Der Kaiser biß sich leicht auf die Lippen, sein verschleiertes Auge öffnete sich eine Sekunde und ein harter, fast feindlicher Blick schoß daraus auf die Kaiserin hin.
Sie sah diesen Blick, — ein Schauer durchflog ihre Gestalt, — in gewaltsamer Anstrengung preßte sie die Hand auf ihr Herz und tief aufathmend sprach sie, den glühenden Blick auf den Kaiser richtend:
»Sire — es ist nicht die Ehre meines Gemahls allein, um welche es sich hier handelt, — für diese einzutreten ist allerdings zunächst unsere eigene Sache, — aber es steht noch ein Anderes auf dem Spiel, — ein Anderes, das Eure Majestät näher angeht — und das ist die Ehre Frankreichs.«
Der Kaiser lächelte kalt.
»Meine Armeen ziehen sich nur auf meinen Befehl aus Mexiko zurück, — und bringen reiche Lorbeeren mit,« sagte er.
»Lorbeeren?« rief die Kaiserin mit funkelnden Augen, — »ja — der einzelne Soldat, der dort tapfer gefochten, der bringt Lorbeeren mit und Lorbeeren wachsen auf den Gräbern der Gefallenen, — aber die Fahnen Frankreichs — welche sich abwenden von dem Thron, den Frankreichs Kaiser aufgerichtet, — von dem Fürsten, der auf Frankreichs Ruf dorthin gegangen ist und der jetzt der Erniedrigung, dem Untergang preisgegeben wird, — diese Fahnen sollten in Trauerflor sich verhüllen, denn sie haben Frankreichs Ehre verlassen! — O Sire,« rief sie gewaltsam sich zwingend, — »ich bitte Sie noch einmal — ich beschwöre Sie — kommen Sie von Ihrem harten Entschluß zurück!«
Die Stirn des Kaisers legte sich in finstere Falten, ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen.
»Madame,« sagte er, — »Eure Majestät wird mir zugeben, daß ich der beste — jedenfalls der einzig kompetente Richter über das bin, was die Ehre Frankreichs erfordert.«
Die Augen der Kaiserin schleuderten Blitze, ein Ausdruck voll stolzer Verachtung erschien auf ihrem Gesicht.
»Eure Majestät sind der Richter,« — sagte sie, « — »so lassen Sie mich denn den Advokaten der französischen Ehre sein, — mein Blut gibt mir das Recht dazu, — es ist das Blut Heinrich des Vierten — und mein Großvater war König der Franzosen!«
Der Blick des Kaisers trat klar und frei aus den Schleiern seines Auges hervor, wie eine Degenklinge zuckte er gegen diese aufgeregte Frau, welche nur bebenden Lippen zitternd vor ihm saß.
Er stand auf.
Die Kaiserin erhob sich ebenfalls.
Sie preßte beide Hände auf ihr Herz, — ihr ganzer Körper bog sich zusammen unter der gewaltigen Willensanstrengung, mit welcher sie ihrem Blick die Ruhe, ihrem Munde das höfliche Lächeln wiedergab.
»Sire,« sagte sie mit inniger, weicher Stimme, — »verzeihen Sie der Gattin, die für die Ehre und das Leben ihres Gemahls spricht, wenn ich im Eifer mich fortreißen ließ zu allzukühner Vertheidigung der Sache, die für mich die höchste und heiligste ist — und sein muß. — Sire, ich bitte Sie um Gottes und der ewigen Barmherzigkeit willen, haben Sie Mitleid — geben Sie uns noch ein Jahr Ihren Schutz — oder geben Sie uns Geld, — wenn Ihnen das Blut Frankreichs zu kostbar ist.«
Und mit unbeschreiblich angstvoll bittendem Blick sah sie diesen Mann an, von dessen Munde das Wort der Hoffnung ertönen sollte, das sie dann auf den Flügeln der Liebe und der Freude ihrem in banger Sehnsucht harrenden Gemahl bringen könnte, seine verzagende Seele mit neuer Stärkung zu erquicken.
