»General Fleury!« rief er dem eintretenden Kammerdiener zu.
Die gedrungene, kräftige Gestalt des Generals mit dem lebhaften, ausdrucksvollen Gesicht, dem großen Schnurrbart und Henri quatre erschien einen Augenblick darauf in dem Kabinet.
»Sind die Marschälle versammelt?« fragte Napoleon.
»Zu Befehl, Sire.«
Drouyn de Lhuys blickte mit Erstaunen auf den Kaiser.
Dieser sah ihn lächelnd an.
»Sie sollen sich überzeugen, mein lieber Minister,« sagte er, »daß ich nicht unthätig bin und daß ich an meine Vorbereitungen zu der Aktion gedacht habe, die Sie für nothwendig halten. Sie werden mit mir zufrieden sein, wie ich hoffe. Ich bitte Sie, mich zu begleiten.«
Und er verließ das Kabinet, gefolgt von dem Minister, durchschritt einen Vorsaal und trat in einen größeren, mit reicher Einfachheit dekorirten Salon, in dessen Mitte ein großer Tisch, von Fauteuils umgeben, sich befand.
Hier waren die ersten Würdenträger der französischen Armee, die Träger dieses seit Jahrhunderten so heiß ersehnten, um den Preis so vielen Blutes errungenen Marschallstabes von Frankreich versammelt.
Da war der greise Marschall Vaillant, dessen Erscheinung mehr den Hofmann als den Soldaten vermuthen ließ, der schneeweiße, militärisch kühn blickende Graf Regnault de St. Jean d'Angely, Canrobert mit dem langen Haare, einem Mann der Wissenschaft ähnlicher als einem Krieger, der trotz seines Alters elegante, ritterliche Graf Baraguay d'Hilliers, der Kriegsminister Graf Randon, der schlanke, nur aus Muskeln und Nerven zusammengesetzte Mac Mahon mit dem feinen, sanften Gesicht und den hellen, vergißmeinnichtblauen Augen, da war Niel mit seinem ernsten, geistdurchleuchteten Gesicht mit dem kränklichen, leidenden Ausdruck, welchem aber die Herrschaft eines eisernen Willens den Stempel unbeugsamer Energie aufdrückte, — da war der Marschall Forey in seiner strammen militärischen Haltung.
Der jüngste der Marschälle, Bazaine, fehlte, — er war in Mexiko und bereitete sich vor, den unglücklichen Kaiser Maximilian seinem tragischen Schicksale zu überlassen. Alle Marschälle trugen einfachen schwarzen Civilanzug.
Der Kaiser erwiederte die tiefe Verbeugung der Versammelten mit einem Gruß voll anmuthiger Würde.
Festen Schrittes ging er an die Mitte des Tisches und setzte sich in den dort stehenden Lehnstuhl, mit einem Wink der Hand die Uebrigen auffordernd, gleichfalls Platz zu nehmen.
Dem Kaiser gegenüber setzte sich Drouyn de Lhuys, zu seiner Rechten der Marschall Vaillant, zu seiner Linken der Graf Baraguay d'Hilliers, die übrigen nach ihrer Anciennetät.
»Ich habe Sie hier um mich versammelt, meine Herren Marschälle,« begann der Kaiser mit fester Stimme, »und habe auch die Herren von den auswärtigen Kommandos — selbst Sie, Herr Herzog von Magenta, hieher gerufen, weil ich in einem ernsten Augenblick, wie der gegenwärtige, den Rath und die Ansicht der ersten und bewährten Vertreter der französischen Armee zu vernehmen wünsche.«
Die Marschälle sahen den Kaiser erwartungsvoll an.
»Sie kennen Alle,« fuhr Napoleon III. fort, »die Ereignisse, welche sich so eben in Deutschland vollzogen haben. Preußen will, die Erfolge des Sieges bei Sadowa mißbrauchend, einen deutschen Militärstaat schaffen, welcher sich als eine stete Drohung an den Grenzen Frankreichs erhebt. — Ich habe mich nicht für berechtigt gehalten, in die innere Entwickelung Deutschlands einzugreifen, — die deutsche Nation hat dasselbe Recht, sich frei zu konstituiren, welches Frankreich für sich selbst in Anspruch nimmt und allen übrigen Nationen zugesteht, aber ich habe als Souverän Frankreichs die Pflicht, im Verhältniß zu der drohenden Erstarkung Deutschlands für die Sicherheit unserer Grenzen zu sorgen, — ich habe deßhalb Verhandlungen eröffnen lassen, um Frankreich diejenigen Grenzen zu geben, welche die natürliche und strategische Verteidigung sichern; ich meine die Grenzen von 1814 — Mainz und Luxemburg.«
Der Kaiser ließ seinen Blick über die Versammelten schweifen; er schien eine freudige und begeisterte Zustimmung zu erwarten.
