Dieß Kabinet war ein kleiner viereckiger Raum, der außer der Thür zum Salon noch eine andere kleine Thür hatte, durch welche die Besucher nach der Konsultation sich zu entfernen pflegten, wenn sie mit etwa im Salon Wartenden nicht zusammentreffen wollten.
Dieß Kabinet hatte eine dunkle Tapete. Die nach dem Hof führenden Fenster waren durch dichte, faltige dunkelgrüne Vorhänge verdeckt. Ein hoher, alter Schrank stand an der einen Wand, in der Nähe des Fensters ein nicht großer Tisch mit grünem Tuch überzogen, vor demselben ein Lehnstuhl, auf welchem die Wahrsagerin Platz nahm. Auf dem Tisch stand eine Lampe mit dunkelgrünem Schirm, welche die Tischplatte hell erleuchtete, aber das übrige Zimmer im Schatten ließ. Auf der andern Seite des Tisches standen einige dunkelgrüne Fauteuils und ein kleiner Divan von gleicher Farbe.
Der Kaiser setzte sich auf einen der Lehnstühle in den Schatten, oft das Tuch gegen sein Gesicht erhebend.
Madame Moreau achtete darauf nicht. Sie war es gewohnt, daß ihre Besucher strenges Incognito zu bewahren wünschten.
Sie hatte vor ihrem Tische Platz genommen und fragte: »Wünschen Sie das große Spiel?«
»Gewiß,« antwortete Pietri, der sich neben den Lehnstuhl des Kaisers gestellt hatte.
Napoleon blickte mit forschender Aufmerksamkeit in dem kleinen Raum umher.
»Ich bitte den Herrn, mir seine Hand zu reichen, — die linke, wenn es Ihnen gefällig ist.«
Napoleon erhob sich und trat an den Tisch, so daß der Schatten des dunklen Lampenschirmes auf sein Gesicht fiel, und reichte der Wahrsagerin seine Hand, welche lang, schlank und weich, jünger erschien, als des Kaisers Haltung und seine Züge.
Madame Moreau ergriff diese Hand, kehrte die innere Fläche derselben nach oben und öffnete zunächst den Winkel, welchen der Daumen mit dem Zeigefinger bildete, bis zu seiner äußersten Spannung.
»Welche zähe, langsame Willenskraft,« — sagte sie langsam, ohne den Blick von der Hand des Kaisers zu erheben, — »aber eine Erschlaffung liegt mit darin, — eine zögernde Zurückhaltung — diese Hand ist gemacht, um sorgfältig und stetig die Sehne eines Bogens zu spannen, — aber sie wird zögern, den Pfeil dahinfliegen zu lasten, — sie möchte auch des abgeschnellten Pfeils Herrin bleiben, — der Pfeil aber gehört dem Schicksal. — Diese Hand wird die Sehne nicht schnellen lassen, wenn das Ziel erfaßt ist und der Blick den Moment erkennt, — sie wird sie fahren lassen unter der Erschütterung eines plötzlichen Anstoßes — der Pfeil aber gehört den ewigen Mächten des Verhängnisses« — fügte sie leiser hinzu. Dann fuhr sie mit aufmerksamem Blick in die Handfläche fort: »Bald nach ihrem Beginn gebrochen windet sich die Linie des Lebens in verschlungener Krümmung oft gekreuzt und durchzogen von hemmenden Falten weiter, — dann steigt sie in kühnem, weitem Bogen empor, höher und höher, bis —«
Sie sah mit starrem, träumenden Blick in die Hand und schwieg lange.
»Sie haben eine merkwürdige Hand, mein Herr,« — sagte sie dann, immer ohne aufzusehen, — »eine ähnliche Hand wie Sie hat jener große Fabius Cunctator gehabt — doch,« fuhr sie fort — »da sind auch Züge, die in Catilina's Hand gewesen sein müssen, aber ohne die unruhige Hast jenes Verschwörers, — und hier sind die Linien Cäsar's — nein — des Augustus. — Mein Herr,« sagte sie, — »Ihre Hand ist sehr merkwürdig, sie ist gemacht, langsam und vorsichtig die Fäden zu knüpfen, sie ist gemacht zum Bauen und Sammeln, zum Erhalten und Pflegen, — und doch zwingt sie das Schicksal oft zum Zerstören —«
»Und wohin führt die Linie des Lebens?« fragte der Kaiser mit so gedämpfter Stimme, daß man kaum den Ton derselben hörte.
Langsam und nachdenkend sagte Madame Moreau: »Sie wendet sich zurück nach ihrem Ausgange hin.« Der Kaiser warf einen Blick auf Pietri.
»Unklar wie die Pythia,« flüsterte er.
