Herr von Stielow drückte seiner Braut mit einem glücklichen Blick auf ihr lieblich erröthendes Gesicht innig die Hand.
»Ich danke Dir, daß Du daran denkst,« sagte die Gräfin, »man kann nie genug thun für Diejenigen, welche sich für das Vaterland schlagen und leiden, und wir müssen allen Ständen darin als Beispiel vorangehend —
»Ich bitte, mich zu beurlauben,« sagte Herr von Stielow mit einem Blick auf seine Uhr, — »ich muß mich beim General Gablenz melden, um zu hören, ob er Befehle für mich hat.«
Traurig sah ihn Klara an.
»Aber Abends bist Du frei?« fragte sie.
»Ich hoffe es mit Sicherheit,« sagte der junge Mann, — »denn es gibt ja jetzt für die Adjutanten nur wenig zu thun.«
Der Wagen war am Nordbahnhof angelangt. Auf einen Wink des Lieutenants hielt er am Eingang.
»Auf Wiedersehen also,« sagte die Gräfin Frankenstein zu Herrn von Stielow, der sich verabschiedete, und Klara's Blick fügte deutlicher als Worte hinzu: »Auf baldiges Wiedersehen.«
Der Lakai sprang vom Bock, öffnete den Wagenschlag und folgte mit einem aus dem Sitzkasten des Wagens hervorgenommenen Korbe den Damen in das Innere der Halle.
Diese bot ein bewegtes, ernstes und trauriges, aber auch rührendes und liebliches Bild.
In langen Reihen standen nebeneinander Feldbetten und Tragbahren, auf welchen verwundete, kranke — sterbende Krieger aller Waffen, auch preußische Soldaten lagen, theils in stummer Resignation ihre Leiden tragend, theils ächzend und wimmernd unter den furchtbaren Schmerzen ihrer oft so gräßlichen Verstümmelungen.
Dazwischen schritten die Aerzte her, den Zustand der Angekommenen prüfend und bestimmend, wohin sie gebracht werden sollten, je nach dem Grade ihrer Verwundung und der Hoffnung, welche für ihre Herstellung vorhanden war. Die Verbände wurden erneuert vor dem weiteren Transport, Arzneien und Erfrischungen wurden gereicht und unumgänglich notwendige Operationen wurden in besonders dazu hergerichteten Kabinetten und Verschlägen vorgenommen. Alles das war ernst und schmerzlich zu sehen, trübe und traurig; wer die stolzen Regimenter hatte ausrücken sehen, die Augen der Krieger blitzend beim schmetternden Hörnerklang — und wer nun diese gebrochenen, leidensmüden Jammergestalten sah, wie sie zurückgebracht wurden von den Schlachtfeldern, auf welchen sie mit dem Opfer ihres Blutes den Sieg nicht für die Fahnen des Vaterlandes hatten erkämpfen können, der mochte wohl schmerzlich aufseufzen in dem Gedanken, daß die so gerühmte fortschreitende Civilisation des Menschengeschlechtes nicht im Stande gewesen, den grausamen, mörderischen Krieg von der Erde zu verbannen, — diesen Krieg, dessen blutige Geißel die Geschlechter der Menschen heute noch ebenso gegen einander hetzt, als auf den Schlachtfeldern des grauen Alterthums, nur mit dem Unterschied, daß der erfinderische Menschengeist heute grausamere und vernichtendere Zerstörungswerkzeuge erfunden hat, welche in maschinenmäßiger Arbeit Tausende niederstrecken, wo sonst Einzelne im persönlichen Kampfe fielen.
Neben den Aerzten, welche mit dem kalten Blicke der Wissenschaft die Wunden untersuchten, sah man die barmherzigen Schwestern, diese unermüdlichen Priesterinnen der christlichen Liebe; ruhig und still, fast unhörbar, glitten sie zwischen den Betten hin, bald mit sanfter Hand bei dem Auflegen des Verbandes helfend, bald mit kurzem, aber freundlich tröstendem Wort eine stärkende Arznei, einen kühlenden Trunk den schmachtenden blassen Lippen einflößend.
Und überall sah man daneben die geschäftigen Gruppen dieser so schönen und so graziösen Frauen Wiens, die Damen der hohen Aristokratie voran, wie sie hier und dort die Verwundeten erquickten, den Aerzten Leinenzeug reichten und jedem traurigen, schmerzbewegten Antlitz ein freundliches Lächeln zusendeten.
Viel halfen sie nicht, es ist wahr, diese improvisirten Samariterinnen, welche die Liebe zu ihrem österreichischen Vaterlande bezeugen wollten durch die Pflege seiner verwundeten Krieger, — aber ihr Anblick that den Herzen dieser unglücklichen, leidenden Soldaten unendlich wohl, fühlten sie doch in dieser zarten Sorge die Anerkennung ihrer Opfer und Leiden, glaubte doch mancher vom Fieber verschleierte Blick in den anmuthigen Pflegerinnen die ferne Schwester oder Geliebte zu erkennen — und der starre, trübe Blick leuchtete auf, — die bleiche, schmerzdurchzuckte Lippe lächelte sanft den freundlichen Händen entgegen, welche hier an Stelle der Abwesenden den weiblichen Beruf erfüllten, — Leiden zu lindern und Schmerzen zu stillen.
