Herr von Manteuffel verbeugte sich.
»Ich hoffe,« sagte er, »daß die Hingebung für mein Vaterland und meine aufrichtige Liebe für Rußland meinen Worten Klarheit und Ueberzeugungskraft geben wird.«
Fürst Gortschakoff klingelte.
»Lassen Sie den Wagen vorfahren,« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.
»Wollen Sie mich einen Augenblick entschuldigen,« sagte er zu Herrn von Manteuffel, — »ich werde sogleich bereit sein, Sie zu begleiten.«
Er entfernte sich durch eine Seitenthür. Herr von Manteuffel trat an das Fenster und blickte sinnend durch die Scheiben.
Nach fünf Minuten kehrte der Fürst zurück. Er trug die kleine Uniform der Minister, das große orangefarbene Band des schwarzen Adlerordens unter dem Frack, auf der Brust den Stern dieses höchsten preußischen Ordens über dem Stern des Andreasordens.
Der Kammerdiener öffnete die Thüre.
»Ich bitte,« sagte der Minister mit artiger Verbeugung, — »ich bin zu Hause.«
Herr von Manteuffel schritt aus der Thüre und erwartete draußen den Fürsten, der ihm folgte.
Im Glanz der späten Nachmittagssonne lag am Abend desselben Tages der wunderbar schöne Park, welcher das kaiserliche Schloß Zarskoë Selo umgibt, dieser Park, von dem man sagt, daß nie ein fallendes Blatt auf den eleganten Wegen liegen bleibt, — diese großartige Schöpfung der ersten Katharina, welche eine Reihe mächtiger Autokraten durch stete Verschönerungen zu immer feenhafterem Zauber entwickelt haben.
Aus einem Seitenflügel des mächtigen Schlosses, das mit seinen Ornamenten von Goldbronze und seinen gewaltigen Kolossalkaryatiden im Strahl der sinkenden Sonne aus den dunkeln hohen Bäumen hervorleuchtete, trat der General von Knesebeck. Er war am Morgen nach Zarskoë Selo in die auf Befehl des Kaisers ihm angewiesene Wohnung gezogen und erwartete die Audienz, in welcher er dem Kaiser den Brief seines Königs übergeben sollte, der den General abgesendet hatte, um eine Einwirkung Alexanders II. zu seinen Gunsten zu erbitten.
Ernst und traurig schritt der General durch die herrlichen Alleen, trübe Gedanken erfüllten ihn. Die hohe Aufmerksamkeit, mit welcher man ihn empfangen hatte, die zu seiner Verfügung gestellten Equipagen und Lakaien — das Alles konnte den Eindruck nicht beseitigen, den er empfangen hatte, sowohl aus dem Gespräch mit dem Fürsten Gortschakoff, als aus den Aeußerungen der Herren des Hofes, welche er gesehen, daß wenig für seinen König zu hoffen sei. Alle hatten mit Sympathie und Theilnahme zu ihm gesprochen, — aber es liegt in der Atmosphäre der Höfe ein gewisses Fluidum, welches dem an diese Kreise Gewöhnten verständlich ist und fast immer vorher fühlen läßt, ob die Konstellation einer Mission günstig ist oder nicht.
Der General hatte die Politik des hannöverischen Hofes nicht gebilligt, er hatte mit klarem Blicke die Schwäche Oesterreichs erkannt und auch die unverständliche Führung der hannöverischen Armee in dem kurzen Feldzuge tief beklagt, — er hing durch viele Bande mit Preußen zusammen und erfaßte mit vollem Herzen den Gedanken einer Einigung Deutschlands, — aber er war ein treuer Diener seines Königs und tiefer Schmerz erfüllte ihn bei dem Blick in die Zukunft, die nun unabwendbar schien, — wenn seine Mission nicht den gewünschten Erfolg hatte.
Langsam schritt er weiter und weiter, in tiefe Gedanken verloren.
Plötzlich erhob sich vor ihm eine künstliche Ruine, in vortrefflicher Wirkung gebaut, einsam, zwischen hohen Bäumen gelegen.
Er schritt darauf zu, — ein Schließer in kaiserlicher Livrée öffnete beim Anblick der Generalsuniform diensteifrig die Thür und der General trat in einen hohen, runden, von oben herab erleuchteten Raum, dunkel, ernst und einfach — eine englische Kapelle. Ueberrascht blickte er empor. Vor ihm erhob sich in herrlichem karrarischem Marmor die Gestalt des Heilands — jene wunderbar schöne Schöpfung Dannecker's. Der Erlöser weist mit der einen Hand auf seine Brust und erhebt die andere in unnachahmlich schöner, erhabener Bewegung zum Himmel.
