Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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ab und zu in das Krankenzimmer, Alles herbeibringend, was zur Pflege nöthig war, und nur Nachts ließ er es sich nicht nehmen, die letzten und schwersten Stunden der Wache zu thun, mit gutmüthiger Derbheit die Damen aus dem Zimmer des Verwundeten entfernend.

      Aber unermüdlich eifrig war er gewesen, der hübschen Margarethe in allen ihren Besorgungen zu helfen, um das stille, einförmige Leben der Gäste des Hauses so angenehm als möglich zu gestalten und ihnen jede mögliche Behaglichkeit zu schaffen; dann hatte er sich dem alten Lohmeier fast unentbehrlich gemacht im Hofe, im Stall und im Garten, — überall mit geschickter Hand zugreifend und dem Alten manche Mühe erleichternd, manche Besorgung ganz abnehmend. Und am Abend saß er vor der Thüre mit dem Alten und seiner Tochter; zufrieden hörte der Vater, still lächelnd die Tochter zu, wenn der kräftige Sohn des Wendlandes, der den Soldatenrock längst wieder ausgezogen, von seiner Heimat erzählte; wohlgefällig nickte der Alte, wenn aus allen diesen Erzählungen immer klar hervorging, was der alte Deyke für ein wohlhabender Mann sein müsse und ein wie reicher Besitz einst seinem einzigen Sohn und Erben zufallen werde.

      Der Kandidat kam täglich mehrmals zu den Damen, half in leiser und ruhiger Weise, so gut er konnte, bei der Pflege des Kranken und sprach der alten Dame in wohlgesetzten frommen Worten Trost zu. Er ging in allen Häusern aus und ein, wo Kranke und Verwundete lagen, brachte ihnen geistlichen Zuspruch und war unermüdlich thätig in der Einrichtung und Verwaltung der Lazarethe, so daß er sich bei den Bewohnern von Langensalza und bei allen Angehörigen der Verwundeten die allgemeine Sympathie und Anerkennung erwarb. Frau von Wendenstein war seines Lobes voll und zeigte dem jungen Geistlichen bei jeder Gelegenheit ihre achtungsvolle Dankbarkeit.

      Helene hielt sich von ihrem Vetter in einer gewissen Entfernung und er suchte sich auch seinerseits ihr nicht weiter zu nähern, als es der tägliche Verkehr bedingte. Wohl ruhten seine Blicke oft mit einem eigentümlichen Ausdruck auf ihr, wohl zuckte zuweilen ein feindlicher, böser Strahl aus seinem scharfen Auge, wenn er das junge Mädchen am Bette des Verwundeten sitzen sah, wenn ihre ganze Seele in ihrem Blick lag und das Gefühl ihres Herzens warm aus ihren Zügen sprach, — aber kein Wort, keine Andeutung verrieth, daß er bemerkte, was hier in der Stille und Einsamkeit sich entwickelt hatte.

      An einem späten Nachmittage der letzten Julilage saß Frau von Wendenstein mit ihrer Tochter in ihrem Zimmer, dessen Fenster weit geöffnet waren, um die kühlere Luft des herabsinkenden Abends hineinströmen zu lassen. Die Thüre zum Zimmer des Kranken war geöffnet, Helene saß an seinem Bette, mit sorgender Aufmerksamkeit den ruhigen Schlummer bewachend, in dem er dalag, den lächelnden Ausdruck stillen Glückes auf den bleichen Zügen.

      Bei den Damen in ihrem Zimmer saß der Kandidat in seinem gleichmäßig unveränderten schwarzen Anzug, die weiße Kravatte in blendender Reinheit sorgfältig um den Hals geschlungen, die Haare glatt gescheitelt an den Schläfen anliegend.

      Er sprach mit leiser Stimme und erzählte Frau von Wendenstein von den andern Verwundeten, die er heute besucht.

      »Es ist ein schöner Beruf, den Sie gewählt haben,« sagte die alte Dame mit einem freundlichen Blick auf den jungen Geistlichen, — »in solchen Zeiten besonders muß es eine herrliche Befriedigung geben, den Leidenden den Trost des göttlichen Wortes zu bringen und unter den Leiden des Körpers die Seele aufzurichten und zu erquicken.«

      »Gerade in solchen Zeiten aber,« sagte der Kandidat in demüthigem Ton und die Augen zu Boden schlagend, »fühlt man doppelt, welch' ein unwürdiges Werkzeug man ist in der Hand der Vorsehung — wenn ich zu den Leidenden spreche, welche schon der Ewigkeit die Hand reichen und schon den Glanz der jenseitigen Welt erblicken, — dann frage ich mich oft, ob ich es werth bin, zu ihnen im Namen des Herrn zu reden, und möchte fast verzagen vor dem Gewicht meines Berufs. — Aber,« fuhr er fort, leicht die Hände in einander fallend, — »auch dem unwürdigen Werkzeug gibt die ewige Kraft des göttlichen Wortes die Macht, Großes zu wirken, — und mit hoher Freude kann ich sagen, daß ich manches Herz, das im Leben leichtfertig der Welt angehörte, an den Pforten der Ewigkeit dem Glauben geöffnet, dem Heil zugeführt habe.«

      »Wie viele Familien werden Ihnen dankbar sein!« sagte Frau von Wendenstein mit warmem Ton, ihm die Hand reichend.