Hatte Madame Moreau diese Worte dennoch verstanden oder nicht, — sie sagte:
»Die Räthsel, welche die Linien der Hand übrig lassen, werden meine Karten vielleicht zu lösen im Stande sein.«
Und sie ließ die Hand des Kaisers los, nahm aus einer Schublade ihres Tisches ein Spiel großer Karten mit schön gemalten wunderlichen Bildern und Charakteren und ersuchte den Kaiser, dieselben zu mischen.
Dieser that es, immer sein Gesicht im Schatten des Lampenschirms haltend, und reichte dann das Spiel zurück.
Madame Moreau legte die Karten in langen Reihen vor sich auf den Tisch und prüfte sie aufmerksam.
»Mein Herr,« sagte sie dann, — »dieß ist eine Konstellation, wie sie selten vorkommt, — ich sehe Sie umgeben von hellem Glanz, von den Höchsten der Erde, Ihre Hand lenkt die Geschicke Vieler, — mein Gott!« rief sie, — »nur einmal habe ich diese Konstellation gesehen, es ist so — es kann nicht anders sein — hier der Adler über Ihrem Haupt; der Stern in der Diagonale, — der goldene Bienenstock — es wäre ein unwürdiges Spiel, zu schweigen, — es hieße meine Kunst erniedrigen —«
Sie stand schnell auf und sprach, indem sie sich tief verneigte, mit einer Bewegung, der es trotz ihrer kleinen und korpulenten Figur nicht an einer gewissen Anmuth und Würde fehlte:
»Mein armes Haus hat das Glück, den Souverän Frankreichs unter seinem Dach zu sehen, — Sire — ich grüße in tiefer Ehrfurcht meinen großen und geliebten Kaiser!«
Napoleon III. machte eine Bewegung der Überraschung, — dann trat er aus dem Schatten hervor und sprach lächelnd:
»Ich mache Ihnen mein Kompliment, Madame, über die Allwissenheit Ihrer Karten, — war mein großer Oheim hier bei Ihrer Meisterin, so darf wohl sein Neffe und Nachfolger die Schülerin aufsuchen. — Da wir nun ohne Maske sind,« fuhr er fort, »so lesen Sie mir weiter die Schrift des Schicksals in Ihren Karten.«
Madame Moreau kehrte zu ihrem Stuhl zurück und nahm auf einen Wink des Kaisers Platz, — welcher sich seinerseits nun dicht neben den Tisch setzte und mit aufmerksamem Blick auf die ausgebreiteten Karten sah.
»Sire,« sagte die Moreau, — »Eure Majestät können denken, daß ich, die ich Frankreich liebe und mit ganzem Herzen an dem großen Geschlecht Eurer Majestät hänge, — oft in der Stille meine Kunst versucht habe, um die Schicksale des Kaiserreiches meinem Auge klar zu machen, und — wunderbar, dieselbe Konstellation, welche sich jedesmal fast unverändert mir zeigte, liegt heute wieder vor mir in den Karten, welche Eurer Majestät kaiserliche Hand selbst gemischt hat, — ich konnte mich nicht täuschen. — Es wäre lächerlich, — wollte ich jetzt, nachdem ich weiß, wer vor mir steht, von Eurer Majestät Vergangenheit sprechen,« sagte sie dann, lange in die Karten blickend, — »nur Eines möchte ich sagen,« fuhr sie zögernd fort, — »darf ich sprechen?« fragte sie mit einem Blick auf Pietri.
»Ich habe keine Geheimnisse vor diesem Herrn,« sagte Napoleon.
»Sire,« fuhr Madame Moreau fort, immer in die Karten blickend, »Eure Majestät sind glücklich an der Seite Ihrer erhabenen Gemahlin, welche alle Tugenden in sich vereinigt — und dennoch —«
»Und dennoch?« fragte der Kaiser erstaunt in einem Ton, durch den fast ein leichter Unmuth hindurchklang.
»Sire,« sagte die Moreau langsam und feierlich, — »das Leben Eurer Majestät liegt auf der Grenze zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsterniß, ein heller schimmernder Stern strahlt auf dasselbe herab — aber die tiefen Schatten eines dämonischen Verhängnisses dringen oft mächtig herauf, um jenes reine Licht zu verhüllen. Unter dem Schimmer jenes Sterns, unter dem Einfluß seiner segensvollen Strahlen öffnete sich das junge Herz Eurer Majestät einer von dem vollen Hauch jugendlicher Poesie durchdufteten Liebe, — der Segen des großen Kaisers, des erhabenen Märtyrers von St. Helena, lag auf dieser Liebe, sie hätte Eurer Majestät Leben erleuchtet und erwärmt, — und diese Liebe wurde erwiedert von einem Herzen, in dessen Schlägen das Blut des großen Oheims lebte —«
Betroffen sah der Kaiser vor sich nieder, — ein wehmüthiger Zug erschien auf seinem