»Was Sachsen betrifft,« fuhr Benedetti fort. —
Der preußische Minister blickte ihn gespannt und erwartungsvoll an.
»Was Sachsen betrifft,« — sagte der Botschafter, »so habe ich in Oesterreich den Entschluß gefunden, seine territoriale Integrität unbedingt zu erhalten, — man sieht dieß dort als eine Ehrenpflicht an gegen seinen Verbündeten, der mit Oesterreich auf denselben Schlachtfeldern gekämpft hat.«
Graf Bismarck biß sich auf die Lippen.
»Ich glaube,« fuhr Benedetti fort, »daß der Kaiser Franz Joseph eher die äußersten Chancen einer Fortsetzung des Kampfes wagen würde, als von dieser Bedingung zurückstehen.«
Graf Bismarck schwieg einen Augenblick.
»Und wie steht Frankreich, — wie steht der Kaiser Napoleon zu dieser Bedingung — — Oesterreichs?« sagte er mit festem Blick und leichtem Lächeln.
»Ich glaube annehmen zu dürfen,« sagte Benedetti, »daß der Kaiser sich diese österreichischen Wünsche in Betreff Sachsens wesentlich aneignet.«
»Im vollsten Ernste?« fragte Graf Bismarck.
»Im vollsten Ernste,« antwortete der Botschafter ruhig.
»Gut denn!« rief Graf Bismarck — »die Einverleibung Sachsens ist für uns keine unbedingte Nothwendigkeit, wie diejenige der unseren Staat durchschneidenden Gebiete — ich werde dem Könige des Kaisers Napoleon — und Oesterreichs — Wünsche in Betreff Sachsens mittheilen und sie befürworten. Selbstverständlich wird Sachsen der norddeutschen Union zugezählt werden.«
»Das ist eine innere Angelegenheit der neuen Organisation Deutschlands,« sagte Benedetti mit leichter Verbeugung, »in welche sich einzumischen der Kaiser nicht entfernt die Absicht haben kann.«
»So ist also das Programm, wie Sie es hier nochmals ausgesprochen haben, als definitive Friedensbasis anzusehen, — mit dem Zusatz, daß von Oesterreich alle Veränderungen, welche in Norddeutschland in territorialer Beziehung vorgenommen werden, gutgeheißen und acceptirt sind, — das heißt die Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt —«
Das gleichmäßig ruhige Gesicht des Botschafters zeigte eine leichte Ueberraschung.
»Ich erinnere mich nicht,« sagte er, »daß wir von Nassau und Frankfurt gesprochen haben —«
»Es gehört zur vollständigen Arrondirung — namentlich wenn wir Sachsen aufgeben« — sagte Graf Bismarck.
Benedetti schwieg.
»So würden also auf dieser Basis die Friedensverhandlungen beginnen können?« fragte der preußische Minister mit einem forschenden Blick auf den Botschafter.
»Ich sehe keine Schwierigkeiten weiter,« sagte dieser — »und« — fügte er dann ohne besondere Betonung hinzu, »daß auch die Ausgleichung zwischen den gegenseitigen Interessen des neuen Deutschlands und Frankreichs sich leicht wird machen lassen bei dem Geist der Mäßigung und des Entgegenkommens, den der Kaiser bewiesen hat und von dem auch Sie und Ihre Regierung sich stets beseelt gezeigt haben.«
Der Blick des Grafen Bismarck senkte sich tief und durchdringend in das ganz ausdruckslose Auge des französischen Diplomaten, — er schien jedes von demselben gesprochene Wort sorgfältig abzuwägen.
»Und wie glauben Sie, daß diese gegenseitigen Interessen durch die neuen Verhältnisse berührt werden, — wie glauben Sie, daß sie ausgeglichen werden könnten?«
Benedetti lehnte sich ein wenig in seinen Sessel zurück und sprach dann:
»Ich glaube, Sie werden die Bereitwilligkeit anerkennen, mit welcher der Kaiser Napoleon die Einverleibung deutscher Staaten in Preußen acceptirt, — obwohl — wie ich wiederhole, dieselbe mit seiner Ansicht nicht übereinstimmend ist, und vielleicht bei andern europäischen Kabinetten ernstes Mißvergnügen erregen könnte.«
Welche Macht sollte dagegen etwas zu erinnern finden,« rief Graf Bismarck, »wenn Frankreich mit uns einverstanden ist —?«
»Vielleicht England wegen Hannover,« sagte Benedetti.
