Er verneigte sich tief vor dem Kaiser und begrüßte Herrn Drouyn de Lhuys.
»Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet,« sagte Napoleon, — »setzen Sie sich und erzählen Sie, wie die Sachen in Berlin stehen.«
»Sire,« sagte der Botschafter, indem er einen Stuhl nahm und sich dem Kaiser und Drouyn de Lhuys gegenüber setzte, — »ich war nach dem Quai d'Orsay gefahren, um mich bei dem Herrn Minister zu melden, und da ich erfuhr, daß derselbe hier sei, so habe ich mir erlaubt, sogleich hieher zu kommen —«
»Sie haben Recht gethan,« sagte der Kaiser, — »Sie finden jetzt den ganzen konstitutionellen Regierungsapparat beisammen,« fuhr er lächelnd fort, — »nun berichten Sie, — ich höre mit Ungeduld.«
Herr Benedetti athmete tief und sprach:
»Ich habe, wie Eure Majestät wissen, den Vertragsentwurf, den ich aus Vichy erhalten, dem Grafen Bismarck gleich nach seiner Rückkehr nach Berlin in einer vertraulichen Unterredung vorgelegt.«
»Und?« fragte der Kaiser.
»Er hat einfach und rund jede Kompensation — vor Allem die Cession von Mainz abgelehnt.«
»Eure Majestät sehen es,« sagte Drouyn de Lhuys.
Der Kaiser drehte den Schnurrbart und senkte das Haupt.
»Ich habe,« fuhr Herr Benedetti fort, »alle Gründe hervorgehoben, welche uns die gebieterische Pflicht auferlegen, in diesem Augenblick für Frankreich Kompensationen zu fordern, ich habe ihm dargelegt, welche Rücksichten wir auf die öffentliche Meinung in Frankreich zu nehmen hätten, ich habe hervorgehoben, wie gering die geforderten Kompensationen im Vergleich zu der großen Machterweiterung Preußens seien, wie das militärisch konzentrirte Deutschland Frankreich Garantieen des künftigen Friedens schuldig sei, — es ist Alles vergebens gewesen, — der Ministerpräsident beharrte auf seiner Weigerung und wiederholte nur, daß das Nationalgefühl Deutschlands solche Kompensationen niemals zugestehen werde.«
Der Kaiser schwieg.
»Zwei Tage darauf,« fuhr Herr Benedetti fort, »hatte ich eine zweite Unterredung mit dem Grafen Bismarck — sie hatte dasselbe Resultat. Ich habe in der vorsichtigsten Weise auf die Gefahr hingedeutet, welche aus der Verweigerung unserer gerechten Forderungen für die künftigen guten Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich erwachsen müsse, — auch diese Andeutung hatte nur den Erfolg, daß Graf Bismarck mir in eben so vorsichtiger, aber nicht mißzuverstehender Weise zu erkennen gab, daß er auch im Hinblick auf diese Gefahren bei seiner Weigerung beharren müsse, und daß er selbst vor den äußersten Konsequenzen seiner Weigerung nicht zurückschrecken würde. Uebrigens muß ich bemerken,« fuhr der Botschafter fort, »daß unsere Unterredung keinen Augenblick aus den Grenzen der höflichsten, selbst freundschaftlichsten Formen heraustrat und daß Graf Bismarck wiederholt betonte, wie sehr ihm an der Erhaltung der guten Beziehungen zu Frankreich gelegen, und wie er überzeugt sei, daß die Interessen Deutschlands und Frankreichs in Europa auch unter den neuen Verhältnissen so viele gemeinsamen Punkte haben würden, daß eine auf gegenseitiger Freundschaft beruhende Politik das Resultat der Erwägungen beider Regierungen sein werde. — Ich habe unter diesen Umständen es für nothwendig gehalten,« sagte Herr Benedetti nach einer Pause, da der Kaiser noch immer schwieg, »diesen Unterhaltungen weiter keine Folge zu geben, sondern zunächst hierher zu kommen, um persönlich über jene Negoziation — und über die Lage der Dinge in Berlin Bericht zu erstatten.«
Drouyn de Lhuys biß sich auf die Lippe. Der Kaiser richtete langsam und forschend den Blick auf Herrn Benedetti.
