
Und mit gewaltiger Willenskraft erhob sie den Blick und sah dem Grafen fest und starr in's Gesicht.
Dieser richtete sich hoch empor, — sein Auge flammte, — er trat einen Schritt gegen sie vor und langsam die Hand erhebend sprach er mit gedämpfter Stimme, deren mächtiger, dumpfer Ton zitternd durch das Zimmer drang:
»Ich spreche keine Beschuldigung aus, sondern eine Anklage, welche zu beweisen mir leicht wäre, ich spreche als Richter, weil ich, wenn ich es wollte, Dein Richter sein könnte — Antonie von Steinfeld!«
Entsetzt blickte die junge Frau auf den Grafen — alle ihre Fassung verschwand, gebrochen sank sie in sich zusammen.
»Ich könnte,« fuhr der Graf fort, »der Richter sein jener unnatürlichen Tochter, welche ihre alte kranke Mutter, eine würdige Dame, die sie mit den größten Opfern erzogen, verließ, um einem abenteuernden Schauspieler zu folgen, indem sie die letzten Kostbarkeiten ihrer Mutter, die Werthpapiere, welche ihr kleines Vermögen bildeten, stahl, — welche im wilden Taumel dahin lebte, während ihre unglückliche Mutter, welche nicht wagte, ihre Schande an die Öffentlichkeit und die Gerichte zu bringen, in tiefster Dürftigkeit darbte, bis ihr der Gram das Herz brach. — Ich könnte der Richter sein der verlornen Dirne, welche tief und tiefer sank, bis sie einen erneuten Diebstahl an einem jungen Manne, den sie umgarnt, durch zwei Jahre Strafhaft büßte, — welche dann als Kunstreiterin und Schauspielerin in den kleinen Städten Böhmens und Galiziens umherzog, bis es ihr gelang, einen Mann zu finden, der wenig besser wie sie — ihr seinen Namen gab und sie in die Lage setzte, das Gewerbe im Großen zu treiben, das sie früher auf den Straßen begonnen, — ich könnte der Richter der Mörderin sein, welche ein junges, reines Leben kaltblütig und planvoll einem entsetzlichen Tode weihte. — Glaubst Du, Unwürdige,« fuhr er fort, und seine Stimme schwoll an wie rollender Donner, — »daß es mir mehr als ein Wort kosten würde, um den falschen Flitterschleier von der Fäulniß Deiner Existenz zu reißen und Dich dem Abscheu und der Verachtung der Welt preiszugeben? — glaubst Du,« rief er, dicht vor sie hintretend, indem seine Augen Blitze schleuderten, — »daß es mein Gewissen belasten würde, durch einen Tropfen von sichererer Wirkung als jenes Gift, das Du in die Adern der Unschuldigen flößtest, die Erde von Deinem schuldbeladenen Dasein zu befreien?«
Die junge Frau war bei jedem Worte des Grafen tiefer und tiefer zusammengebrochen, — als er geendet, lag sie zu seinen Füßen, ihre Augen starrten ihn an wie ein Gespenst, das höchste Entsetzen, eine hoffnungslose Angst malte sich auf ihrem Gesichte.
Der Abbé blickte mit einer Mischung von Mitleid und Abscheu auf diese vernichtete, gebrochene Gestalt.
Schweigend ließ der Graf seinen durchdringenden Blick auf ihr ruhen.
»Danke Gott,« sprach er dann, — »daß er das Opfer Deines mörderischen Hasses durch meine Hand gerettet,— ohne Erbarmen hätte meine Hand Dich vernichtet. — Versuche,« sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen die junge Frau hochaufathmend mit den angstvollen Blicken an seinen Lippen hing, — »versuche jetzt den Himmel zu versöhnen, — indem Du die Gaben, welche die Natur Dir gab und die Du im Dienst der Sünde gemißbraucht, für die heilige Sache Gottes und seiner Kirche verwendest. Du sollst mir dienen als Werkzeug, und um der Sache willen, der Du Dich weihst, wird Dir vielleicht einst vergeben werden, was Du bisher verbrochen.«
Sie sah ihn fragend an, — das Leben und die Hoffnung kehrte in ihr Gesicht zurück.
»Ich fordere kein Versprechen von Dir, — ich werde sehen, was Du thust, und ob Dein Gehorsam die Probe besteht, — bedenke, daß stets, auch wenn ich ferne bin, mein Auge auf Dich gerichtet ist und meine Hand über Dir schwebt, — sie wird zerschmetternd auf Dein Haupt fallen, wenn Du je um eines Haares Breite von den Wegen abweichst, die ich zu gehen Dir vorschreiben werde. Ich werde Dich befreien von allen Fesseln, die Dich hier ketten, Du sollst frei sein in meinem Dienst — Deine Kräfte zu gebrauchen nach allen Richtungen, — aber noch einmal: hüte Dich, Deine eigenen Wege zu gehen, — sie würden Dich in das rettungslose Verderben führen.«
Sie hatte sich langsam erhoben und stand vor ihm mit gesenkten Augen, die Hände über der Brust gekreuzt, — es wäre schwer zu sagen gewesen, was in ihrem Innern vorging,