Graf Bismarck zuckte die Achseln.
»Vielleicht Rußland« — fuhr der Botschafter fort. — »Sollte der Kaiser Alexander mit seinen Anschauungen über Legitimität und monarchisches Fürstenrecht die Beseitigung der Dynastieen billigen —?«
Graf Bismarck schwieg.
»Doch dieß nur beiläufig,« sagte Benedetti, — »jedenfalls scheint es mir, daß Sie ein großes Interesse haben, mit Frankreich im vollsten Einverständniß zu handeln, und ich glaube, daß dem Entgegenkommen des Kaisers Napoleon gegenüber Sie nicht minder bereitwillig sein werden, anzuerkennen, daß gewisse territoriale Modifikationen der gegenseitigen Begrenzung notwendig sein dürften, um das Gleichgewicht und damit die guten Beziehungen dauernd zu erhalten.«
Die leichte Wolke, welche bei den ersten Worten des Botschafters, von diesem nicht unbemerkt, auf der Stirn des Grafen Bismarck erschienen war, verschwand schnell, sein Gesicht nahm eine gleichmüthige Ruhe an, und mit freundlicher, entgegenkommender Höflichkeit fragte er:
»Und können Sie mir die Ansichten des Kaisers über diese territorialen Modifikationen mittheilen?«
»Meine Ansicht,« antwortete Benedetti mit leichter Betonung, — »ist die, daß den schwer wiegenden Veränderungen in Deutschland gegenüber Frankreich gewisse, lediglich nach militärischen Nothwendigkeiten bemessene Kompensationen beanspruchen dürfe. — Sie werden nicht verkennen,« fuhr er fort, »daß die Grenzen, welche man im Jahre 1815 Frankreich gegeben, weder den natürlichen, noch den militärischen Verhältnissen entsprechen — und daß die Wiederherstellung derjenigen Grenze, welche im Jahre 1814 das siegreiche Europa dem überwundenen Frankreich darbot, gewiß jetzt eine billige und gerechte Forderung ist, wo das mächtige Frankreich sich mit dem siegreichen Preußen über die große Verstärkung der preußischen Macht bereitwillig und freundschaftlich verständigt.«
Graf Bismarck schwieg, ohne daß einen Augenblick der lächelnde, höfliche und zuvorkommende Ausdruck von seinem Gesicht verschwand.
»Auch werden Sie,« fuhr Benedetti fort, »es gewiß natürlich finden, wenn der Kaiser wünscht, in die so verbesserten — wiederhergestellten Grenzen Frankreichs Luxemburg aufzunehmen, das nach natürlicher Lage und Sprache zu uns gehört und das uns militärisch bei der so bedeutend verstärkten Macht Deutschlands den drohenden Rheinfestungen gegenüber nothwendig ist. — Sie verzeihen,« fuhr er lächelnd fort — »man muß auch daran denken, daß Zeiten kommen könnten, in denen nicht so friedensliebende, die gegenseitige Freundschaft zu so hohem Werthe anschlagende Regierungen in Paris und Berlin sein dürften. — Das Arrangement in dieser Beziehung dürfte nicht schwer sein, — natürlich würde dem König von Holland, der ja ohnehin auf diesen lose verbundenen Besitz keinen großen Werth legen kann, volle Entschädigung zu gewähren sein.«
Graf Bismarck schwieg fortwährend, lächelnd und freundlich.
»Endlich,« sagte Benedetti — Graf Bismarck erhob aufhorchend das Haupt.
»Endlich dürfte als Schlüssel der defensiven Position Frankreichs — ich spreche immer von Zeiten einer möglichen Verstimmung, die gewiß sehr fern liegen — für Frankreich der Besitz von Mainz —«
Ein Blitz sprühte aus den Augen des Grafen.
Rasch erhob er sich und stand mächtig aufathmend in der vollen Höhe seiner reckenhaften Gestalt da. Langsam folgte der Botschafter seinem Beispiel.
»Lieber würde ich von der politischen Bühne abtreten,« rief der preußische Minister — »als daß ich jemals die Abtretung von Mainz unterzeichnete!«
Und er that rasch einige Schritte durch das Zimmer.
Der Botschafter stand unbeweglich da. Seine klaren, ruhigen Augen folgten beobachtend