Aber ernst und schweigend blickten die Marschälle vor sich nieder, selbst das helle Auge Mac Mahon's leuchtete nicht auf vor Freude über die kriegerische Aussicht, welche in den Worten des Kaisers lag.
Napoleon fuhr fort:
»Es scheint, nach den ersten Sondirungen, welche ich habe vornehmen lassen, daß man in Berlin nicht geneigt ist, die gerechten Forderungen zu erfüllen, welche ich geglaubt habe, im Namen Frankreichs stellen zu müssen. Bevor ich nun weiter gehe und die Dinge bis zu einem Ultimatum kommen lasse, will ich Ihre Ansicht über einen Krieg mit Preußen hören, den größten und ernstlichsten Krieg, den Frankreich in dieser Zeit führen kann.«
Drouyn de Lhuys blickte mißmuthig vor sich hin. Dieß war nicht die Wendung, welche er der Sache gegeben zu sehen wünschte.
»Ich weiß,« sagte der Kaiser, dessen scharfem Blick die finstere Miene der Marschälle nicht entgangen war und der seiner Natur gemäß sich vorsichtig zurückhielt, »daß Frankreich immer stark und gerüstet ist, um jeden Angriff zurückzuweisen; bevor wir aber einen Krieg von großen Konsequenzen unsererseits beginnen, müssen wir uns über unsere Stärke und Schlagfertigkeit sehr klar sein. — Ich bitte Sie deßhalb, meine Herren Marschälle, mir Ihre Meinung über die Eventualität eines Krieges mit Deutschland zu sagen und über die Art, wie ein solcher Krieg zu führen sein würde.«
Der alte Marschall Vaillant blickte nachdenkend vor sich nieder.
»Sire,« sagte er dann mit ernster Ruhe — »vor zwanzig Jahren noch würde mein Herz hoch aufgewallt sein bei dem Gedanken an einen solchen Krieg — an eine Revanche für Waterloo — heute muß die Vorsicht des Alters über das Feuer der Jugend, über den raschen Schlag meines französischen Herzens den Sieg davon tragen. Bevor wir über eine so schwere, ernste Frage entscheiden, wird es nöthig sein, durch eine Kommission die Verhältnisse der Armee und der Kriegs- und Vertheidigungsmittel des Landes genau zu erforschen, den Einfluß der neuen preußischen Waffen auf die Taktik zu prüfen und danach ein begründetes Urtheil festzustellen. Ich wage heute nicht, über eine Frage zu entscheiden, die tief in Frankreichs Schicksal eingreift. — Bin ich zu vorsichtig,« fügte er hinzu, »so bitte ich Eure Majestät nochmals, es meinen Jahren zu Gute zu halten.«
Der Graf Baraguay d'Hilliers und der Marschall Canrobert stimmten der von Vaillant ausgesprochenen Ansicht bei.
Der Kriegsminister Graf Randon sagte:
»Ich glaube, daß der Zustand der Armee, welcher ich alle meine Sorgfalt gewidmet habe, ein vortrefflicher ist und daß die Vertheidigungsmittel des Landes sich im besten Zustande befinden, — indeß ich kann am wenigsten einer genauen Prüfung widersprechen, da sie gewissermaßen eine Kontrole meiner Amtsführung als Kriegsminister in sich schließt, — eine genaue Prüfung des Einflusses der neuen Waffen aber kann ich nur dringend befürworten.«
Mit fester Stimme sprach der greise Graf Regnault de St. Jean d'Angely:
»Sire, ich habe die Ehre, Eurer Majestät Garde zu kommandiren. Dieß Korps ist stets bereit, gegen die Feinde Frankreichs zu marschiren, und wenn Eure Majestät heute den Krieg erklären, so wird die Garde morgen auf dem Marsch nach den Grenzen sein, voll Eifer, neue Lorbeeren um die alten Adler zu winden. — Aber mit der Garde allein können wir nicht Krieg führen, — ich muß daher der Ansicht des Marschalls Vaillant durchaus beistimmen.«
Drouyn de Lhuys zuckte mit wenig verhehlter Ungeduld die Achseln, — der Kaiser blickte in schweigendem Nachdenken vor sich hin.
»Sire,« sprach der Herzog von Magenta, mit seiner in der Konversation so weichen Stimme, welche vor der Front der Truppen so metallisch wie ein Trompetenton aus seinem Munde hervordrang, — »Sire — Eure Majestät wissen, daß ich meinen Degen lieber im freien Sonnenlicht funkeln sehe, den Feinden Frankreichs gegenüber, als daß ich ihn in der Scheide trage — aber ich kann der weisen Vorsicht des Marschalls Vaillant nur meine volle Zustimmung aussprechen. Prüfen wir — aber prüfen wir schnell, und thun wir dann eben so schnell, was noth thut.«
Langsam