Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
Скачать книгу
Handreichungen, mit wie schwerem, langsamen Fall rollen sie hinab die sonst so flüchtigen Sekunden in das unerfüllbare Meer der Ewigkeit, wie klein und farblos wird alles treibende und schimmernde Drängen da draußen außerhalb des stillen Krankenzimmers vor der heiligen Arbeit, ein Menschenleben zu erhalten und die Hand der kalten Parze mit der unerbittlichen Scheere von dem zarten Faden abzuwenden, an dem so viel Glück und Hoffnung, so viel Liebe und Freude, so viel Arbeit und Ernte hängt!

      Und wenn dann die Genesung leise, leise herantritt an das Schmerzenslager, wie eine zarte Frühlingsblume schüchtern das Haupt erhebend, immer bedroht von der rauhen Hand des winterlichen Todes, der ungern und zögernd sein Reich aufgibt und mit seinen kalten Flocken die Blüte ersticken möchte, welche die pflegende Hand Tag und Nacht mit unermüdlicher Sorge behütet, — wie beugt sich da das menschliche Herz in demüthiger Ergebung vor dem Allmächtigen, in dessen Hand das menschliche Leben ein Hauch ist, den der Augenblick verwehen kann, und der doch dieses Leben so sorgsam hütet und es mit so gewaltiger Kraft und so reichem Schmuck ausstattet! Wie gering erscheint da menschliches Wollen und Vermögen, — wie lernt da das Herz so ergebungsvoll beten: »Herr, nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!« — wie hebt sich da aber auch die Seele so vertrauensvoll und gläubig empor zu dem Vater über den Sternen, der da spricht: »Bittet, so wird euch gegeben!«

      Durch all' diese stillen Wege des innern Lebens war Frau von Wendenstein hindurchgegangen am Bette ihres Sohnes; bangend und hoffend, zagend und vertrauend, hatte sie in immer gleicher äußerer Ruhe die einförmige, gleichmäßige Arbeit der Pflege gethan, unterstützt von den jungen Mädchen, und Helene hatte in bleicher, stiller Ruhe ihren Theil der Arbeit gethan, ihre großen Augen blickten träumerisch vor sich hin und suchten mit ängstlicher Schärfe jeden Zug auf dem Gesicht des Kranken zu erspähen.

      Und die Hoffnung war gekommen und hatte alle diese Herzen erfrischt und gestärkt, — der Kranke hatte das erste Wundfieber überwunden, — die Kugel war glücklich herausgezogen, es war nur noch eine Krisis zu überstehen, die Lösung des geronnenen Blutes, welches die Tiefe der Wunde erfüllte, und dann die Stärkung des schwer erschütterten Nervensystems.

      Die tiefste und unbedingteste Ruhe hatte der Arzt zur Bedingung gemacht, kein lauter Ton durfte in der Nähe des Kranken erschallen, auf keine Frage durfte ihm geantwortet werden, und nur das Lächeln der Lippen, der freundliche Blick der Augen durften die Sprache bilden zwischen dem Leidenden und seinen Pflegerinnen.

      Und wie lebhaft war diese Sprache!

      Welch' ein reines, warmes Licht ergoß sich aus den Blicken Helenens, wenn sie auf dem bleichen Gesicht des Schlafenden ruhten, wie hingen diese Blicke besorgt an jedem Athemzuge, wie richteten sie sich dankerfüllt nach Oben, wenn diese Athemzüge in gleichmäßiger, sanfter Ruhe sich folgten!

      Und wenn dann der Kranke die Augen aufschlug und diesen Blicken begegnete, wie leuchtend, wie strahlend in mattem, krankhaften Glanz sprachen diese Augen, — und wunderbar ist es, was ein Auge aussprechen kann, dieses so kleine Rund, welches doch das Firmament mit seinen Sternen, die ewigen Berge und das unendliche Meer umfaßt und zurückstrahlt; was das scharf begrenzte, in feste Form geschlossene Wort nicht sagen kann, was zwischen den Versen der blühendsten Dichtung unausgesprochen bleiben muß das Alles sagt das Auge in so feiner Nüancirung, in so unmittelbar verständnißvollem Ausdruck; und vor Allem das kranke Auge, das lichter und durchsichtiger wird, weil es den wechselnden und verwirrenden Bildern der Welt fern bleibt, das reiner und klarer der still in sich selbst zurückgezogenen Seele sich öffnet.

      Wenn das Auge des kranken Offiziers so auf dem jungen Mädchen ruhte und in seiner tiefen Beredsamkeit eine ganze Geschichte voll Poesie erzählte, von Erinnerungen der Vergangenheit, von hoffnungsreichen Träumen für die Zukunft, dann senkte sich ihr Blick und eine leichte Röthe zog über ihre Stirn. Und doch mußte auch sie das Auge wieder heben und durch leichten Thränenschleier schimmerte die Antwort ihres Herzens zurück.

