Der Kaiser athmete tief auf und blickte zu Boden.
»Mein lieber General,« sagte er dann, — »Sie sind spät gekommen. — Ich habe in der That die innigste und aufrichtigste Freundschaft für den König und hätte von ganzer Seele gewünscht, den Konflikt vermieden zu sehen, dessen unglückselige Konsequenzen jetzt sich vollziehen. Ich habe versucht, in diesem Sinne zu wirken — es ist vergebens gewesen. — Ich muß ganz aufrichtig gegen Sie sein,« fuhr er fort, — »wie es die Lage der Dinge erfordert: Der Wunsch meines Herzens, dem Könige nützlich zu sein, steht einer unabänderlichen politischen Nothwendigkeit gegenüber, — welche,« fügte er hinzu, »der König Wilhelm, mein Oheim, eben so tief beklagt als ich.«
Der General seufzte tief. Schmerzlich zuckte es über sein Gesicht, eine Thräne schimmerte in seinem Auge.
Der Kaiser blickte ihn lange mit dem Ausdruck tiefer Wehmuth und inniger Theilnahme an.
»Ich wage kaum,« sagte er dann mit weicher Stimme, »Ihnen die einzige Proposition zu machen, welche die Verhältnisse erlauben, und welcher ich, wenn der König sie acceptirt, beim Könige von Preußen Annahme zu verschaffen gewiß bin, — wenn der König abdizirt,« — fuhr er zögernd fort, — »so wird dem Kronprinzen Ernst August die Succession in Braunschweig gesichert werden.« —
Der General schwieg einen Augenblick.
»So würde denn,« sagte er, »das Welfenhaus auf das ursprüngliche und älteste Erbe seiner Ahnen beschränkt werden! — Erlauben mir Eure kaiserliche Majestät, diese Proposition, auf welche ich irgend eine Antwort zu geben nicht in der Lage bin, sogleich meinem Könige zu melden?«
»Ich bitte Sie darum,« sagte der Kaiser, — »Sie werden,« fuhr er fort, »keinen Chiffre zur Hand haben, — senden Sie die Depesche an den Grafen Stackelberg, — er soll ebenfalls unter seiner Chiffre die Antwort zurückgehen lassen.«
»Zu Befehl, Majestät,« sagte Herr von Knesebeck.
»Seien Sie überzeugt,« sprach der Kaiser mit herzlichem Tone, »daß ich die innigste und wärmste Teilnahme für den König empfinde, — Gott wolle die Zukunft Seines Hauses so günstig als möglich gestalten, und wo ich dazu helfen kann, werde ich bereit sein. So schmerzlich der Anlaß ist,« fuhr er fort, — »so ist es mir doch besonders angenehm, daß ich bei dieser Gelegenheit die Freude gehabt habe, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein lieber General!«
Er reichte ihm die Hand und drückte sie herzlich.
Dann klingelte er und ließ den Adjutanten rufen.
»Fahren Sie sogleich mit der Depesche, welche der General Ihnen geben wird, zum Fürsten Gortschakoff. — Sie soll unverzüglich chiffrirt an meinen Gesandten in Wien gehen. Die Antwort soll ohne Aufenthalt hieher an den General gesendet werden.«
Mit tiefer Verneigung verließ Herr von Knesebeck das Kabinet.
Eine Stunde später trug der elektrische Draht seine Depesche nach Wien.
Die Nacht sank herab, unruhig und schlaflos sah der General die Sonne, welche kurz vor Mitternacht unter den Horizont gesunken war, bald darauf wieder emporsteigen, die Dämmerung des Abends mit der des Morgens vermischend.
Um zwölf Uhr Vormittags erschien ein Sekretär des Fürsten Gortschakoff bei ihm und überreichte ihm einen versiegelten Brief.
Hastig öffnete der General das Siegel mit dem großen Doppeladler, und in sauberer Reinschrift las er die dechiffrirte Antwort auf seine Depesche.
Sie lautete:
»Der König kann die Succession in Braunschweig, welche ihm und seinem Hause nach Hausgesetz und Landesverfassung zusteht, nicht zum Gegenstand von Verhandlungen machen. Dagegen ist er bereit, sofort zu abdiziren, sobald dagegen der Kronprinz in die Regierung des Königreichs Hannover wieder eingesetzt wird.«
»Ich erwartete es,« sagte der General schmerzlich seufzend.
