Herr von Stielow warf das Papier fort.
»Sie haben Recht, Frau Gräfin,« sagte er, stolz sich aufrichtend, — »das ist eine Beweisführung für Advokaten!«
Und er trat zu Klara, ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, zog das Etui mit der trockenen Rose aus seiner Uniform und legte die Hand.darauf.
»Klara,« sprach er mit innigem, liebevollem Tone, welcher aus der Tiefe seiner Seele hervorklang, »bei diesem heiligen Andenken an die erste Stunde unserer Liebe, bei diesem Talisman, der mich begleitet hat in die Schrecken der Schlacht, schwöre ich Dir: Dieser Brief ist geschrieben vor einem Jahr, ehe ich Dich gesehen,« — er erhob seine Hand und berührte leicht mit den Fingerspitzen ihre Brust. »Bei diesem reinen, edlen Herzen schwöre ich Dir, daß kein Gedanke an jenes Irrlicht, dessen Lockung ich früher gefolgt war, in mir gelebt hat, seit ich Dir gehöre, seit in Deiner Liebe mir der reine Stern meines Lebens aufgegangen ist, dem ich treu bleiben werde bis zum Tode!«
Er stand auf.
»Frau Gräfin,« sagte er mit ernster, ruhiger Stimme, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Edelmann, bei meinem Namen, der von Geschlecht zu Geschlecht ehrenvoll durch die Jahrhunderte getragen ist, bei meinem Degen, den ich ohne Vorwurf in diesen furchtbaren Tagen gegen die Feinde Oesterreichs getragen, — daß das Datum dieses Briefes gefälscht ist und daß ich, seit Klara mir ihre Liebe geschenkt, mit jener Frau keine Sylbe gewechselt habe, daß keiner meiner Gedanken bei ihr gewesen ist, es sei denn in reuiger Erinnerung an eine vergangene Verirrung meines Herzens! — Ich frage nicht, ob Sie meinen Worten glauben,« fuhr er fort, — »die Gräfin Frankenstein kann keinen Zweifel in das Wort eines Edelmanns und eines österreichischen Offiziers setzen, der das Glück seines Lebens nicht um den Preis einer Lüge erkaufen würde. — Dich aber frage ich,« sagte er in warmem Tone, sich zu der Comtesse wendend, deren strahlende Augen mit glücklichem Ausdruck an ihm hingen, — »ob Du glaubst, daß mein Herz Dir gehört ohne Rückhalt und Zweifel, ob Du nun, da die Vergangenheit einmal klar und unverhüllt zwischen uns zur Sprache gekommen ist, der Stern meines Lebens bleiben willst, oder ob ich in dunkler Einsamkeit den Weg gehen soll, den meine Hoffnung mir sonnig und blütenreich gezeigt hat!«
Er senkte die Augen und wartete schweigend.
Mit dem Ausdruck unendlicher Liebe sah ihn die junge Gräfin an. Ein glückliches Lächeln schwebte um ihre Lippen. Mit leisem Schritt schwebte sie zu ihm hin; dicht vor ihm blieb sie stehen, in reizender Bewegung streckte sie ihm die Hand hin.
Er schlug die Augen empor und begegnete ihrem sanften, schimmernden Blick, sah ihr liebliches Lächeln, ihr leichtes Erröthen. Schnell öffnete er weit seine Arme und sie lehnte sich an ihn und barg das Haupt an seiner Brust.
Mit glücklichem, mildem Lächeln sah die Gräfin auf das schöne Paar und eine lange Stille herrschte in dem hohen Gemach.
Die alten Uhren aber maßen mit ihrem ruhigen Pendelschlag auch diese Augenblicke — die Augenblicke, die in ewigem Gleichmaß sich folgen — und sich nimmer gleichen im steten Wechsel des kurzen Glückes und der langen Schmerzen, welche das Leben der Menschen auf Erden bilden.
Als am späten Abend Klara in ihr stilles Zimmer zurückkehrte, da legte sie das goldene Etui mit der trockenen Rose auf ihr Betpult zu den Füßen des Christusbildes nieder, und dießmal stieg ihr Gebet so leicht beschwingt zum Himmel empor, wie die Blumendüfte des Frühlings, und in ihrem Herzen tönte es in so reinen, wunderbaren Melodieen, wie der Lobgesang der Engel, welche den Thron der ewigen Liebe umringen.
Vierter Band.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
In dem großen, hellen Arbeitskabinet seines Palais zu St. Petersburg saß vor dem mächtigen Schreibtisch hinter einer Menge von Papieren, welche indeß trotz ihrer großen Anzahl in sichtlich musterhafter Ordnung aufgereiht waren, der Vizekanzler des russischen Reiches, Fürst Alexander Gortschakoff.
