Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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bitte unsern verehrten Doyen um Verzeihung, wenn ich — so viel jünger als er, es wage, anderer Ansicht zu sein.«

      Erstaunt blickten die Marschälle auf den Sprecher, — Drouyn de Lhuys hing mit freudiger Erwartung an seinen Lippen, der Kaiser hob das Haupt empor und mit lebhafter Spannung blickte er zu dem Marschall hinüber.

      »Sire,« fuhr dieser fort, indem seine Züge sich belebten, — »ich halte die Prüfung nicht für nöthig, weil auch ohne solche Prüfung meine Ansicht fest steht.«

      »Und Ihre Ansicht ist?« fragte Napoleon III. lebhaft.

      »Meine Ansicht ist, daß Eure Majestät nicht im Stande sind zu schlagen.«

      Fast entsetzt blickte Drouyn de Lhuys auf den Marschall — der Kaiser zeigte keine Bewegung. Nur schlug er die Augen nieder und neigte den Kopf etwas zur Seite, wie er immer zu thun pflegte, wenn er mit besonderer Aufmerksamkeit zuhörte.

      »Sire,« fuhr Niel fort, — »wenn ein Träger des Marschallstabes von Frankreich — in solcher Versammlung vor seinem Souverän eine Ansicht ausspricht, wie die meinige, so hat er die Pflicht, sie zu begründen. Ich werde mir erlauben, dieß in den Hauptpunkten zu thun, — ich bin stets bereit, meine Gründe in einem ausführlichen Memoire Eurer Majestät vorzulegen. — Zunächst,« fuhr er fort, — »bedarf ein Krieg gegen Preußen und Deutschland — denn ich glaube, daß in diesem Augenblick Deutschland sich auf die Seite von Preußen stellen wird — die volle und ganze Kraft der französischen Nation. Diese steht uns in jetzigem Augenblick nicht zu Gebot. Die Expedition in Mexiko zieht Kräfte an Menschen und Geld ab, die wir nicht entbehren können, und ich würde nicht wünschen, daß wir, dem Beispiele Oesterreichs folgend, auf zwei Kriegstheatern uns engagirten, einem solchen Gegner gegenüber, den wir vor allen Dingen in seiner ganzen gefährlichen Stärke richtig würdigen müssen, wenn wir des Erfolges sicher sein wollen. — Zweitens,« fuhr er fort, »bedarf es meiner Ansicht nach keiner Prüfung, um überzeugt zu sein, daß wir dem preußischen Zündnadelgewehr eine mindestens ebenbürtige, wenn nicht überlegene Waffe entgegenstellen müssen. Ich will dahingestellt sein lassen, ob es, wie man jetzt in Oesterreich behauptet, lediglich und ausschließlich das Zündnadelgewehr ist, dem Preußen seine großen und überraschenden Erfolge verdankt, — ich meinerseits möchte es bezweifeln, jedenfalls aber, abgesehen von der in der That doch nicht abzuleugnenden großen Wirksamkeit jenes Gewehrs, ist es für das moralische Bewußtsein der Soldaten, für ihr Selbstvertrauen absolut nothwendig, ihnen eine dem Zündnadelgewehr gleiche oder überlegene Waffe in die Hand zu geben, — nachdem nun einmal jenes Gewehr durch Zeitungen und öffentliche Reden fast mit dem Nimbus einer märchenhaften Zauberwaffe umgeben ist. Ich würde es für sehr gefährlich halten, die Armee in ihrer jetzigen Bewaffnung den preußischen Regimentern entgegenzuführen. — Eine neue Bewaffnung, Sire, aber bedingt auch eine neue Taktik, — ich will nur auf die ganz veränderte Bedeutung der Kavallerie , auf die neuen Aufgaben der Artillerie hinweisen, — welche Eurer Majestät noch klarer sein werden, als mir,« fügte er mit einer Verbeugung gegen den Kaiser hinzu. — »Dann,« fuhr er fort, »steht es ohne jede Prüfung vollständig fest, daß unsere festen Plätze an den Grenzen weder was die Fortifikationen, noch die Verproviantirung, noch die Munitionen betrifft, in wirklich und ernsthaft kriegsfähigem Zustande sind. — Dieß ist gewiß kein Vorwurf für die Militärverwaltung,« fügte er sich leicht gegen den Grafen Randon verneigend hinzu, »es ist eine Thatsache, welche ihre volle Erklärung in dem Umstande findet, daß die politische Lage der letzten Jahre unsere militärische Aufmerksamkeit nach andern Punkten richtete. — Endlich,« sagte er mit überzeugungsvollem Ton, »ist noch ein Punkt, ein nach meiner Ansicht hochwichtiger Punkt zu berücksichtigen. — Wir haben in Preußen eine Macht vor uns, durch deren Militärorganisation jeder Mann selbst bis zum hohen Alter hinauf Soldat ist. Im Nothfalle kann Preußen nach einer verlorenen Schlacht, selbst nach der Zertrümmerung seiner im Felde stehenden Armee, ein zweites Heer aus wirklichen, mit dem Dienst und allen seinen Erfordernissen bekannten Soldaten aufstellen. — Ich will nicht davon sprechen, welche Rückwirkung eine solche äußerste Kraftanstrengung auf die inneren Verhältnisse, auf den Wohlstand des Landes haben muß, — aber militärisch wird sie erfolgreich gemacht werden. — Wir aber haben nur unsere Feldarmee, — und würde sie erschüttert, geschlagen, — bei der ruhigen Erwägung der Verhältnisse ist es Pflicht, auch dieß für einen französischen Mund so harte Wort auszusprechen, — so haben wir Nichts — als vielleicht undisziplinirte Massen mit gutem Willen, welche ohne Erfolg geopfert würden. — Ich will nicht behaupten, daß es rathsam, oder für unsere nationale Eigenthümlichkeit möglich wäre, das preußische Wehrsystem bei uns einzuführen, — jedenfalls müssen wir etwas schaffen, wie eine wirklich militärische Nationalgarde, — um mich so auszudrücken, damit hinter unserer ersten eigentlichen Armee ein kriegsfähiges Material zur Bildung eines zweiten Heeres stehe, — wenn wir nicht mit ungleichen Kräften in den Kampf gehen wollen. — Ich fasse also meine Meinung kurz zusammen: Wir müssen zunächst uns in Mexiko vollständig degagiren, um die ganze Kraft Frankreichs auf einen Punkt konzentriren zu können. Wir müssen sodann der ganzen Armee das möglichst vortrefflichste Hinterladungsgewehr geben. Wir müssen der neuen Bewaffnung die Taktik anpassen. Wir müssen die Festungen in vollkommen kriegsfähigen Anstand bringen. Wir müssen endlich eine bewegungs- und schlagfähige Nationalgarde schaffen. — Diese Bedingungen halte ich für unerläßlich, um den so ernsten und entscheidenden Kampf beginnen zu können.«