      »Nicht mir soll man danken, sondern Dem, der in mir mächtig ist,« antwortete der Kandidat, das Haupt neigend mit leiser Stimme.

      Und zugleich warf er von unten herauf einen raschen, stechenden Blick nach dem Krankenzimmer, aus welchem ein leichtes Geräusch vernehmbar war.

      Leise war der alte Arzt dort eingetreten, hatte sich vorsichtig schreitend dem Bette genähert und beobachtete lange ruhig den schlafenden Kranken, dann beugte er sich über ihn, entfernte mit leichter Hand das Hemd und die Kompresse von der Wunde und beobachtete dieselbe aufmerksam.

      Nach wenigen Augenblicken trat er in das Nebenzimmer zu den Damen.

      Mit ängstlicher Spannung richtete Frau von Wendenstein ihren Blick auf ihn, — Helene war ihm gefolgt und blieb in der Thür stehen.

      »Es geht Alles vortrefflich,« sagte der Arzt, freundlich zum Gruße das Haupt neigend, »und wenn ich auch noch nicht sagen kann, daß alle Gefahr beseitigt, so darf ich doch versichern, daß die Hoffnung auf einen vollständig glücklichen Ausgang mit jedem Tage größer wird.«

      Frau von Wendenstein dankte mit gerührtem Blick für die gute Botschaft. Helenens Augen leuchteten in feuchtem Schimmer.

      »Es ist nur noch einige Zeit der unbedingtesten Ruhe nöthig, jeder Reiz des schwer erschütterten Nervensystems kann zu hitzigem oder typhösem Fieber führen, das den schwachen Organismus zerstören würde. Die innern tiefen Theile der Wunde sind mit geronnenem Blut gefüllt, das langsam absorbirt und entfernt werden muß, jedes plötzliche Losreißen desselben durch irgend eine Erschütterung könnte tödtlich werden, — also, ich wiederhole, unerläßliche und erste Bedingung der Genesung ist die absoluteste Ruhe, — damit die Natur in ihrer eigenen jugendlichen Kraft sich selbst helfen kann. — Außerdem nichts weiter als leichte Kompressen auf die Wunde, die kühlende Arznei und Erhaltung der Kräfte durch die leichtesten stärkenden Nahrungsmittel. — Nun aber, meine Damen, muß ich auch über Sie meine ärztliche Autorität ausüben,« fuhr er fort, — »Sie sind so lange nicht an die Luft gekommen, es ist heute eine leichte Abkühlung draußen eingetreten, — Sie müssen in's Freie!«

      Frau von Wendenstein blickte ihn zögernd an.

      »Es ist ja für den Kranken nothwendig,« sagte der Doktor, »daß Sie Ihre Kräfte behalten, — was sollte aus ihm werden, wenn Sie auch krank würden! — ich muß wirklich auf einen ernstlichen Spaziergang dringen. Fritz kann ja so lange den Kranken behüten, der übrigens jetzt nichts bedarf, als Schlaf!«

      »O, ich will hier bleiben,« rief Helene lebhaft, — doch schnell sich besinnend schwieg sie und blickte erröthend zur Erde.

      »Ich bitte Sie, meine gnädige Frau,« sagte der Kandidat, »ruhig und unbesorgt die Vorschrift des Herrn Doktors zu befolgen, — ich werde bei dem Kranken bleiben — ich habe hier gelernt, was am Krankenbette zu thun ist, gehen Sie, Sie Alle bedürfen der Erholung!«

      »Dann schnell vorwärts!« rief der Doktor, — »ich werde Sie selbst hinausführen zu einem schönen schattigen Weg — und Sie werden sehen, wie wohl Ihnen dieß wunderkräftige Arzneimittel thut, das in der großen Apotheke der Natur für Jedermann bereitet wird: die frische Luft.«

      Frau von Wendenstein nahm ihren Hut und ihre Mantille, die jungen Mädchen folgten ihrem Beispiel. Helene warf einen langen Blick voll Sorge und Unruhe auf den Kranken, dann folgte sie zögernd den beiden anderen Damen und dem Arzte, welche das Zimmer verlassen hatten.

      Der Kandidat hatte sie mir gesenkten Augen und einem milden Lächeln bis zur Thür begleitet.

      Dann kehrte er zurück, trat in das Krankenzimmer und setzte sich in den am Bette stehenden Lehnstuhl.

      Von seinem bleichen Gesicht verschwand das milde Lächeln, der wohlgeordnete Zug geistlicher Ruhe und gesammelter Würde. Sein halb geschlossenes und gesenktes Auge öffnete sich mehr und richtete sich mit einem stechenden Blick voll feindlichen Hasses auf den Kranken und seine dünnen Lippen