»Und glauben Sie,« fragte er, »daß die öffentliche Meinung in Preußen und Deutschland dem Grafen Bismarck zur Seite stehen würde, wenn er es wagen sollte, einen Krieg mit Frankreich zu provoziren, — glauben Sie, daß der König —?«
»Sire,« sagte Benedetti lebhaft, »das ist es, was ich besonders Eurer Majestät persönlich mitzutheilen wünschte, damit jeder Entschluß nur in voller Kenntniß der Sachlage gefaßt werden möge. — Der Krieg gegen Oesterreich,« fuhr er fort, »war in Preußen selbst unpopulär, — und wäre er unglücklich ausgefallen, es hätte ernste Bewegungen im Innern geben können, — ich kann indeß Eurer Majestät nicht verhehlen, daß auch hier der Erfolg seine gewöhnliche mächtige Wirkung gehabt hat. Das ganze preußische Volk fühlt sich wie aus einem Schlummer erwacht, die Ziele des Ministerpräsidenten , die jetzt so klar vor Aller Augen hervortreten, die Festigkeit und rücksichtslose Energie, mit welcher er die militärischen Erfolge politisch ausbeutet, finden nicht nur Zustimmung — sie rufen allgemeine Begeisterung hervor, Graf Bismarck ist der populärste Mann in Preußen und wenn Etwas dazu beitragen kann, diese Popularität auf ihren Gipfel zu heben, so wäre es ein Krieg, den er unternähme, um die Abtretung deutschen Gebietes zurückzuweisen. — Die Armee, die Generale und die Prinzen des königlichen Hauses theilen vollständig diese Anschauungen, nur werden sie in militärischen Kreisen noch lebhafter, rücksichtsloser und entschiedener ausgesprochen. — Der König würde vor einem solchen Kriege nicht einen Augenblick zurückweichen. — Das ist die Lage, wie ich sie wahrheitsgemäß Eurer Majestät mittheilen muß.«
»Aber Deutschland, das übrige besiegte, aber nicht vernichtete Deutschland?« fragte Drouyn de Lhuys, da der Kaiser noch immer schwieg.
»Ich kann natürlich über das übrige Deutschland nicht so genau unterrichtet sein, als über die Zustände in Berlin,« sagte der Botschafter, — »indeß habe ich aufmerksam die öffentlichen Blätter verfolgt und mit verschiedenen über die Stimmung in Deutschland wohl orientirten Personen gesprochen, — das Resultat meiner Beobachtungen ist, daß in diesem Augenblick keine deutsche Regierung es wagen würde, Angesichts der so eben gemachten Erfahrungen mit Frankreich gegen Preußen zu gehen — und das deutsche Volk, davon bin ich überzeugt, würde mit Ausnahme einiger momentan wenigstens völlig zurückgedrängter Parteien sich auf die Seite Preußens stellen. — Wir würden das ganze Deutschland gegen uns haben.«
»Frankreich darf vor keinem Feinde zurückweichen, wenn es seine Ehre und seine Interessen gilt,« rief Drouyn de Lhuys stolz.
Benedetti senkte die Augen zu Boden und sprach nach einigem Zögern:
»Ich muß Eurer Majestät noch mittheilen, daß ich aus einer Quelle, welche mir seit lange sehr gute und wichtige Mittheilungen gemacht hat, und welche Eurer Majestät bekannt ist,« fügte er sich verneigend hinzu, — »erfahren habe, es sei zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten ein geheimer Vertrag geschlossen, welcher die Armee dieser Staaten für den Fall des Krieges, unter preußisches Kommando stellt.«
»Unerhört!« rief der Kaiser lebhaft, sich emporrichtend, — »das würde ja den Friedenstraktat illusorisch machen!«
»Unsere Vertreter an den süddeutschen Höfen berichten Nichts darüber,« sagte Drouyn de Lhuys.
»Ich glaube meiner Sache gewiß zu sein,« sagte Benedetti ruhig.
Der Kaiser stand auf. Die beiden Herren erhoben sich gleichfalls. Mit lebhafter Spannung blickte Drouyn de Lhuys auf seinen Souverän.
»Mein lieber Benedetti,« sagte der Kaiser mit liebenswürdiger Freundlichkeit, »Sie werden müde sein nach der anstrengenden Reise, — ich bitte Sie, sich vollständig auszuruhen. Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen und den Eifer, den Sie bewiesen haben, sie mir persönlich zu bringen. Ich werde Sie morgen sehen und Ihnen meine weiteren Instruktionen geben.«
Und mit verbindlicher Höflichkeit reichte er dem Botschafter die Hand.
Dieser verneigte sich und zog sich durch die Thüre nach dem Zimmer Pietri's zurück.
»Eure Majestät sind nun überzeugt,« sagte Drouyn de Lhuys, »daß unsere Propositionen zurückgewiesen sind.«
Der Kaiser richtete sich stolz empor, seine Züge nahmen den Ausdruck von Energie und Willenskraft an, seine Augen öffneten sich und ein Strahl muthiger Entschlossenheit leuchtete aus seinem klaren Blick.
»So werden wir handeln,« sagte er.
Freudig erglänzte das Gesicht