Trotz der frühen Morgenstunde war der Fürst völlig angekleidet, — er trug über Unterkleidern von weißem Sommerstoff einen leichten schwarzen Ueberrock, den er der Hitze wegen weit auseinandergeschlagen hatte. Das feine, intelligente Gesicht, mit dem leichten Zug überlegener Ironie um den geistreichen Mund, mit dem kurzen grauen Haar, steckte tief in der hohen schwarzen Cravatte mit aufstehendem Hemdkragen, — die so scharfblickenden, so klugen und gewöhnlich in so gutmüthigem, fast schalkhaftem Humor unter der goldenen Brille hervorglänzenden Augen blickten heute mißmuthig und unzufrieden in den jungen Tag hinein.
Vor dem Fürsten stand sein vertrauter Sekretär, Herr von Hamburger, in schwarzem Anzug, — ein mittelgroßer, schlanker Mann mit freiem, intelligentem Ausdruck und lebhaften, klugen Augen.
Er war im Begriff, dem Fürsten eine Reihe von Personalangelegenheiten aus dem Ressort der Diplomatie vorzutragen. Vor ihm auf dem Tisch des Fürsten lag ein großes Paket von Papieren und Akten.
Er hatte so eben einen Vortrag beendet und notirte mit einem Bleistift die Resolution des Ministers auf die Eingabe, welche er in der Hand hielt. Dann legte er das Papier auf das große Aktenpaket, nahm dieß vom Tische auf und verbeugte sich, zum Zeichen, daß sein Vortrag geschlossen sei.
Der Fürst blickte ihn etwas erstaunt an.
»Sind Sie fertig?« fragte er kurz.
»Zu Befehl, Excellenz.«
»Sie haben ja da noch eine Menge Sachen, die Sie wieder fortnehmen?« sagte der Fürst mit einem Blick auf das voluminöse Paket, welches Herr von Hamburger unter dem Arm hielt.
»Ich werde die Ehre haben, diese Sachen an einem folgenden Tage vorzutragen,« sagte der Sekretär.
»Warum nicht heute? — Sie sind ja erst eine Viertelstunde hier und wir haben noch Zeit!« rief der Minister mit einem leichten Anklang von Unzufriedenheit im Ton seiner Stimme.
Herr von Hamburger ließ sein kluges, scharfes Auge einen Augenblick schweigend auf dem Gesicht des Fürsten ruhen, dann sagte er ruhig und kalt mit einem leichten, kaum merkbaren Lächeln:
»Eure Excellenz haben heute, wie ich fürchten muß, eine schlechte Nacht gehabt und sind in keiner wohlwollenden Stimmung, — ich habe da unter den Vortragssachen aber verschiedene Angelegenheiten, bei denen es aus Gründen der Gerechtigkeit und Billigkeit sehr wünschenswerth wäre, daß sie in freundlicher Weise erledigt oder bei Seiner Majestät dem Kaiser vorgebracht würden, — ich glaube, Eure Excellenz würden mir später zürnen, wenn ich diese Angelegenheiten zu einer solchen Erledigung führte — wie sie heute vorauszusetzen ist.«
Der Fürst blickte ihn durch die goldene Brille einen Augenblick scharf an, ohne daß es ihm gelang, den offenen, ruhigen Blick seines Sekretärs zu beugen, oder den höflich und freundlich lächelnden Ausdruck von dessen Zügen verschwinden zu lassen.
»Hamburger,« sagte er dann noch immer in mürrischem Ton, während indeß um seine Augenwinkel die ersten Anfänge eines wiederkehrenden Humors sichtbar wurden, — »ich werde Sie zu meinem Arzt machen! — Leider verstehen Sie die Mittel nicht zu finden, — aber was die Diagnose betrifft, sind Sie zum Mediziner geboren, — ich habe Ihnen gegenüber nicht mehr die Freiheit, übler Laune zu sein!«
»Eure Excellenz werden doch gewiß nicht voraussetzen,« sagte Herr von Hamburger, sich lächelnd verbeugend, »daß ich mir erlauben würde, in die Freiheit Ihrer Launen eingreifen zu wollen, — ich bitte nur um die Erlaubniß, meine Vorträge diesen Launen — Eure Excellenz haben selbst diesen Ausdruck gebraucht — anzupassen«
»Soll ich nicht übler Laune sein,« rief der Fürst halb lachend, halb unmuthig, »wenn die ganze Welt aus den alten ordentlichen Fugen