      Er verneigte sich gegen den Kaiser und schwieg.

      Tiefe Stille herrschte einen Augenblick in dem Gemach.

      Der Kaiser richtete den Blick auf den Marschall Forey, den Jüngsten in dieser Versammlung.

      »Ich stimme vollkommen der Ansicht bei, welche der Marschall Niel so klar und überzeugend entwickelt hat,« sagte dieser.

      Die übrigen Marschälle schwiegen. Ihre Mienen drückten deutlich aus, daß sie nichts gegen die Äußerungen Niel's einzuwenden hatten.

      »Sire,« rief Drouyn de Lhuys lebhaft, »ich bin nicht Militär und bin überzeugt, daß der ehrenwerthe Marschall militärisch vollkommen Recht hat, — aber die Erfüllung der Bedingungen, welche er für den erfolgreichen Feldzug stellt, erfordert Zeit — viel Zeit, und ich glaube, wir haben deren nicht zu verlieren, wenn die Ehre und die Interessen Frankreichs gewahrt werden sollen. Der günstige Augenblick wird vorübergehen, Preußen wird sich mehr und mehr stärken, die militärischen Kräfte Deutschlands mehr und mehr organisiren und konzentriren — und wenn dann das Alles ausgeführt ist, was der Marschall verlangt, so würde der Zuwachs unserer Kraft einer eben so bedeutenden, vielleicht bedeutenderen Verstärkung der Macht des Gegners sich gegenüber befinden. — Sire,« fuhr er in lebhafter Erregung und mit blitzenden Augen fort, »ich bitte Eure Majestät um zwei Mann und einen Offizier mit der französischen Fahne, welche an den Grenzen stehend die notwendigen Forderungen unterstützen, die wir an Preußen stellen müssen, — wenn man in Berlin nur Ernst sieht, wird man nachgeben, — und thut man es nicht, in wenig Tagen wird ganz Frankreich in Bataillone formirt unsere Armee verstärken — es waren solche Bataillone, Sire, mit denen Ihr großer Oheim die Welt eroberte, aus denen er jene gewaltige Armee schuf, welche, nicht in den Kasernen erzogen, sondern auf den Schlachtfeldern geworden, Europa unterwarf!«

      Ein tief schmerzlicher Zug zeigte sich einen Augenblick auf dem Gesicht des Kaisers.

      Dann richtete er den Blick fragend auf den Marschall Niel.

      »Was sagen Sie dazu, Herr Marschall?« sagte er.

      »Sire,« erwiederte dieser, — »die Worte des Herrn Ministers müssen voll wiederklingen in jedem französischen Herzen, — und es gehört die ganze Ueberzeugung von meiner Pflicht gegen Eure Majestät und Frankreich dazu, um ihnen nicht zuzustimmen. — Unmittelbar nach der Schlacht von Sadowa, — als Deutschland noch unter den Waffen stand, als Oesterreich noch keinen Frieden geschlossen, als die preußische Armee noch schwer erschüttert war, von dem harten Stoß des gewaltigen Kampfes, — wäre es möglich gewesen, zu thun, was der Herr Minister räth. Heute wäre es ein hochgefährliches Spiel um Frankreichs Ruhm und Größe — und um mehr noch,« fügte er mit bedeutungsvollem Blick auf den Kaiser hinzu, »ein Spiel, das Eure Majestät vielleicht wagen könnten, — zu dem aber ein gewissenhafter General Ihnen