»Glauben Sie,« warf der Kaiser ein, »daß man wirklich im preußischen Hauptquartier an die Entfernung deutscher Fürsten denkt?«
»Die Einverleibung von Hannover, Hessen und Sachsen ist beschlossen, Sire,« sagte Herr von Beust bestimmt, — »und,« fügte er mit leichtem Achselzucken hinzu, — »man hat in Berlin viel auf's Spiel gesetzt, — es ist vielleicht natürlich, daß man sich nicht mit dem Einsatz begnügen, sondern den Vortheil im Hinblick auf die Zukunft ausnützen will. — Doch,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort — »Hannover und Hessen theilen die preußische Monarchie — Sachsen im Gegentheil scheidet Preußen von Oesterreich und verhindert die unmittelbaren Reibungen, — vor Allem aber sind Hannover und Hessen ihre eigenen Wege gegangen, sie haben sich den wahren Interessen Deutschlands gegenüber in kalter Passivität verhalten, — sie haben endlich im gegenwärtigen Kampf kein Bündniß mit Oesterreich geschlossen, — wenn das Verhängniß sie ereilt, so haben sie zum großen Theil es sich selbst zuzuschreiben. — Die Erhaltung Sachsens ist aber eine Ehrenfrage für Oesterreich — und,« fügte er mit vollem Blick auf den Kaiser hinzu — »vielleicht auch für Frankreich, für das kaiserliche Frankreich, — für den Erben der Macht und des Ruhmes Napoleon I.«
Der Kaiser neigte das Haupt und strich langsam seinen Schnurrbart.
»Sire,« fuhr Herr von Beust fort, indem der Schimmer einer feinen Röthe sein bleiches Gesicht überzog und sein klares, lichtes Auge unablässig auf dem Kaiser ruhte, — »als die Macht Ihres großen Oheims bei Leipzig unter der Hand des Schicksals zusammenbrach, — als so Viele von ihm abfielen, die er erhoben und groß gemacht hatte, da stand der König von Sachsen neben ihm, — ein treuer Freund, der Verbündete des Unglücks. Und schwer hat er diese Treue büßen müssen, mit fast der Hälfte seiner Länder bezahlte er das Festhalten an seinem kaiserlichen Freunde. — Niemals hat der Kaiser das vergessen und noch auf Sankt Helena erinnerte er sich mit Rührung und Schmerz seines edlen Bundesgenossen.«
Der Kaiser neigte das Haupt tiefer und tiefer. Herr von Beust fuhr mit erhöhter Stimme fort:
»Jetzt, Sire, ist der Erbe jenes Fürsten, der Ihrem großen Oheim in seinem Unglück treu zur Seite stand, in Gefahr, den letzten Rest dessen zu verlieren, was ihm von den früheren Besitzungen seines Hauses noch geblieben ist, — der König Johann, der Eurer Majestät stets ein aufrichtiger Freund war, ist in Gefahr, aus dem Erbe seiner Väter vertrieben zu werden, — und — nicht er, Sire, — ich, sein Diener, der die hohen Rücksichten fürstlichen Zartgefühls nicht zu nehmen nöthig hat, wie er, — ich frage Eure Majestät: wird der Erbe der Macht, des Ruhmes und des Namens jenes großen Titanen es schweigend dulden, daß der Nachkomme seines treuesten und letzten Freundes, seines Freundes in Noth und Gefahr, entthront und vertrieben werde?«
Herr von Beust schwieg und blickte in athemloser Spannung auf den Kaiser.
Napoleon erhob das Haupt. Seine Augenlider waren geöffnet. Groß und klar leuchteten seine Pupillen in schimmerndem Glanz, ein eigentümlicher Ausdruck von Stolz und Hoheit lag auf seiner Stirn, ein weiches, melancholisches Lächeln umspielte seinen Mund.
»Mein Herr,« sagte er mit weicher, metallischer Stimme, — »die Freunde meines Oheims sind die meinigen bis in die dritte und vierte Generation und kein Fürst soll es bereuen, dem unglücklichen Kaiser zur Seite gestanden zu haben, so lange ich das Schwert Frankreichs in meiner Hand halte! — Sie haben Sachsen gerettet,« fuhr er mit anmuthigem Lächeln fort, »sagen Sie dem König, Ihrem Herrn, daß er in seine Residenz und sein Königreich zurückkehren wird. Mein kaiserliches Wort darauf!«
Und mit einer Bewegung, in welcher sich die Hoheit und Würde des Souveräns mit der eleganten Höflichkeit des Weltmanns vereinigte, reichte er Herrn von Beust die Hand hinüber.