Und das Papier in seine Uniform steckend, setzte er den Federhut auf und stieg in den stets bereit stehenden Wagen, um sich bei dem Kaiser Alexander zu melden.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Wieder saß der Kaiser Napoleon in seinem Kabinet in den Tuilerieen, aber seine müden und abgespannten Züge zeigten nicht den Ausdruck der Zufriedenheit und sicheren Ruhe. Ein kurzer Badeaufenthalt in Vichy hatte seine Gesundheit nicht gekräftigt, und die politische Situation hatte sich nicht gestaltet, wie er es wünschte. Finsterer Ernst lag auf seinem Gesicht, — er hatte die Ellbogen auf die Kniee gestützt, den Kopf vorgeneigt, und indem er mit der linken Hand leicht die Spitze seines Schnurrbarts drehte, hörte er den Vortrag des vor ihm sitzenden Ministers der auswärtigen Angelegenheiten an.
Herr Drouyn de Lhuys war lebhaft erregt, eine leichte Röthe lag auf seinem sonst so ruhigen Gesicht, seine lebendigen, klugen Augen glänzten im Feuer einer nur durch die starke Willenskraft unterdrückten Aufregung.
»Sire,« sagte er, »Eure Majestät sehen die Folgen der schwankenden und zögernden Politik, welche ich Sie schon so lange zu verlassen gebeten habe. Hätten Eure Majestät den Krieg zwischen Preußen und Oesterreich gar nicht erlaubt, — oder hätten Sie vor vier Wochen die Armee an den Rhein marschiren lassen, — so wäre entweder die jetzige schwierige Lage gar nicht entstanden, oder Frankreich hätte erhalten, was es bei der neuen Konstituirung Deutschlands erhalten mußte. Jetzt sind wir in eine sehr peinliche Lage gekommen und es wird doppelte Anstrengungen kosten, um die Interessen Frankreichs zur Geltung zu bringen.«
Der Kaiser hob ein wenig den Kopf empor und warf aus seinen verschleierten Augen einen langen Blick auf das erregte Gesicht seines Ministers.
»Glauben Sie,« sagte er, »daß man in Berlin wirklich jede Kompensationsforderung zurückweisen wird? — Mainz können wir ja vielleicht fallen lassen, wenn es aufhört fester Platz zu sein oder auf einen Platz zweiten Ranges reduzirt wird, aber sollte man wagen —?«
Er hielt inne.
»Ich bin überzeugt,« sagte Drouyn de Lhuys, »daß man gutwillig jetzt gar nichts zugestehen wird. — Der Frieden mit Oesterreich ist geschlossen, — die preußische Armee ist frei, zu marschiren wohin sie will, und befindet sich auf dem Kriegsfuß, hat also jedenfalls einen großen Vorsprung vor uns — und von Rußland lauten die Berichte sehr ungünstig — die unmuthige Stimmung in St. Petersburg hat einer großen Reserve Platz gemacht und Baron Talleyrand hat in den letzten Tagen auf alle seine Bemerkungen über die Gefahren eines militärisch konzentrirten Deutschlands nur ausweichende Antworten erhalten. — Benedetti's kurze Andeutung läßt übrigens über die Aufnahme seiner Propositionen in Berlin für mich keinen Zweifel übrig. — Wir werden große Anstrengungen machen müssen.«
Wieder sah der Kaiser mit langem, nachdenkenden Blick auf.
Er zog seine Uhr hervor.
»Benedetti muß heute Morgen angekommen sein; ich bin begierig, seinen persönlichen Bericht zu hören,« sagte er.
»Er wird nach dem Quai d'Orsay gegangen sein,« erwiederte Drouyn de Lhuys.
Der Vorhang, welcher die Thür zu dem Zimmer des geheimen Sekretärs verdeckte, bewegte sich, der feine und intelligente Kopf Pietri's wurde unter der Portière sichtbar.
»Sire,« sagte er, »Herr Benedetti ist hier und fragt, ob Eure Majestät geruhen wollen, ihn zu empfangen?«
»Sogleich!« sagte der Kaiser lebhaft, — »führen Sie ihn her!«
Eine