Mit kaltem Ton sagte Napoleon:
»Madame, der größte Freundesdienst in ernsten Augenblicken ist volle Wahrheit und Aufrichtigkeit. Es würde ein Verbrechen gegen Eure Majestät sein, wollte ich Ihnen unerfüllbare Hoffnungen machen, — meine Entschlüsse sind unabänderlich, wie die Notwendigkeit, welche sie diktirt hat — ich habe Nichts mehr für Mexiko übrig — keinen Mann mehr, keinen Thaler.«
Da verzerrten sich die Züge der Kaiserin auf entsetzliche Weise, blutig färbte sich das Weiße in ihren Augen, in flammendem Phosphorschein glühten ihre Blicke, ihre Lippen zogen sich von den glänzend weißen Zähnen zurück — ihre Arme vorgestreckt, schritt sie auf den Kaiser zu und unter den keuchenden Athemzügen ihrer Brust die Worte hervorstoßend, rief sie mit einer Stimme, welche fast nicht mehr menschlich klang:
»Ja es ist wahr, das Bild meiner Träume — die gräßliche Erscheinung meiner Nächte, — da steht er mit dem Blutbecher vor mir, — der Dämon der Hölle, — der Henker meiner Familie. — Morde meinen Gemahl, lächelnder Teufel, — morde mich, die Enkelin Louis Philipp's, dieses Königs, der Dich dem Elend entriß und Dich vor dem Schaffot rettete!«
Wie vor einer Gespenstererscheinung wich der Kaiser langsam gegen die Thüre zurück.
Die Kaiserin blieb stehen und nur die Hand gegen ihn ausstreckend, rief sie, indem ihre Züge sich immer furchtbarer entstellten und ihre Augen immer wilder glühten:
»Geh' hin, Verdammter, — aber nimm ihn mit Dir, meinen Fluch, — den Fluch, welchen Gott auf das Haupt des ersten Mörders schleuderte, zertrümmern soll Dein Thron, — die Flammen sollen Dein Haus vertilgen, und wenn Du am Boden liegst im Staube, aus dem Du emporgestiegen, vergehend in Schande und Ohnmacht, — dann soll der Engel der Rache Dir mit Posaunentönen in die Tiefen Deiner verzweifelnden Seele hinein die Namen rufen: ›Maximilian und Charlotte!‹«
Von Entsetzen erfaßt wandte sich der Kaiser um, die Augen mit der Hand bedeckend. Er eilte der Thüre zu und schnell das Vorzimmer durchschreitend, wo der Adjutant und der General Almonte tief erschrocken der schauerlichen Stimme der Kaiserin lauschten, rief er mit halb erstickter Stimme:
»Kommen Sie, Favé, — kommen Sie schnell, die Kaiserin ist nicht wohl!«
Er stieg schnell die Treppe hinab, ängstlich zurückblickend — bestürzt folgte ihm der Adjutant.
General Almonte war in das Zimmer der Kaiserin geeilt.
Die unglückliche Fürstin war in der Mitte des Salons in die Kniee gesunken, die linke Hand auf die Brust gepreßt, die rechte weit ausgestreckt, starrte sie mit blicklosem Auge zur Decke empor, wie ein steingewordenes Bild der Verzweiflung.
Der General eilte auf sie zu.
»Um Gotteswillen,« rief er, sich zu ihr niederbeugend — »ich beschwöre Eure Majestät, fassen Sie sich, — beruhigen Sie sich, — was ist geschehen?«
Ein leichtes Zittern durchflog die Glieder der Kaiserin, langsam wendete sie den Blick dem General zu — voll Verwunderung sah sie ihn an, sie fuhr mit der Hand über die Stirn und ließ sich von dem General ausrichten, der sie zu dem Sopha hinführte. Eine Kammerfrau war ängstlich eingetreten und unterstützte den General, der Lakai stand mit erschrockenem Gesicht an der Thüre des Vorzimmers.
Plötzlich blieb die Kaiserin stehen, — ihr Blick irrte suchend im Zimmer umher.
»Wo ist er?« rief sie mit heiserer Stimme — »er ist fort, er darf nicht fortgehen, — ich will mich an seine Fersen heften, Tag und Nacht soll mein Racheschrei in seine Ohren dringen!«
»Majestät!« rief der General.
»Fort,« schrie die Kaiserin überlaut, — »laßt mich, — meinen Wagen, meinen Wagen, — ihm nach, dem Verräther, dem Mörder meines Gatten!«
Und mit Gewalt den General und die Kammerfrau von sich schleudernd, stürzte sie durch das Vorzimmer die Treppen hinab — immer rufend: »Meinen Wagen, meinen Wagen!«
Der General eilte ihr nach. Der Lakai folgte.
Im großen Hof des Grand Hotel verliefen sich eben die Neugierigen, welche die Anwesenheit der kaiserlichen Equipage angezogen. Auf dem großen Balkon saßen die Fremden, Zeitungen lesend und plaudernd.
Da hörte man die laute Stimme dieser schwarzgekleideten Frau mit den verzerrten Zügen, mit den blutig starren Augen, welche an dem Ausgang der großen Treppe erschien und mit gellendem Tone unaufhörlich rief: »Meinen Wagen! meinen Wagen!«