Lange stand der General schweigend in tiefe Gedanken versunken vor dem ergreifenden Bilde.
»Unsere Schmerzen sollen wir an die göttliche Brust des Heilands legen und in Demuth die Rathschlüsse des Himmels erwarten,« — sagte er leise, — »ist es eine Mahnung, die gerade jetzt und gerade hier mich vor dieß heilig schöne Bild führt?«
Ueberwältigt von dem mächtigen Eindruck des Kunstwerks faltete er die Hände und blieb lange davor stehen.
Leise die Lippen bewegend sprach er:
»Wenn dann das Rad der Weltgeschichte in seinem unaufhaltsamen Rollen über so Vieles zertrümmernd dahin gehen muß — dann möge wenigstens des deutschen Vaterlandes Größe und Macht und des deutschen Volkes Glück aus den Kämpfen und Leiden dieser Tage hervorgehen!«
Und mit einem langen Blick auf das Marmorbild wendete er sich um und schritt schweigend an dem sich tief verneigenden Schließer vorbei in den Park hinein.
Er wendete sich wieder dem Schloß zu und blieb vor dem großen See stehen, welcher künstlich aus der zwischen den beiden Hälften des Schlosses hindurchfließenden und in vielen Kaskaden herabfallenden Wasserstraße gebildet wird. Hier liegt die sogenannte Admiralität, in welcher die Großfürsten sich im Bau von Schiffsmodellen üben; — an der eleganten Anfahrt zu diesem Gebäude liegen in reicher Mannigfaltigkeit Kähne aus allen fünf Welttheilen, — der türkische Kaik, die chinesische Dschonke, der russische Tschelonok und das Walfischboot der Alëuten liegen hier nebeneinander und gewandte Matrosen im kaiserlichen Dienst stehen zur Disposition für Spazierfahrten bereit.
Der General blickte ernst auf dieß bunte, reiche Bild, als ein kaiserlicher Lakai sich ihm eilig näherte und ihm mittheilte, daß ein Flügeladjutant so eben in seiner Wohnung erschienen sei, um ihn zum Kaiser zu rufen.
Raschen Schrittes und tief aufathmend kehrte der General nach seiner Wohnung zurück und eilte, nachdem er Schärpe und Federhut angelegt, mit dem Adjutanten über die große, prachtvolle Terrasse des Schlosses nach der Wohnung des Kaisers.
Das Vorzimmer war leer, nur ein Kammerdiener befand sich in demselben und öffnete sogleich die Thüre zu dem Zimmer des Kaisers. Der Adjutant ersuchte, nach kurzer Meldung zurückkehrend, den General von Knesebeck, einzutreten.
In dem hellen Gemach, dessen große Fenster aus die Terrasse hinausgingen und die milde, würzige Sommerluft einströmen ließen, stand die hohe Gestalt Alexanders II. Er trug die russische Generalsuniform, seine schönen, immer ernsten, fast schwermüthigen Züge waren bewegt und sein großes, ausdrucksvolles Auge richtete sich mit einem Blick voll tiefer Wehmuth auf den General.
Er trat Herrn von Knesebeck einen Schritt entgegen und sagte mit seiner vollen, wohlklingenden Stimme im reinsten Deutsch:
»Sie kommen spät, Herr General! — immerhin freue ich mich, Sie hier zu sehen, einen treuen Diener Ihres Königs.«
Und er reichte dem General die Hand, welche dieser ehrerbietig und in tiefer Bewegung ergriff.
»Möchte es mir vergönnt sein,« sagte er, »meinem schwer vom Schicksal getroffenen Herrn nützlich sein zu können. — Vor Allem,« fuhr er fort, »muß ich mich meines Auftrages entledigen« — er zog einen versiegelten Brief aus seiner Uniform — »und dieß Schreiben meines Königs in die erhabenen Hände Eurer kaiserlichen Majestät legen.«
Alexander II. nahm den Brief, setzte sich in einen Lehnstuhl und deutete mit der Hand auf einen daneben stehenden Sessel, auf welchem der General Platz nahm.
Der Kaiser öffnete den Brief und las ihn langsam und mit Aufmerksamkeit durch.
Einen Augenblick sah er ernst und traurig vor sich nieder, — dann richtete er den tiefen Blick auf den General und sprach:
»Haben Sie mir noch etwas zu sagen?«
»Ich habe hinzuzufügen,« sagte Herr von Knesebeck, »daß Seine Majestät der König, mein allergnädigster Herr, in voller Anerkennung der durch die