Dieser ergriff sie ehrerbietig, indem er sich schnell erhob, und rief mit bewegter Stimme:
»Wenn der Geist des großen Kaisers in diesem Augenblick zur Erde herabblicken kann, Sire, so muß er Eurer Majestät freundlich zulächeln. — Sie beweisen, daß Seine Freundschaft noch heute schwer wiegt in der Schale der Geschicke Europas!«
Eine kurze Pause trat ein. Der Kaiser blickte nachdenkend vor sich hin. Herr von Beust hatte sich wieder gesetzt und wartete.
»Sie sind also der Meinung,« sagte der Kaiser endlich, »daß ein Aufraffen Oesterreichs jetzt unmöglich ist?«
»Ich habe in Wien dringend ermahnt,« erwiederte Herr von Beust seufzend, »alles Mögliche zu thun und die äußersten Anstrengungen zu machen, — aber ich glaube, es wird erfolglos sein. Die österreichische Staatsmaschine ist rostig geworden und selbst ein großer Geist könnte sie nur schwer in Bewegung setzen. — Dieser Geist aber ist nicht da, — und,« fügte er traurig hinzu, »dürfte auch nicht mehr zu finden sein in der Heimat der Kaunitz und Metternich.«
»Dann müßte man ihn importiren,« warf der Kaiser leicht hin.
Die Augen des sächsischen Ministers richteten sich voll Erstaunen und Verwunderung fragend auf das wieder ganz ruhige und verschlossene Gesicht des Kaisers.
»Glauben Sie denn,« fuhr dieser fort, »daß es unmöglich wäre, Oesterreich zu regeneriren, wenn jener fehlende Geist gefunden würde?«
»Unmöglich?« rief Herr von Beust, — »gewiß nicht, Oesterreich hat eine immense innere Kraft, nur fehlt dieser Kraft der Nerv, der sie bewegt!«
»Sie haben in Ihrem politischen Leben über so Vieles nachgedacht — und mit großem Erfolg,« sagte der Kaiser mit liebenswürdigem Ausdruck und leichter Neigung des Hauptes, — »sollten Sie nicht auch darüber nachgedacht haben, wie diese schlummernde Kraft zu bewegen, — zu beleben sein möchte?«
Ein heller, plötzlicher Strahl blitzte im Auge des Herrn von Beust auf.
»Sire,« sagte er lebhaft, — »der erste und tiefste Grund der Schwäche Oesterreichs liegt darin, daß seine eigenen Kräfte sich binden, daß die eine Hälfte dieser Monarchie die andere bewachen und im Schach halten muß. Ungarn mit seiner gewaltigen Militärkraft, mit seinem reichen, unerschöpflichen Produktionsgebiet liegt todt da, und statt es zu beleben, wird vielmehr jede Lebensäußerung dieses Landes von Wien aus niedergehalten. — In dieser Krisis zum Beispiel,« fuhr er fort, »könnte Ungarn allein alles Verlorene retten, — aber auch jetzt wird man sich nicht entschließen, das belebende Wort zu sprechen, denn dieß Wort heißt: Freiheit, nationale Selbstständigkeit, — und bei diesem Worte zittern die staubigen Aktenrepositorien der Staatskanzlei,— und die staubigen Menschen noch mehr! — Und im Innern der Monarchie, der österreichischen Länder selbst, da muß wieder die starre Bureaukratie jede Lebensregung des Volkes bewachen, und wo das Volk nicht denkt, nicht fühlt, nicht mitarbeitet am staatlichen Leben, da ist es auch keiner Opfer, keines großartigen.Aufschwungs fähig, um den Staat zu erhalten und zu retten. — O,« fuhr er immer lebhafter fort, — »wenn Oesterreich in neuem Leben erstehen könnte, wenn seine reichen Kräfte sich entfalten und stählen könnten in natürlicher Bewegung, — dann würde Alles wieder gewonnen werden können für Oesterreich — und für Deutschland; wenn Oesterreich moralisch seinen Platz in Deutschland behauptet, wenn es die Führung übernimmt auf dem Gebiete des geistigen Fortschrittes und durch diesen Fortschritt seine materielle Kraft neu erstehen laßt, — dann würde — und nicht zu spät — der Tag erscheinen, an welchem die heutige Niederlage glänzend gerächt würde. — Die Formel, um dahin zu gelangen, ist einfach, — sie heißt: Freiheit und Selbstständigkeit für Ungarn, Freiheit und öffentliches Leben für die ganze Monarchie, — Reform der Verwaltung und Reform der Armee! — Aber um diese Formel anzuwenden und durchzuführen — dazu gehörte« — fügte er mit traurigem Lächeln und leichter Verneigung hinzu — »ein Geist und ein Willen, wie Eure Majestät ihn besitzen.«
»Sie schmeicheln,« sagte der Kaiser lächelnd und leicht den Finger erhebend, — »in diesem Augenblick lerne ich. — Sie werden nach den vollzogenen Ereignissen vielleicht nicht sächsischer Minister bleiben?« sagte er dann.
»Ich