So brachten sie dennoch Segen und Trost den armen Verwundeten, diese freiwilligen Pflegerinnen, — welche die Aerzte für eine Last erklärten, — die Aerzte aber freilich rechnen ja nur mit jenem Herzmuskel, der den Blutstrom durch die Adern treibt, — das dem anatomischen Skalpell unerfindbare Menschenherz mit seinen Abgründen von Schmerzen und seinen duftigen, zarten Blüten der Freude — das Herz kennen sie nicht — und doch macht es so oft ihre Kunst zu Schanden.
Die Gräfin Frankenstein und ihre Tochter waren bald von mehreren Damen der ersten Gesellschaft umgeben und begannen mit diesen ihren Rundgang zwischen den Betten der Verwundeten.
Unter den zahlreichen Frauen, welche hier versammelt waren, und die — man könnte sagen, zur Mode gewordene Krankenpflege übten, — wenn das Wort für eine so gute, segensvolle und bei den Meisten aus edler Regung hervorgegangene Thätigkeit paßte, — sah man auch die schöne Frau des Wechselagenten Balzer.
In dunkelgrauer, einfacher und einfarbiger Toilette, ein Körbchen mit Verbandzeug und Erfrischungen am Arm, hatte sie einem der fungirenden Aerzte mit wunderbarer Geschicklichkeit Hülfe geleistet, und er hatte ihr gedankt, — erstaunt, daß es keine barmherzige Schwester, sondern anscheinend eine vornehme Dame war, welche so geschickt und so sicher ihm ihren Beistand gewährte. Sie sah wunderschön aus, diese Frau in dem einfachen Anzug, mit dem edlen, bleichen Gesicht, wie sie mit der unnachahmlichen Eleganz ihrer Bewegungen und der sicheren, aber zarten Entschlossenheit an die Lagerstätten der Leidenden herantrat, und ein Fremder hätte sie unter den vielen hier anwesenden vornehmen Damen Wiens für die vornehmste gehalten. Diese Damen aber kannten sie nicht, — wohl fragte man sich hier und da, wer diese schöne, elegante Dame sei — aber Niemand wußte sie zu nennen, — denn in Wien fehlt jenes öffentliche Leben, das, wie in Paris, den Damen der großen Gesellschaft Gelegenheit gibt, ihre Nachahmerinnen — oder oft ihre Vorbilder — jener zweifelhaften Welt persönlich zu kennen, — den Namen der Frau Balzer kannte man, — und sie war oft der Gegenstand des Gesprächs in den Salons — sie selbst hatten wenige Damen gesehen, — um so weniger, als sie sich stets zurückhielt und streng die Dehors beobachtete.
Sie ging an den Betten der Verwundeten entlang und spendete überall Erquickung und Erfrischung, — endlich war sie am Ende einer Reihe angekommen und sah eine von den übrigen entfernte Tragbahre stehen, auf welcher ein bleicher Soldat lang ausgestreckt lag.
Sie trat heran und beugte sich langsam über ihn — ein gebrochenes Auge starrte ihr entgegen, — die bläuliche Leichenfarbe lag auf dem blassen, mageren Gesicht — eine große, klaffende Wunde stand in der Mitte der bloßen Brust offen, von Blut und Eiter gefüllt. Der Verwundete war beim Transport gestorben, — er mußte schon stundenlang todt sein. Unwillkürlich legte sie die Hand auf seine Stirn, — diese Stirn war eiskalt.
Voll Entsetzen starrte sie dieß schauervolle, schmerzliche Bild an, als lebhafte Stimmen an ihr Ohr schlugen.
Sie sah auf und erblickte wenige Schritte entfernt eine Gruppe von mehreren Damen, welche um die Bahre eines Verwundeten standen, der die Uniform der Ulanen trug; die Binde um seinen Kopf hatte sich verschoben und er versuchte mit der schwachen Hand sie wieder zurecht zu ziehen.
In der Mitte der Damengruppe stand die junge Gräfin Frankenstein, strahlend von Anmuth und Schönheit. Tiefes Mitgefühl schimmerte in ihren Augen, ohne den Glanz des Glückes und der Freude zu verbergen, welche sie erfüllten, — mit reizendem Lächeln sagte sie:
»Dieser Uniform muß ich vor Allem beistehen, — ich gehöre ja ein wenig dazu!« und mit leichtem, elastischen Schritt trat sie ganz nahe an die Bahre heran, zog die Handschuhe aus und begann mit den schönen weißen Händen, die herabhängenden Spitzenärmel