      Dann hatte er einmal, als Helene ihm einen kühlenden Trank gereicht, seine weiße magere Hand mit den dunkelblau schimmernden Adern ihr entgegengestreckt — sie hatte die ihre hineingelegt und er hatte sie innig umschlossen und lange gehalten, und dabei hatte sein Auge so wunderbar dankend, fragend und sehnend auf ihr geruht, daß sie, mit Purpur übergossen, ihre Hand zurückgezogen, — aber ihr Blick hatte geantwortet und lächelnd hatte er die Augen geschlossen — den wachen Traum sanft hinüber nehmend in den leichten und ruhigen Schlummer.

      Und seitdem hatte er öfter mit bittendem Blick ihr die Hand gereicht und sie hatte sie ihm gegeben, — und dann hatte er diese Hand sanft an seine Lippen gezogen und mit dem heißen Athem der Krankheit einen Kuß darauf gehaucht, und sie hatte wieder zitternd die Hand zurückgezogen und wieder hatten ihre Augen sich dennoch zu ihm erhoben und ein glückliches Lächeln auf seinen Lippen erscheinen lassen. Und immer reicher und verständnißvoller war die stumme Sprache geworden zwischen ihnen, und oft hatte er die Lippen öffnen wollen, um mit dem Flüstern seiner matten Stimme die Sprache der Augen zu unterstützen, — aber mit süßem Lächeln hatte sie den Finger auf ihre Lippen gelegt und sein Mund war stumm geblieben. Endlich aber hatte dieser Mund sich doch geöffnet, als sie an seinem Lager saß, und leise flüsternd hatte er nichts gesagt, als: »liebe Helene!«

      Da hatte sie ihm in schneller Bewegung und mit leuchtendem Blick die Hand gereicht und sie nicht zurückgezogen, als er sie an seine Lippen führte und lange und innig an seinen Mund drückte.

      Frau von Wendenstein hatte sie wohl gesehen, diese stumme Sprache, und sie hatte sie auch verstanden — denn welche Frau versteht sie nicht, und welcher Mutter entgeht es, wenn das Herz eines geliebten Sohnes sich in zarter Regung Derjenigen zuwendet, die in den Kämpfen des männlichen Lebens das weibliche Liebeswerk fortführen soll, welches die Mutter in der stillen Entwicklung der Kindheit begonnen, dieses Werk der mildernden, tröstenden, sänftigenden und versöhnenden Liebe, ohne welche die männliche Kraft hart und unfruchtbar bleibt, ohne welche dem männlichen Streben die Weihe und Verklärung der Anmuth fehlt?

      In diesem Nachdenken hatte sie oft dagesessen gegenüber dieser Begegnung der zwei jungen Herzen, — ob es ihr recht war, ob sie mit Freude oder Sorge Dem zusah, was sich vor ihren Augen entwickelte und worin einzugreifen ihr die Macht fehlte, das wäre schwer zu lesen gewesen in ihrem blassen, stets freundlichen und gleichmäßig ruhigen Gesicht, jedenfalls war ihr Herz tief bewegt beim Anblick dieser Liebesblüte, die da an dem Schmerzenslager ihres Sohnes sich erschloß, und als eines Tages der Kranke beide Arme ausstreckte, ihre Hand zugleich mit der Helenens ergriff und seine Blicke so liebevoll, so innig bittend von der Geliebten zur Mutter hinübergleiten ließ, da hatte sie stumm die Arme um Helene geschlungen und einen sanften Kuß auf ihre Stirn gedrückt, dann war ihre Tochter gekommen und hatte Helene zärtlich an ihr Herz geschlossen — und der Kranke hatte mit glückseligem Lächeln und verklärtem Blick, die blassen Hände über der Decke des Bettes gefaltet, dem zugesehen.

      So hatte sich im stillen Krankenzimmer, ein reiches, ereignißvolles Leben vollzogen, ein Herzensbund war geschlossen, so rein, so zart, so duftig und so heilig, wie er sich kaum hätte gestalten können im rauschenden Leben, — es war kein Wort weiter über alles Das gewechselt, — aber Alle verstanden sich, — Alle wußten und fühlten, daß, was hier erwachsen war, an den Grenzmarken, welche das Leben von dem Tode scheiden, in der Stille der Einsamkeit, — daß das stark und mächtig hineinwachsen würde in das künftige Leben. So hatte Gott, während er in furchtbaren Wettern herniederstieg in die Weltgeschichte und in gewaltigem Ringen die Völker Deutschlands hinüberführte zu neuen Ordnungen — hier mit leiser und zarter Hand eingegriffen in das innere Leben der Menschenherzen, und was diese Herzen hier erlebt in schweigender innerlicher Empfindung, das blieb in ihnen für das künftige Leben eben so tief in unauslöschlichen Zügen eingeschrieben, als die Riesenschrift, mit welcher das ewige Urtheil Gottes in die Tafeln der Geschichte gegraben war. —

      Fritz Deyke, mit seinen klaren, treuen und scharfen Augen, hatte nicht minder gesehen und verstanden, was da vorgegangen war am Krankenbett seines Lieutenants, — auch er hatte kein Wort darüber gesprochen, aber wohl hatte er sein Verständniß und seine volle Zufriedenheit ausgedrückt durch die ehrerbietige Aufmerksamkeit, die herzliche Theilnahme, mit welcher er die Tochter des Pfarrers umgab, und wenn er das junge Mädchen am Bette des Kranken sitzen sah, dann blickte